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Bekifft ans Steuer: Was die Legalisierung von Cannabis mit sich bringt

Die Freigabe und ihre Auswirkungen sind Thema auf dem Verkehrsgerichtstag. Wir haben vorab mit dem Dresdner Oberstaatsanwalt Jens Hertel gesprochen.

Von Andreas Rentsch
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Freie Fahrt für Cannabis-Konsumenten? Über die Frage diskutieren ab kommendem Mittwoch Juristen auf dem 60. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar.
Freie Fahrt für Cannabis-Konsumenten? Über die Frage diskutieren ab kommendem Mittwoch Juristen auf dem 60. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar. © 123rf.com

Noch ist es in Deutschland illegal, Cannabis zu kaufen. Doch die Ampelregierung hat sich zum Ziel gesetzt, das zu ändern, zumindest für Erwachsene. Der nötige Gesetzentwurf soll noch in der zweiten Jahreshälfte vorliegen. Mögliche Auswirkungen der Legalisierung werden in der nächsten Woche auch auf dem Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar diskutiert. Der Dresdner Oberstaatsanwalt Jens Hertel wird an der Fachtagung teilnehmen – in seiner Funktion als Vorsitzender des Bundes gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS) in Sachsen. Saechsische.de hat vorab mit ihm gesprochen.

Jens Hertel (58) ist Oberstaatsanwalt in Dresden. Ehrenamtlich engagiert er sich beim Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS). Seit 2017 führt er den sächsischen Ableger des Vereins.
Jens Hertel (58) ist Oberstaatsanwalt in Dresden. Ehrenamtlich engagiert er sich beim Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS). Seit 2017 führt er den sächsischen Ableger des Vereins. © privat

Herr Hertel, was bedeutet es für die Verkehrssicherheit in Deutschland, wenn Cannabis legalisiert wird?

Ich möchte zunächst voranstellen, dass der BADS die Position vertritt, dass Cannabis nicht legalisiert werden sollte. Wir sehen Cannabis nach wie vor als Einstiegsdroge für viele andere Drogen. Sollte es dennoch so kommen, dass bestimmte Zugangsgruppen ab einem gewissen Alter Cannabis legal kaufen können, gehen wir davon aus, dass der Konsum zunehmen wird. Dadurch werden auch die Kontrollmöglichkeiten der Polizei erschwert. Denn wenn man legal Drogen konsumiert, dürfte man dann auch theoretisch legal am Straßenverkehr teilnehmen – sofern keine einschränkenden Regelungen getroffen werden.

Wie beurteilen Sie dieses Szenario?

Kommt die Legalisierung wirklich, braucht es flankierende Maßnahmen, die verhindern, das Konsumenten unter Drogeneinfluss am Straßenverkehr teilnehmen. Legalisierter Konsum bedeutet ja nicht, dass die Rauschwirkung – und damit die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit – beseitigt wird. Dieses Problem haben wir jetzt schon, und zwar mit Cannabis, das aus medizinischen Gründen verordnet wird. Bislang gilt laut Paragraf 24a des Straßenverkehrsgesetzes: Wer wegen einer Krankheit ein cannabishaltiges Arzneimittel einnimmt und sich danach ans Steuer setzt, begeht keine Ordnungswidrigkeit. Diese Ausnahme sollte aus dem Gesetz herausgenommen werden. Der Grund der Einnahme verändert ja nicht die Wirkung des Rauschmittels.

Was sind die gängigen Wirkungen des Cannabiskonsums?

Es kommt zu euphorischen Zuständen, Entspannung, halluzinogenen Effekten. Im weiteren Verlauf wird man eher ruhig, verhält sich passiv und ist antriebsgehemmt. Einen typischen Unfall hatten wir vor einiger Zeit in Dresden. Da ist eine Frau mit ihrem Auto ohne jegliche Reaktion über eine Kreuzung gefahren, obwohl dort rechts vor links galt. Die war so entspannt, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kam, noch einmal zu schauen.

Wie wird nach einem solchen Unfall der Drogeneinfluss nachgewiesen?

Die Polizeibeamten machen einen sogenannten Drugwipe-Test. Dafür wird eine Speichel- oder Schweißprobe genommen. Der Schnelltest reagiert auf verschiedene Drogen: Amphetamine, das in Cannabis enthaltene Tetrahydrocannabinol – kurz THC –, Opiate und so weiter. Springt der Test an, besteht ein Anfangsverdacht, und es wird eine Blutentnahme veranlasst. Damit können Rechtsmediziner im Labor feststellen, welche Betäubungsmittel der Verdächtige genommen hat und in welcher Menge sie im Blut vorhanden sind. Diese Werte lassen Rückschlüsse auf den Grad der Beeinträchtigung zu.

So sieht ein positiver Drogentest auf THC aus. Die Aufnahme stammt von einer groß angelegten, länderübergreifenden Kontrollaktion der Polizei im vergangenen Jahr.
So sieht ein positiver Drogentest auf THC aus. Die Aufnahme stammt von einer groß angelegten, länderübergreifenden Kontrollaktion der Polizei im vergangenen Jahr. © dpa/Julian Stratenschulte

Es gibt aber bei Cannabis beziehungsweise THC keinen Grenzwert wie beim Alkohol, bis zu dem keine Strafe zu erwarten ist – zumindest, wenn man unauffällig unterwegs ist?

Richtig, den gibt es nicht. Beim Alkohol ist es klar: Wenn ich 1,1 Promille habe, wird nicht mehr nach Fahrtüchtigkeit oder nach Fahrfehlern gefragt, da ist die absolute Fahruntüchtigkeit erreicht. Dieser Wert ist ausreichend, um als Trunkenheit im Straßenverkehr geahndet zu werden.

Und zwar als Straftat.

Richtig. Diese Regelung gilt allerdings nur für Alkoholfahrten. Um eine Drogenfahrt als Straftat ahnden zu können, bedarf es eines Fahrfehlers und/oder eines Unfalls – ähnlich wie bei Alkoholfahrten mit Promillewerten zwischen 0,5 und 1,1. Ist dieser alkohol- oder drogenbedingte Fahrfehler nachweisbar, dann, ist es eine relative Fahruntüchtigkeit, die auch eine strafrechtliche Ahndung nach sich zieht.

Wie ist es konkret beim Verdacht einer Drogenfahrt?

Stellen die Beamten bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle fest, dass ein Fahrer zum Beispiel erweiterte Pupillen hat oder einen „gechillten Eindruck“ macht, und der folgende Drogentest ist positiv, stellt das noch keine Straftat, aber eine Ordnungswidrigkeit dar. In diesem Bereich gibt es aber einen Grenzwert, den mal der Bundesgerichtshof festgelegt hat.

Und wo liegt der?

Bei einem Nanogramm pro Milliliter THC im Blut. Das ist nicht viel. Salopp gesagt: Da hat man mal am Joint gerochen. Normalerweise werden Werte im zweistelligen Bereich gemessen, also zehn, zwölf Nanogramm. Dann ist es eine Ordnungswidrigkeit, die beim ersten Mal mit 500 Euro, einem Monat Fahrverbot und zwei Punkten geahndet wird.

Und wo liegt die Grenze zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat?

Zur Straftat wird es dann, wenn jemand geschädigt wird, etwa bei einem Unfall.

Wie ist hierzulande das Verhältnis zwischen alkoholbedingten und drogenbedingten Verkehrsdelikten?

2021 hat es bundesweit 13.262 alkoholbedingte und 2.345 drogenbedingte Unfälle mit Personenschäden gegeben. Bei tödlichen Unfällen ist das Verhältnis ähnlich.