Eine Frau in blauen Hemd hält einen Schlauch in der Hand, tausende Liter Wasser pumpt sie damit vom Fluss in einen großen Lkw-Tanker. „Sie hat ihren Job durch die Automatisierung verloren. Jetzt ist sie Wassertankfahrerin“, erklärt die Taiwanerin Su Yu Hshin, während sie auf die Leinwand blickt. Im Video steigt die Frau nun in den Lkw, und startet den Motor. „Sie wird jetzt eine Stunde bis zur Chipfabrik von TSMC fahren“, sagt Su, die das Video über den taiwanesischen Riesenkonzern erstellt hat. Die 34-jährige Künstlerin beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen des taiwanischen Unternehmen TSMC auf die Umwelt.
Der Chipkonzern produziert mehr als 60 Prozent aller Halbleiterchips weltweit. Die winzigen Transistoren sind unerlässlich für Smartphones, E-Autos, erneuerbare Energieanlagen aber auch Waffensysteme. In Dresden errichtet das Unternehmen eine Chipfabrik bis 2027, es hält einen Anteil von 70 Prozent an dem Werk, das unter dem Label ESMC gebaut wird. Doch hinter der Chipproduktion steckt ein enormer Wasserverbrauch. Dieser führt in Taiwan dazu, das während trockener Monate Wassertankfahrer auf der Insel weit fahren müssen, um die Fabriken zu versorgen.
Su will diese Probleme sichtbar machen. Dafür hat sie zahlreiche Interviews geführt; mit Wissenschaftlern, Aktivisten, Bauern, Wassertankfahrern, die von dem Industriepark Hsinchu betroffen sind. Die Zitate schnitt sie dann zu einem fiktionalen Film zusammen. Trotz abstrakter Perspektiven nimmt er die realen Probleme an dem taiwanischen Fluss Touqian in den Fokus.
Wettkampf zwischen Chip-Industrie und Landwirtschaft
Su erfuhr während ihrer Langzeitrecherche von den Reisbauern, wie existenziell der Kampf um Wasser mit dem Chipgiganten ist. Denn in trockenen Monaten werde ihnen weniger zur Verfügung gestellt. Die Folge: Die Ernten fallen teilweise aus. Dass um den Technikpark herum die Reisfelder verschwinden, sei nicht nur die Folge des wachsenden Flächenbedarfs der Halbleiterfirmen. Es habe auch damit zu tun, dass die Bauern ihre Pacht wegen der wasserbedingten Ernteausfälle nicht zahlen können, erklärt Su. Es gebe aber nicht nur den Wettkampf zwischen Industrie und Landwirtschaft.
Künstlerin Su zeigt ein Foto von einer Wassertankstelle. Obwohl die Industrieregion Hsinchu nach offiziellen Angaben über die besten Wasserquellen und die beste Wasserqualität verfügt, kaufen die Anwohner weiterhin aufbereitetes Wasser oder installieren Wasserfiltersysteme zu Hause. „TSMC hat die bessere Wasserqualität als die lokale Bevölkerung“, sagt Su auf Grundlage ihrer Interviews. Eine Gruppe von Frauen hat deshalb ein Trinkwasser-Referendum gestartet. Und 2021gewonne. 40 Prozent des Trinkwassers, das aus der Flussmitte kommt, durch Haushaltsabwässer sowie industrielle und medizinische Abwässer verunreinigt, so Su.
Die Konkurrenz um das saubere Trinkwasser scheint in dem Industriepark hoch, eben auch weil der Wasserverbrauch des Unternehmens weiter durch den Bau neuer Fabriken steigt. Der Bedarf an Frischwasser könnte bis 2030 um 40 bis 100 Prozent steigen, gegenüber dem Stand von 2022, heißt es etwa vom Finanzdienstleistungskonzern SP Global. TSMC will dagegen steuern, das Ziel: bis Ende 2030 sollen in seinen
Produktionsprozessen rund 60 Prozent Recyclingwasser verwendet werden.
„Wir nennen TSMC ein Wissenschaftsgefängnis“
Die taiwanesische Künstlerin ist wie jedes Kind in Taipeh den Chipherstellern in der Nachbarschaft aufgewachsen. Dort arbeitet in jeder Familie mindestens eine Person direkt oder indirekt für die Halbleiterindustrie. Auch einige ihrer Familienmitglieder und Freunde sind bei TSMC angestellt. "Wir witzeln darüber und nennen TSMC „a scientific jail“ – das Wissenschaftsgefängnis. Die Menschen dort arbeiten viel, der Druck ist enorm, sie kriegen nichts von außen mit, aber das Gehalt ist gut." Trotzdessen das Su so gute Verbindungen zu TSMC hat, bekam sie nie eine Antwort vom Unternehmen. Sie sprach für ihre Videos mit Betroffenen, Professoren und Beschäftigten. Das sei das Seltsamste, diese Intransparenz. Davor warnt die Künstlerin auch in Dresden. „Wir müssen den Wasserdaten von TSMC vertrauen.“ Das mache Kritik am Konzern schwierig, es fehle die Evidenz, sagt die Künstlerin, die mit Hydrologen über die Problematik sprach. TSMC sei wichtig für die Wirtschaft, aber man dürfe die Umweltkosten nicht vergessen. Das belegen auch Zahlen der Beratungsgesellschaft BCG: Die Chipindustrie stoße weltweit im Jahr so viel klimaschädliche Treibhausgase aus wie die Hälfte der US-Haushalte.
FDP-Ministerin: Kunst, die durch Kreativität und Tiefgang überzeugt
Die Taiwanerin ist 2017 nach Leipzig gezogen, dort absolvierte sie ihr Masterstudium in Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Ihre Werke folgen meistens den Spuren des Wassers, dafür hat sie schon unzählige Preise erhalten. Unter anderem den mit 30.000 Euro dotierten deutschen Bundespreis für Kunststudierende. Sie habe „mit ihrem Talent und Können Kunst geschaffen, die durch Kreativität und Tiefgang überzeugt und berührt“, schreibt etwa auch die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) über ihre Installationen zur Wasserproblematik.
Dass die Künstlerin und Aktivistin den Fokus auf Umweltschäden legt, sei auch darauf zurückzuführen, dass die Temperaturen in ihrer Geburtsstadt Taipeh jedes Jahr höher klettern. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir als Kind so heiße Sommer hatten“, sagt sie, während sie durch ihre eigene Ausstellung in der Berliner Galerie von Alexander Levy läuft.
Dort hängen an der Wand Wafer. Kreisrunde Platten, die als Basis für die Chipherstellung dienen. Su hat sie mit Bildern vom Ozean bedruckt. „Wir speichern Daten in den Chips, aber für die Produktion muss reines Wasser genutzt werden, dass gefiltert wird und keine Erinnerung mehr hat“, erklärt sie die Gegensätzlichkeit. In der asiatischen Philosophie könne Wasser nicht losgelöst von den sozialen und ökologischen Beziehungen betrachtet werden. Im westlichen Kontext dagegen werde die Flüssigkeit zuallererst als abstrakte Ressource definiert, die ausgebeutet werden könne, erläutert sie. Die Künstlerin will deshalb nicht nur die Wasserknappheit erforschen, sondern auch die persönliche und lebendige Verbindung dazu.
Su will Wasserproblematik in Arizona erforschen
In Zukunft möchte Su weiter an TSMC dranbleiben. Im Herbst fliegt sie nach Arizona – dort baut TSMC in der Wüste eine Chipfabrik. In der Region will sie mit der lokalen Bevölkerung sprechen, besonders mit den indigenen Gemeinschaften. Ob sie auch in Dresden später recherchieren wird, weiß sie nicht. „Hier in Deutschland gibt es mehr Regulierungen, man muss abwarten.“ Ihre Augen und Ohren hat sie aufgesperrt, weiß sie doch aus ihrer Heimat, wie Intransparent der Konzern ist und wie hoch die wirtschaftlichen Interessen über den Umweltkosten liegen.
Das Video von Su läuft noch immer in der Ausstellung. Die Wassertankfahrerin erreicht gerade die Halbleiterfabrik. Doch dann stoppt sie, fährt zurück, nimmt den Schlauch und pumpt das Wasser wieder in den Fluss. Das flüssige Gold wird das Chipunternehmen nie erreichen, zumindest in diesem Video.