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Im Schwebeflug über die tiefste Schlucht Europas: Reisebericht aus Montenegro

Montenegro hat fünf Nationalparks, Urwälder und eine der tiefsten Schluchten der Welt. Doch die Naturspektakel des kleinen Balkanlandes kennt kaum einer.

Von Lucy Krille
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Das Wasser der Tara hat eine über eintausend Meter tiefe Schlucht in Montenegros Bergwelt gegraben. Das Land bietet unbekannte Superlative.
Das Wasser der Tara hat eine über eintausend Meter tiefe Schlucht in Montenegros Bergwelt gegraben. Das Land bietet unbekannte Superlative. © privat

Eine halbe Stunde noch, dann muss es geschafft sein. Anhalten ist keine Option auf dem Wanderpfad, der auf die Goles-Alm mitten in Montenegro führt. Denn der Weg windet sich steil und uneben den Berg hinauf in knapp 1.700 Meter Höhe.

Im Nationalpark Biogradska Gora in Montenegro wandert man fernab vom Trubel der Touristen, die sich an einem der glasklaren Seen im Tal tummeln. Kaum ein Wanderer verirrt sich auf den Pfad, der Hunderte Höhenmeter überwindet.

Für Anfänger ist der Weg nicht zu empfehlen, denn überall erschweren umgefallene Baumstämme, Wurzeln und matschiger Boden den Aufstieg. Doch die Anstrengung lohnt sich. Nach einer reichlichen Stunde zeigt sich erstmals eine Lichtung, die dicken Bäume in einem der ältesten Urwälder Europas lichten sich und geben den Blick frei auf die Goles Alm.

Einfache Holzhütten zwischen grasenden Tieren

Die Alm ist eines dieser Dörfer in Montenegro, die versteckt und weit abgelegen von der Zivilisation liegen. Das Balkan-Land hat fünf Nationalparks, Natur gibt es in Montenegro an jeder Ecke. Einwohner zählt das Land etwa 600.00 – kaum mehr, als allein in Dresden leben.

Auch auf der Goles Alm gibt es mehr Tiere als Menschen. Kuhglocken läuten träge vor sich hin, als sich die Tiere eine neue Stelle zum Grasen suchen. Ziegen stehen am steilen Hang und begrüßen Neuankömmlinge mit einem herzhaften Meckern. Hühner picken neben losen Zaunfeldern, die rund um das kleine Dörfchen stehen.

Eine Handvoll Holzhütten, eine Sitzgruppe, eine Gemeinschaftshütte und ein Verschlag mit Duschen und Toiletten - aus mehr besteht das Minidorf Goles nicht. Es ist eine besondere Form der Eco Katuns, wie es sie in Montenegros Bergen überall gibt. Hier können Urlauber im Nationalpark oder nicht weit von dessen Eingang in einfachen Zimmern übernachten. Am Morgen bringen die Wirtsleute das frisch zubereitete Frühstück direkt an den Tisch, manchmal ist auch ein Buffet aufgebaut. Im Goles ist auch das Abendessen inklusive.

Raus aus der Hauptstadt Montenegros

Dabei darf der typisch montenegrische Käse nicht fehlen. Dazu gibt es aufgeschnittenes Gemüse, eine heiße Brühe, Zucchini- und Fleischbällchen und Brot. Vielleicht ist es auch nur Einbildung, aber es scheint, als schmecke selbst das staatlich subventionierte Brot, was es überall in Montenegro gibt, hier oben mit Blick auf die untergehende Sonne ein bisschen besser als sonst.

Die Wirtin kocht allein, in einer kleinen, einfachen Hütte. Geheizt wird mit Feuerholz, währenddessen bleiben die Duschen kalt. In den Hütten, die nur mit zwei Betten und einem kleinen Nachttisch ausgestattet sind, wird das Licht durch kleine Solarfelder auf den t. Den Strom bezieht die Wirtin und Vermieterin über kleine Solarplatten auf den Hütten. Im Winter ziehen die Almbewohner wieder hinunter, das Dorf hält dann Winterschlaf.

"Skitourismus gibt es zwar mittlerweile in Montenegro, jedoch nur an vereinzelten Hängen", sagt Marica, die ebenfalls im Eco Village schläft. Die Montenegrinerin kommt jedes Jahr von Podgorica auf die Alm. Zusammen mit ihrem Hund genießt sie dann ein paar Tage die Ruhe, bevor sie zurückkehrt in den „heißen Kessel“. Podgorica erreicht im Sommer regelmäßig mehr als 40 Grad. Anders als in den Küstenorten gibt es in der Hauptstadt aber keine Abkühlung. Trotzdem lebt ein Drittel der Montenegriner in der Hauptstadt. Warum? „Weil dort im Sommer etwas los ist. Es ist die einzige Möglichkeit für junge Leute“, meint Marica.

Im Eco Dorf Goles schlafen Wandergäste in einfachen Holzhütten, die mit kleinen Solarplatten ausgestattet sind.
Im Eco Dorf Goles schlafen Wandergäste in einfachen Holzhütten, die mit kleinen Solarplatten ausgestattet sind. © privat

Fernab vom Massentourismus

Doch im Sommer zieht es sie regelmäßig raus in die Natur, ebenso wie viele ihrer Mitmenschen und Touristen. Überfüllt ist das Land selbst in der Hauptsaison im Juli und August jedoch nicht – zumindest in den Bergregionen. An der Küste und in der Bucht rund um das Kreuzfahrt-Ziel Kotor herrschen aber mittlerweile ähnliche Verhältnisse wie im etwa 100 Kilometer entfernten Dubrovnik in Kroatien. Montenegro ist abhängig vom Tourismus, fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung wird durch die Branche erbracht. Die Zahl der ausländischen Touristen hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Trotzdem sind große Teile des Landes nahezu unberührt und kaum besiedelt.

Diese Flecken Erde lassen sich am besten mit einem Auto über die Panoramastraßen erkunden. Weiter östlich liegt der jüngste und noch am wenigsten entdeckte Nationalpark Prokletje. Weiter südlich schippern Bootsfahrer die Touristen über den Skutarisee, der zu einem Teil in Albanien liegt. Über den Lovcen Nationalpark geht es im Zickzack an zerklüfteten Bergen entlang gen Westen weiter zur Adriaküste oder ins Landesinnere. Im Nordwesten befindet sich zudem das Bergmassiv Durmitor - der bei E-Bike-Fahrern und Wanderern beliebte und bekannteste Nationalpark.

Mit der Seilrutsche über die Tara-Schlucht

Zwischen Durmitor und der Goles Alm in Biogradska Gora fließt zudem der schönste Teil des Flusses Tara. Das glasklare Wasser, durch das jeder einzelne Stein zu sehen ist, hat eine über 1.300 Meter tiefe Schlucht durch die Berge gegraben. Die Tara-Schlucht soll damit nach dem Grand Canyon in Arizona die zweittiefste Schlucht der Welt sein. Neben der eindrucksvollen Djurdjevica-Brücke direkt an der Panoramastraße lässt sich die Schlucht mit einer Seilrutsche überqueren.

Die Zipline-Anbieter setzen die Gäste dafür in einen Gurt . Nach einer kurzen Einweisung geht es an einem Drahtseil hängend gen Abgrund. Voller Adrenalin schwebt man im Sitzen etwa eine halbe Minute mit 50 Stundenkilometer über die gigantische Schlucht auf die andere Seite.

Der Blick nach unten lohnt sich, denn dort schlängelt sich die Tara durch die Wälder und Felsen. Rafting-Gruppen sind mit ihren orangefarbenen Booten nur als kleine Punkte zu erkennen. Auch Klippenspringer zieht es an die Tara. Sie sind von oben aber nur zu erahnen. Die Zipline-Fahrt, mehrere hundert Meter über dem Wasser ist einer von vielen Momenten in Montenegro, in denen einem wieder bewusst wird, wie klein die Menschen doch eigentlich im Vergleich zur Natur sind.