Alte Regeln verhindern neue Straßenbäume

Malschwitz. Viele Menschen sind gekommen, um am Mittwoch der Einweihung der "Allee der Bäume des Jahres" im Malschwitzer Ortsteil Brösa beizuwohnen. Kinder zeigen ein Programm, singen "Alt wie ein Baum" von den Puhdys, sagen Gedichte auf. Im Anschluss gibt es Bier und Sekt; Saft für die Jüngeren. Inmitten der Menge steht Hans-Georg Graf.
Graf ist 84 Jahre alt, leidet an Krebs, zog wegen seines Alters kürzlich aus Spreewiese - "diesem Paradies", wie er es nennt - nach Dresden. Hans-Georg Graf liebt Bäume und seine geistige Heimat. Für beides kämpft er. Nicht eigentlich wegen der Pflanzen. Eher wegen der Verbindungen, die sie schaffen - und wegen der Verbindlichkeiten.
Aus der Initiative eines Einzelnen entstand ein Lehrpfad
Wie hier in Brösa, wo "der langweiligste Teil des Rundwegs um den Ortsteil Wartha bisher verlief", wie Ortsvorsteher Andreas Skomudek es formuliert. 32 junge Bäume wachsen hier inzwischen auf 950 Metern Wegstrecke. Jeder von ihnen war einmal Baum des Jahres - weshalb jedem von ihnen eine eigene Tafel gewidmet wurde. Im kommenden Jahr wird ein weiterer dazukommen. Und dann noch einer.
19.000 Euro hat Hans-Georg Graf aus dem sächsischen Mitmach-Fonds für seinen Baum-Lehrpfad erhalten. Dass der auch genehmigt wird, war nicht Bestandteil der Auszeichnung. Genausowenig wie die ehrenamtliche Arbeitskraft, die darein fließen musste, um dem Gedanken zur Wirklichkeit zu verhelfen.
Hans-Georg Graf hat seine "verrückte Idee" dennoch umgesetzt; hat Enthusiasten mobilisiert, gegen Ämter und Behörden gekämpft. Zwei Jahre lang hat das gedauert. "Als Einzelkämpfer bist du machtlos", sagt er. Und: "Die Autolobby hat noch immer gewonnen." Das sächsische Programm zum Schutz von Straßenbäumen, -reihen und -alleen hält er für Wahlkampf.
Keine vereinfachten Regeln vor Jahresende
Diese Vermutung können die zuständigen Ministerien kaum entkräften: Geltende Verordnung im Verhältnis von Straßenbäumen und Verkehrsteilnehmern sind derzeit die Esab, die "Empfehlungen zum Schutz vor Unfällen mit Aufprall auf Bäume". Das Papier stammt aus 2006. Straßenbäume haben mindestens im Abstand von 4,50 Meter vom Straßenrand gepflanzt zu werden, heißt es darin.
Das ist ein Problem, weil beim Ausbau von Straßen immer wieder Baumbestände beseitigt werden. Allein in der Zeit von 2020 bis 2021 seien 233 Bäume an Kreisstraßen gefällt worden, heißt es dazu aus dem Bautzener Landratsamt. Im Jahr davor seien es sogar 450 Fällungen gewesen. Zwar sei die Behörde bemüht, für jeden gefällten Baum Ersatz zu pflanzen. Am ursprünglichen Standort sei das aber meist nicht möglich, weil in der Regel zusätzliches Land erworben werden müsste, um den vorgeschriebenen Mindestabstand zur Fahrbahn einzuhalten.
Die Folge: Das Landschaftsbild verändert sich. Das hat nicht nur optische Konsequenzen. Straßenbäume, erklärt Hans-Georg Graf seien auch Schattenspender für Mensch und Tier; außerdem Kleinbiotope, die zunehmend verschwinden.
Seit einer Weile verkündet das Verkehrsministerium, dass die Esab überarbeitet wird. Das ist folgerichtig, schließlich erachtet die sächsische Koalitionsregierung Straßenbäume als schützenswert. Aber: Vor Ende des Bundestagswahlkampfs können Alleenretter weder vom sächsischen Verkehrs- noch vom Umweltministerium mit Unterstützung rechnen. Und das, obwohl beide Institutionen sich - irgendwie - dem Schutz von Straßenbäumen verschrieben haben.
So heißt es aus dem Umweltministerium, das angekündigte Alleen-Programm, das "die Rechtsgüter Schutz von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer und Erhalt von Alleen gleichermaßen zu berücksichtigen" versucht, werde frühestens Ende 2021 veröffentlicht. Noch vager ist das Verkehrsministerium, das hinsichtlich eines Zeitpunktes der Neuformulierung der Esab erklärt: "Die Ergebnisse der Überarbeitung sind abzuwarten."
Aber das sei noch nicht alles, berichtet Eva Lehmann vom Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft. Im vergangenen Jahr hat sie eine Baumreihe aus alten Apfelsorten an der Landstraße zwischen Guttau und Lömischau erwirkt. Gegangen, sagt sie, sei das nur, weil sie sowohl zu Landeignern und Pächtern der Flurstücke ein gutes Verhältnis pflege.
Zahlreiche Interessen müssen kombiniert werden
Aufwendig sei das Vorhaben deshalb gewesen, weil sie mit allen Grundstückseignern gesondert habe konferieren müssen. Und auch die Landwirte hätten von einer Bepflanzung am Wegesrand eher Umstände als Vorteile - schließlich breche ihnen durch das Pflanzen von Baumreihen Produktionsfläche weg.


Ohne Netzwerk, sagt sie, sei das Pflanzen von Straßenbäumen kaum möglich. Eine Beobachtung, die Hans-Georg Graf teilt: "Es braucht Durchhaltevermögen und den Willen vieler, um Pflanzungen am Wegesrand zu ermöglichen", sagt er. Dass der Kampf um Alleen in Zukunft einfacher wird, kann er sich jedenfalls nicht vorstellen.