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Das Rhinluch: Fast wie Holland, nur näher an Sachsen dran

Die wasserreiche Landschaft nördlich von Berlin bietet neben Radwegen ein Kranichflugspektakel, Kunst am Schloss und Kürbis-Überraschungen.

Von Peter Redlich
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Bis zu 80.000 Kraniche übernachten im Oktober in den feuchten Wiesen nahe dem Dorf Linum nordwestlich von Berlin.
Bis zu 80.000 Kraniche übernachten im Oktober in den feuchten Wiesen nahe dem Dorf Linum nordwestlich von Berlin. © Klaus-Dieter Grahl

Brandenburg/Kremmen. Linum im Rhinluch in Brandenburg ist ein kleines Straßendorf. In diesen Oktobertagen strömen die Menschen von überall her dorthin. Sie tragen wasserdichtes Schuhwerk und haben Fotoapparate mit langen Objektiven und Ferngläser geschultert, wenn sie in die weiten feuchten Wiesen marschieren. Der Anlass: Bis zu 80.000 Kraniche treffen hier allabendlich ein.

Der Himmel ist anderthalb Stunden lang voll von in keilförmigen Formationen fliegenden grauen Vögeln im Abendrot. Durch die Lüfte klingt das Krrrah-Krrrah der Elterntiere, die ihren Jungen damit signalisieren, dass sie dicht bei ihnen bleiben sollen. Die imposanten Tiere mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,20 Meter landen hier zwischen Mitte September und Anfang November zur Zwischenrast. Sich richtig stärken auf den nahegelegenen Maisfeldern und in den feuchten Wiesen vor dem Flug in den warmen Süden, dazu dient der Aufenthalt.

Radwege ohne Ende mit Orientierungspunkten an Kreuzungen gibt es im Rhinluch im Ruppiner Land.
Radwege ohne Ende mit Orientierungspunkten an Kreuzungen gibt es im Rhinluch im Ruppiner Land. © SZ/Peter Redlich

Das Rhinluch ist ein Feuchtgebiet zwischen Herzberg, Neuruppin und Fehrbellin mit Kremmen in der Mitte. Der Name stammt vom Fluss Rhin. Erhebungen haben die Siedler vor Jahrhunderten genutzt, um hier ihre Häuser zu bauen. Die Wiesen drumherum mussten sie für das Vieh betretbar machen, indem sie Entwässerungsgräben zogen. Auf Kanälen transportierten die Bauern die Ernte. Heute gibt es dafür Straßen und vor allem auch unendlich viele Radwege – gut asphaltiert und ohne jegliche Steigung. Wie in Holland.

Selbst die Radwegmarkierungen haben die Zuständigen im Ruppiner Land den Holländern nachgemacht: Knotenpunkte an Kreuzungen mit gut erkennbaren Nummern und von dort abgehende weitere Radwege. Dazu gibt es von den Touristinfos Radwegekarten, auf denen genau diese Knotenpunkte aufgeführt sind. Itta Olaj, Geschäftsführerin vom Tourismusverband Ruppiner Seenland und selbst ambitionierte Radlerin: „Wer möchte, kann sich die Karte von uns vorab kostenlos zusenden lassen. Die Radtour ist dann auch ohne jegliches Herunterladen von GPS-Daten ganz entspannt in Familie zu fahren.“

Zwei, die sich bestens per Rad rund um Kremmen erreichen lassen, sind Robert Baumgart und Jan-Gerd Kühling. Baumgart vermietet für die Touren auf den Seen und Kanälen im Ruppiner Land Hausboote und betreibt seit drei Jahren die Seelodge direkt am Kremmener See. Eine auf Pfählen im und am Wasser errichtete Pension, aus deren Zimmern in Ferienwohnungsgröße der Ausblick auf Eisvogel und Seeadler möglich ist. „In einer Woche kann man von uns aus durch neun Seen und wieder zurück mit dem Hausboot schippern“, sagt Baumgart.

Das Rhinluch ist Kürbisland. In allen Größen und Farbvarianten bieten die Hofläden die Frucht.
Das Rhinluch ist Kürbisland. In allen Größen und Farbvarianten bieten die Hofläden die Frucht. © SZ/Peter Redlich

Die Stimmung im oft noch goldenen Herbst wirkt beruhigend auf die Seele. Nach den sich legenden Morgennebeln über See und Kanal dringt die Sonne durchs Schilf und wärmt Landschaft und Gemüt. Eine Viertelstundenwanderung entlang am Kanal von der Seelodge zur nächsten Brücke ist der Weg zu Jan-Gerd Kühlings „Kunst & Beeren“. Dort, wo einst das Brückenwärterhaus stand und eine Gärtnerei war, hat er Land gekauft und es vor allem mit Obststräuchern und -bäumen bepflanzt. Zwischen Kornelkirsche und Boskopapfel hüpfen Kaninchen, die Ziegen lassen sich das nach dem Regen wieder saftig grüne Gras schmecken, Hühner legen ordentlich Eier.

Umweltingenieur Kühling, aus einer Landwirtschaftsfamilie bei Oldenburg stammend, ist noch vor einigen Jahren mit seiner Beraterfirma rastlos durch die Welt gejettet und hat auch gut Geld verdient. „Mit um die 50 sollte mit dem Stress Schluss sein, da wollte ich was Neues auf dem Land machen“, sagt er und blinzelt in die Herbstsonne. Das hat er mit seiner Lebensgefährtin geschafft. Sie sind Selbstversorger und haben noch was anderes für sich und die Menschen in der Umgebung entdeckt – nämlich zu den Beeren die Kunst. Musiker und Schriftsteller wie Ian Late oder Paul Bokowski zaubern auf der Gitarre oder geben Comedy-Schnurren zum Besten. Dass die Kunst zwischen dem Obst funktioniert, sei darauf zurückzuführen, so Aussteiger Kühling, dass viele Städter zwar aufs Land ziehen, aber hier die Kultur der Stadt vermissen. Seine Veranstaltungen, auch mit Freiluftkino und Kinderspielen, sind rund um Kremmen gut besucht, zumal zu kleinen Eintrittspreisen.

Zubrot für Kunst und Beeren bringen auch noch Kaffee, Kuchen und Suppe und der Hofladen, wo es den eigenen Most, Marmelade und andere Leckereien aus der Gegend gibt.Apropos Hofladen. Die Dichte an solchen ist im Ruppiner Land inzwischen so hoch wie selten in Deutschland. Je nach landwirtschaftlichem Hinterland und Geschäftstüchtigkeit variieren Größe und das Angebot. Den größten gibt es auf dem Spargelhof Kremmen. Im Herbst sind es die Kürbisse, die hier ausladend und dekorativ auf Stroh in allen Größen und Farben angeboten werden. Geschäftsführerin Beate Gebauer erzählt, wie die ehemalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) heute über vier Jahreszeiten wirtschaftet: im Frühjahr der Spargel von 200 Hektar Anbaufläche, im Sommer die Heidelbeeren von 45 Hektar, im Herbst die Kürbisse und im Winter der Gänsebraten.

Damit das alles nicht nur im Hofladen über den Verkaufstisch geht, gibt es passend in der früheren Maschinenhalle der LPG dazu die Gaststätte „LandWirt“ und daneben im Winter eine Eisbahn zum Vergnügen und zum Appetit holen fürs Essen.

Schlossherrin Loretta Würtenberger in ihrem öffentlichen Skulpturenpark von Schloss Schwante.
Schlossherrin Loretta Würtenberger in ihrem öffentlichen Skulpturenpark von Schloss Schwante. © SZ/Peter Redlich

Eine Nummer kleiner, aber in der Zahl der Gemüsesorten üppig, bieten es Sabine Schwalm und Georg Rixmann in ihrem Hofladen in Linum. 250 Gemüsesorten auf vier Hektar, darunter über 100 Kürbissorten. Georg Rixmann hat die Samen aus aller Welt zusammengetragen. Und: Zu jedem Kürbis auch ein Zubereitungsrezept sowie mindestens eine Story parat. Wer in Rixmanns Hofladen einkauft, sollte bei ihm einfach nachfragen. Der 68-Jährige mit dem trockenen Humor erzählt gerne.

Wir rollen weiter. Glatter Asphalt zwischen den Orten auf dem Radweg. Nur in Kremmen selbst haben sich die Bürger ihr Kopfsteinpflaster und viele alte Fachwerkhäuser bewahrt. Eins der größten zusammenhängenden Scheunenviertel Europas gehört zur im Kern 3.000 Einwohner zählenden Kleinstadt. Was einst am Stadtrand wegen der Brandgefahr durch schnell entzündliches Stroh errichtet wurde, beherbergt heute Café, antike Möbel, Büros und auch noch Lagerstätten.

Auf dem Radweg nach Schwante liegt eine Bockwindmühle, die am Mühlentag auch noch mal das Getreide zu Mehl mahlt und von einem Verein gepflegt wird. Daneben der Mühlensee und gleich dahinter die nächste Gelegenheit zum Seele baumeln lassen, im Hofladen einkaufen und mit Freunden plaudern. Loretta Würtenberger empfängt am Schloss Schwante. Die ehemalige Richterin und studierte Kunsthistorikerin hat mit ihrem Mann Daniel Tümpel vor drei Jahren das Schloss gekauft.

Die beiden sanieren gerade die Gebäude. Fertig ist jedoch schon ihr Skulpturenpark rund ums Schloss. In dem 15 Hektar großen Park mit englischem Vorbild stellen die beiden Kunsthändler Skulpturen international renommierter Künstler wie Hans Arp, Dan Graham, Björn Dahlem, David Jacobson und George Reckey auf. Etwa 30 sind es, zwischen die man auf den Wiesen seinen Campingstuhl aufstellen oder die Decke ausbreiten und picknicken kann. 60 Apfelbäume bieten Obst – die Kids könnten aufsammeln und mitnehmen, so viel sie wollen, sagt Loretta Würtenberger.

Es ist Nachmittag geworden. Das Sonnenlicht zeichnet unsere Räder als Schatten in die Wiesen. Dort kann man die „WaldWeiber“ Kathrin Stiehl, Cathleen Held und Kathleen Beinrucker beim Kräutersammeln treffen. Die drei zeigen auf beeindruckend einfache Weise, was sich in der nächsten Umgebung alles ins Körbchen zupfen und in der Küche aus Löwenzahn, Brennnessel, Gänseblümchen, Vogelmiere und Schafgarbe würzig Schmeckendes verarbeiten lässt.

Das Rhinluch in Brandenburg mit Seen Kanälen und feuchten Wiesen, hier bei Kremmen
Das Rhinluch in Brandenburg mit Seen Kanälen und feuchten Wiesen, hier bei Kremmen © SZ/Peter Redlich

Noch gut eine Stunde, dann ist es dunkel. Die letzten Kraniche lassen sich in den Wiesen nieder. „Nachts stehen sie am liebsten im seichten Wasser und schlafen, bevor sie am nächsten Morgen wieder zum Pickern in die Felder aufbrechen“, sagt Lisa Hörig, die gemeinsam mit Klaus Becker und zwei weiteren Gefährten die Storchenschmiede Linum gGmbH betreibt. Eine ehemalige Berliner Nabu-Station, welche der Naturschutzverein wegen Unwirtschaftlichkeit aufgeben wollte.

Das Quartett hat die Station nicht nur finanziell mit Garten-Café, freitäglichen Führungen und ihrem Gemüsekisten-Angebot finanziell gerettet. Hier finden inzwischen Schulklassen und Kindergartengruppen zur Vogelwelt und die Touristen zum herbstlichen Kranichschauen ins Rhinluch. Fast wie Holland, nur näher.

Das Rhinluch

  • Das Rhinluch ist eine Niedermoorlandschaft im Norden des Landes Brandenburg, die vom namensgebenden Fluss Rhin durchflossen wird. Es erstreckt sich im Wesentlichen zwischen den Gemeinden Fehrbellin und Herzberg (Mark) im Landkreis Ostprignitz-Ruppin und der Stadt Kremmen im Landkreis Oberhavel.
  • Das obere Rhinluch umfasst etwa 23.000 Hektar. Der Namensbestandteil Luch bezeichnet mehrere Feuchtgebiete im Land Brandenburg, in deren Gewässern das Wasser vor der Anlage moderner Drainagesysteme mehr stand als floss.
  • Das Rhinluch wird heute vor allem für ausgedehnte Weidelandschaft genutzt. Behutsamer Tourismus auf Rad- und Wasserwegen entwickelt sich. Viele Bereiche sind als Naturschutzgebiet gekennzeichnet.
  • Hier ist einer der größten Rastplätze für Kraniche in Europa, die von Skandinavien und dem Baltikum kommend einige Wochen Zwischenstation machen vor der Reise in den Süden.

Ruppiner Land

  • Anreise: Etwa 250 Kilometer von Dresden mit dem Auto; mit dem Zug über Berlin. Die Reisezeit ist ähnlich lang wie mit dem Auto, zweieinhalb Stunden.
  • Unterkunft: Hotel Sommerfeld in Kremmen-Sommerfeld; Seelodge Kremmen; Ferienwohnungen ab 65 Euro; Camping.
  • Fahrräder: Entweder selbst mitbringen oder ausleihen – Hinweise beim Tourismusverband Ruppiner Seenland.

Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Ruppiner Seenland sowie von der TMB Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH. Weitere Informationen:

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