Leben und Stil
Merken

Eine Auswanderin in der Karibik

Der westlichste Punkt der EU liegt in der Karibik – auf St. Martin. Angie Soeffker erzählt, warum die geteilte Insel ihre neue Heimat geworden ist.

Von Katrin Saft
 7 Min.
Teilen
Folgen
© SZ

Das Schild „Danger“ – Gefahr – scheint eher Ansporn, denn Abschreckung zu sein. Hunderte Menschen haben sich am feinsandigen Strand, dem Maho Beach, versammelt. Nicht etwa, um im türkisblauen Wasser zu baden, sondern um mit gezücktem Handy gen Himmel zu starren. Die App Flightradar24 kündigt in Kürze die Landung eines Airbus aus Europa an. Eine Attraktion auf der Karibikinsel.

Denn weil sie kleiner als Sylt und die Landebahn entsprechend kurz ist, donnern die anfliegenden Jets oft in nur 25 bis 30 Metern Höhe über die Köpfe der Strandgäste hinweg, um nur wenige Meter weiter aufzusetzen. Das Wasser schlägt Wellen, der Luftstrom lässt Sonnenhüte wegfliegen.

Die Youtube-Videos davon haben die Antillen-Insel bekannt gemacht. Doch deren Namen kennen nur wenige: St. Martin/St. Maarten. Der Doppelname rührt daher, dass sich zwei ehemalige Kolonialmächte noch heute die Insel teilen: Der größere Nordteil gehört zu Frankreich. Er ist damit der westlichste Punkt der EU. Das fühlt sich manchmal bizarr an. In den Supermärkten liegen die üblichen europäischen Produkte. Mitten in der Karibik, bei ganzjährig sommerlichen 27 bis 30 Grad, kann mit Euro bezahlt werden. Und die lassen sich mit der EC-Karte am Geldautomat ziehen. Anders im Südteil. Ein Schild weist darauf hin, dass man sich jetzt in einem autonomen Gebiet innerhalb des Königreichs der Niederlande befindet. Nun wird mit Dollar gezahlt. Die offizielle Währung, der Antillen Gulden, spielt touristisch keine Rolle.

Blick auf den Hafen von Marigot, der Hauptstadt im französischen Teil. Leguane sind hier häufig.
Blick auf den Hafen von Marigot, der Hauptstadt im französischen Teil. Leguane sind hier häufig. © Katrin Saft

Auch ohne Inselkarte erkennen Besucher recht schnell, in welchem Teil sie gerade sind. Denn auf der holländischen Seite darf in die Höhe gebaut werden. Die rasche Urbanisierung seit den 1980er-Jahren hat das Bild der Küste hier nicht immer zum Vorteil verändert. Die großen, klimatisierten Hotels sind vor allem bei Amerikanern beliebt. Das Vergnügungsviertel Simpson Bay wirkt mit seinen vielen Casinos, Nachtklubs, Bars und Fast Food-Restaurants wie Klein Las Vegas. Englisch ist auf der Insel ohnehin die verbindende Sprache.

Auswanderin Angie Soeffker bei einer Führung im Voglepark.
Auswanderin Angie Soeffker bei einer Führung im Voglepark. © Katrin Saft

Auf der französischen Seite dagegen darf maximal zweistöckig gebaut werden. „Es geht dort ruhiger und gediegener zu“, sagt Angie Soeffker, „eben mehr nach europäischem Geschmack.“ Die 56-jährige Hamburgerin ist 2015 mit Mann und Sohn auf die Insel ausgewandert und bietet deutschsprachige Führungen an. Warum ausgerechnet St. Martin? Das sei die häufigste Frage, die ihr dabei gestellt wird, sagt sie. „Wir waren früher in der Karibik segeln. Für den Umzug in den EU-Teil brauchte es dann nicht mal ein Visum.“ Sie genieße hier nicht nur die Sonne, sondern die Leichtigkeit des Lebens. Soeffker: „Die Leute gehen anders miteinander um – gelassener, entspannter, freundlicher.“

Die beste Bestätigung dafür findet sich bei einer Mietwagen-Fahrt rund um die Insel. Auf den oft schmalen und holprigen Straßen staut sich zuweilen der Verkehr. „Gehupt wird aber nur aus zwei Gründen“, sagt Soeffker: „Entweder, weil man sich bedankt – oder weil man sich kennt und grüßt. Man schenkt sich gegenseitig Aufmerksamkeit, wenn man sich trifft.“

Malerin Ruby Bute: bunte Lebensfreude.
Malerin Ruby Bute: bunte Lebensfreude. © Katrin Saft

Ruby Bute verkörpert wie kaum eine andere Inselbewohnerin die karibische Lebensart. Die 80-Jährige sitzt in einer knallbunten Hose unter dem Kapokbaum ihrer Galerie in Friar’s Bay. Sie malt mit leuchtenden Farben alles, was Freude schenkt: Blumen, Kinder, tanzende Menschen und natürlich den Karneval. „Immer, wenn ich Stress empfinde, tauche ich ab in die Welt der Farben“, erzählt sie einer Gruppe kunstinteressierter Touristen. Ihre Bilder seien in der gesamten Karibik ausgestellt.

Der Karneval wird auf St. Martin gleich mehrfach gefeiert – von Ende Januar bis April. Jeden Dienstagabend verwandelt sich dazu der Boulevard des ehemaligen Fischerdorfs Grand Case in eine Zone der Lebensfreude. Handwerker verkaufen Schmuck und Accessoires aus heimischen Materialien. Mit Pailletten und Federn geschmückte Tänzerinnen schwingen die Hüften zu den Rhythmen der Steel Drums. Und aus den Lolos, den offenen Restaurants, die die Einheimischen betreiben, duftet es nach Gegrilltem.

Jeden Dienstagabend ist bis Ende April Straßenkarneval.
Jeden Dienstagabend ist bis Ende April Straßenkarneval. © Katrin Saft

Wer es edler mag, wählt gleich nebenan die feinere Küche – mit Blick auf die im Wind schaukelnden Segelboote und die dahinter untergehende Sonne. Dank französischer Kochkunst kann man hier Lobster mit Trüffelöl genauso wie Gänsestopfleber, Froschschenkel, Lamm oder frisch gefangenen Mahi Mahi-Fisch finden. Billig freilich ist das alles nicht. Die Gaststättenpreise liegen, selbst für einfache Gerichte, über denen in Sachsen. Denn fast alle Zutaten müssen aufwendig per Flugzeug und Schiff hergebracht werden. Auf der Insel selbst wächst abgesehen von ein paar Früchten für den Eigenbedarf kaum etwas. Große Teile sind hügelig, bewaldet oder von Salzseen durchzogen, die bei Trockenheit schrumpfen.

Selbst der Rum, den es nach dem Essen wie einen Espresso in Italien gibt, kommt mangels Zuckerrohr von anderen karibischen Inseln. Er wird auf St. Martin bestenfalls veredelt. „Ich mische ihn mit Mango, Maracuja oder Kokosnuss“, sagt Fabienne Burgaliere, deren handbemalte Rum-Flaschen überall zu finden sind.

Die Schäden, die der Hurrikan Irma 2017 angerichtet hat, sind zum Teil noch heute sichtbar.
Die Schäden, die der Hurrikan Irma 2017 angerichtet hat, sind zum Teil noch heute sichtbar. © Katrin Saft

Die Karibikinsel ist voll auf den Tourismus angewiesen. Doch der war mehrere Jahre kaum möglich. Im September 2017 hat der Hurrikan Irma mit Windspitzen von über 320 km/h einen Großteil der Häuser beschädigt oder zerstört. „Ich habe stundenlang im Badezimmer unter einer Matratze gelegen und gezittert, bis der Spuk vorbei war“, erinnert sich Angie Soeffker. Einige Ruinen sind noch heute zu sehen. Lokale Künstler versuchen, den trostlosen Anblick mit großflächiger Street Art zu übertünchen. Gesetzliche Hürden vor allem auf der EU-Seite und der Kampf mit Versicherungen erschweren den Wiederaufbau. 2020 kam dann auch noch Corona. „Im Prinzip erleben wir erst jetzt wieder die erste richtige Hauptsaison“, sagt Soeffker. Sie reiche von Weihnachten bis Ostern. Danach werden auch die teils hohen Hotelpreise günstiger. Wer sparen will, bucht über Airbnb. „Weil viele auf der Insel an Touristen vermieten, ist es schwer, eine Mietwohnung zu finden“, sagt Auswanderin Soeffker.

Die Deutschen kommen vor allem mit den Kreuzfahrtschiffen. Bis zu sechs Riesen legen an manchen Tagen im Hafen der holländischen Hauptstadt Philipsburg an. Die hat sich voll auf die Bedürfnisse der Tagesbesucher eingestellt, die vor allem eines wollen: zollfrei einkaufen. Das lohnt sich bei Zigaretten, Alkohol und Schmuck. Rund um die Frontstreet werben fast 60 Juweliergeschäfte um Kundschaft. Ansonsten gibt es viel Fast Food und Touristennepp.

Im Hafen von Philipsburg kommen die Kreuzfahrtschiffe an.
Im Hafen von Philipsburg kommen die Kreuzfahrtschiffe an. © Katrin Saft

Wer die Insel von ihren schöneren Seiten kennenlernen will, der bucht eine Boots- oder Katamarantour – mit Zwischenstopp an einem der 37 Strände, die alle öffentlich zugänglich sind. Zu den beliebtesten gehört Orient Bay. Hier reihen sich gepflegte Beach Bars mit bunten Schirmen und Liegen aneinander. Übernachtet wird in neu erbauten Holzhäusern in kreolischem Stil. Einziger Wermutstropfen: Der Atlantik spült hier zuweilen Braunalgen an den weißen Strand. Sie sind im Meer zur großflächigen Plage geworden und müssen regelmäßig entfernt werden. Sonst fangen sie an zu riechen.

Street art gegen graue Wände.
Street art gegen graue Wände. © Katrin Saft

Pinel Island in der Nachbarschaft ist davon nicht betroffen. Das vorgelagerte Inselchen ist Naturschutzgebiet und von St. Martin auch mit der Fähre erreichbar. Ein kleines Paradies ohne Strom- und Wasserleitungen, dafür Solaranlage und Trockenklo. Marina betreibt hier das Open-Air-Restaurant Yellow Beach und bringt jeden Morgen Zutaten und Equipment mit dem Boot her. „Der Hurrikan hatte alles zerstört. Und jetzt, nach der Wiedereröffnung, kämpfen wir mit Liefer- und Personalproblemen und den auf ganzer Linie steigenden Preisen“, sagt sie.

Wie überall auf der Welt ist das Geld auch auf St. Martin sichtbar ungleich verteilt. Donald Trump besitzt in bester Strandlage eine Protzvilla, die man mieten kann – für mehrere Tausend Euro die Nacht. Er selbst soll noch nie da gewesen sein. In den Häfen liegen die Megajachten dicht an dicht, mehrstöckig, mit angedockten Badeinseln oder einem Hubschrauber auf dem Oberdeck. „Diesmal fehlen zahlreiche russische Luxusjachten“, sagt Angie Soeffker, „auch die von Oligarch Roman Abramowitsch.“ St. Martin sei idealer Ausgangspunkt fürs Inselhopping. Im nur 32 Kilometer entfernten St. Barth zum Beispiel treffen sich die Reichen und Schönen. Ökotouristen fühlen sich in den Regenwäldern der Insel Saba wohl – auf dem mit 800 Metern höchsten Punkt von Holland.

Beliebtes T-shirt-Motiv: eine Liebe, ein Leben, eine Insel.
Beliebtes T-shirt-Motiv: eine Liebe, ein Leben, eine Insel. © Katrin Saft

Der Normalurlauber indes genießt auf St. Martin/St. Maarten alle Arten von Wassersport und die Strände, die genügend Platz bieten. So unterschiedlich die beiden Inselteile auch sein mögen: Ein beliebtes Mitbringsel, ein T-Shirt, verheißt: „One Love, one Life, one Island“ – eine Liebe, ein Leben, eine Insel. Auswanderin Angie hat sie so lieben gelernt, dass sie seither nicht einmal mehr in Deutschland war.