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"Lieferkettengesetz sollte gestoppt werden"

Heute wird im Bundestag über den Gesetzentwurf debattiert. Was es für Sachsens Wirtschaft bedeutet, erklärt IHK-Präsident Andreas Sperl im Gastbeitrag.

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Andreas Sperl, Präsident der IHK Dresden und Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke Dresden.
Andreas Sperl, Präsident der IHK Dresden und Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke Dresden. © © by Matthias Rietschel

Wir befassen uns seit geraumer Zeit mit der Thematik und konnten in den vergangenen Monaten ein umfassendes Stimmungsbild der regional betroffenen Unternehmerschaft einholen. Unter anderem wurden nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs gezielt über 100 Betriebe befragt. Grundsätzlich erachten die meisten davon, genau wie die IHK selbst, eine Überprüfung der globalen Lieferketten für richtig, üben aber Kritik an der geplanten Art und Weise der Umsetzung.

Das beginnt mit der Frage, warum das Gesetz keine geographische Eingrenzung vorsieht? Mithin erstrecken sich die Sorgfalts- und Kontrollpflichten auch auf deutsche und europäische Vertragspartner, die staatlicherseits ohnehin auf die Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet sind und entsprechend kontrolliert werden. Es ist absurd, diese Zulieferer parallel zu allen öffentlichen Kontrollinstanzen durch ihre privatwirtschaftlichen Vertragspartner doppelt zu kontrollieren.

Des Weiteren sollten sich die zu kontrollierenden Risiken tatsächlich auf Menschenrechte beschränken, was auch immer die Intention einer solchen Regelung war. Der Gesetzentwurf geht allerdings deutlich darüber hinaus und nennt diverse weitere Positionen, vom „angemessenen Lebensstandard“ über das „Recht auf Gewerkschaftsvereinigung“ bis zum „angemessenen Lohn“.

Vorerst soll das Gesetz nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gelten, von 2024 an dann ab 1.000 Beschäftigte. In Sachsen beträfe das eine mittlere bis hohe zweistellige Anzahl an Firmen, was im Vergleich zur Gesamtzahl der sächsischen Betriebe eine geringe Betroffenheit suggeriert. Da das Gesetz aber gerade darauf abzielt, Risikoanalysen, Kontrollmechanismen, Beschwerdestellen und Abhilfemaßnahmen entlang des gesamten Lieferkette zu organisieren und zu überwachen, wird es in der Praxis nicht bei der genannten Zahl bleiben. Im Gegenteil ist zu erwarten, dass Großunternehmen die Bürokratieaufwendungen und -kosten des Gesetzes direkt an ihre kleinen und mittleren Zulieferer auch schon im Inland weiterreichen. Die Erfahrung zeigt, dass etwa Erstausrüster, sogenannte OEMs, oder große Handelsketten in solchen Lieferbeziehungen oftmals die Bedingungen der Vertragspartnerschaft diktieren. Die praktische Betroffenheit sächsischer Unternehmen – vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, dem Handel aber auch im Gesundheitsbereich – mit eng verflochtenen Lieferbeziehungen wäre mithin viel größer als es die Anwendungsbereichsgrenze zunächst glauben macht. Deshalb fordern wir auch, dass ein solches Durchreichen von Pflichten im Gesetz ausgeschlossen wird. Die globale Einhaltung der Menschenrechte in Wirtschaftsprozessen ist eine Aufgabe, an der alle staatlichen und überstaatlichen Akteure seit Jahrzehnten mehr oder weniger scheitern. Und diese Aufgabe soll nun von mittelständischen und defacto auch kleinen Unternehmen gelöst werden?

Den Umfang der zu kontrollierenden Risiken – und damit den Bürokratieaufwand – regelt der Gesetzentwurf anhand von sogenannten Präventions- und Abhilfeverpflichtungen, die überaus umfangreich sind und von Grundsatzerklärungen, über die Einrichtung eines unternehmensinternen „Menschenrechtsbeauftragten“ und Schulungen bis hin zu risikobasierten Kontrollmaßnahmen reichen. Darüber hinaus werden Unternehmen verpflichtet, diese Präventionsmaßnahmen auch bei ihren unmittelbaren Zulieferern einzufordern und zu kontrollieren, selbst, wenn diese in Südamerika oder Südostasien ansässig sein sollten.

Das Gesetz selbst spricht von durchschnittlich rund 170.000 Euro Einmalkosten und jährlichen Folgekosten von rund 70.000 Euro je Unternehmen. Unabhängig der Realitätsnähe dieser Zahlen erwarten wir, dass große Teile der Kosten an kleine und mittlere Unternehmen durchgereicht werden. Nicht zu unterschlagen ist auch der Bürokratiemehraufwand auf Seiten der kontrollierenden staatlichen Behörden, die schon heute an vielen Stellen an ihren Kapazitätsgrenzen sind.

Zu guter Letzt ist in der Zwischenzeit bekannt geworden, dass die Europäische Union ihrerseits begonnen hat, ein Gesetz, welches Unternehmen verpflichten soll, Menschenrechte und Umweltnormen entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu berücksichtigen, zu initiieren. Steht die entsprechende EU-Verordnung, führt sie zu unmittelbar geltendem Recht in allen Mitgliedsstaaten und mithin zu einer drohenden Doppelregulierung für deutsche Unternehmen. Allein aus diesem Grund sollte das deutsche Gesetzesvorhaben unverzüglich gestoppt werden. Ein deutscher Alleingang könnte dem eigentlichen Anliegen sogar schaden, wenn sich deutsche Unternehmen aus bestimmten Regionen zurückziehen, und ihr Platz durch andere ausländische Firmen – die geringere Standards anlegen – eingenommen wird. Die jüngst eingeholten Unternehmensstimmen bestätigen uns in der Mehrheit, dass man unter Maßgabe des jetzt vorliegenden Gesetzentwurfs Geschäftsbeziehungen ins Ausland abbrechen würde.

Der Autor ist Geschäftsführer der Elbe Flugzeugwerke Dresden und Präsident der Industrie- und Handelskammer Dresden.