„Keiner hätte Verständnis für Streiks“

Der Deutschen Bahn drohen unruhige Zeiten – und der Republik womöglich Lokführerstreiks. Der Grund: Der Konzern wendet ab sofort das Tarifeinheitsgesetz an, wonach nur noch Tarifverträge der Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder hat. Das sorgt vor dem Verhandlungsauftakt mit der Lokführergewerkschaft für Krawall. Die streikerprobte, aber kleinere GDL fürchtet um ihre Existenz. Sie wirbt daher nun auch bei der mit ihr verfeindeten EVG um Mitglieder.
Der Konzern strebt ein notarielles Verfahren zur Feststellung der Mehrheit an. Die Gewerkschaften sollen bis Freitag ihre Mitgliederlisten bei einem Notar hinterlegen. Das Gesetz hat Auswirkungen auf 71 der rund 300 Betriebe des Konzerns. Das umstrittene Gesetz wurde 2015 beschlossen. Die Bahn, sein Auslöser, hatte es bislang nicht angewendet. Eine Regelung, die auch Schlichtungsabkommen vorsah, lief 2020 aus. Die SZ sprach mit DB-Personalchef Martin Seiler.
Herr Seiler, graut Ihnen vor den nächsten Wochen und Monaten?
Die Deutsche Bahn ist in einer großen Krise. Alle sind aufgefordert, an einem Strang zu ziehen. Wenn sich jeder solidarisch verhält, werden wir auch Lösungen finden. Bangemachen gilt nicht.
Am einfachsten wäre es, das Tarifeinheitsgesetz weiter nicht anzuwenden.
Es geht aktuell um zwei Dinge. Es geht um die noch offenen Tarifverhandlungen mit der GDL, die sich bislang dazu verweigert und um die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes. Diesbezüglich ist der Grundsatz-Tarifvertrag von 2015 am Jahresende ausgelaufen, das Gesetz eindeutig. Abweichende Regelungen kann es nur geben, wenn alle Beteiligten – also EVG, GDL und wir – mitmachen. Dazu haben wir die Gewerkschaften aufgefordert. Beide wollen zwar darüber reden, aber wir sind weit entfernt von einer Verständigung. Also sind wir gehalten, das Gesetz umzusetzen.
Die Bahn hat „ihr“ Gesetz bislang nicht angewendet. Ihr Umdenken verhindert nun womöglich eine rasche Tarifrunde.
Die Deutsche Bahn hat eine einmalige Situation. Bei uns werben zwei Gewerkschaften um gleiche Berufsgruppen und gleiche Mitarbeitende in den gleichen Betrieben. Anderswo sind Gewerkschaften eher nach Berufsgruppen unterwegs. Insofern ist das bei der Deutschen Bahn schon besonders. Aber es gibt mit dem TEG eine gesetzliche Grundlage, und die müssen wir umsetzen.

Wie realistisch ist die angemahnte konstruktive Mitarbeit etwa bei Ermittlung der mitgliederstärksten Gewerkschaft?
Uns geht es um ein faires und transparentes Verfahren. Wir wollen nicht die konkrete Mitgliederzahl wissen...
Die geht Arbeitgeber auch nichts an...
Richtig. Wir bieten beiden Gewerkschaften die Möglichkeit, ihre Daten bei einem Notar zu hinterlegen. Wir wollen von ihm nur wissen, wer in welchem Betrieb die Mehrheit hat. Ihr Vertrag wird angewendet. Die EVG will ihre Listen vorlegen.
Sie fordern das im Grunde ohne Not.
Wieso?
Noch gibt es weder Forderungen der GDL, noch Verhandlungen, geschweige einen Tarifvertrag – also keinen laut Gesetz notwendigen Kollisionsfall.
Es gibt bereits Kollisionen in Tarifverträgen, sie gilt es aufzulösen. Es muss Schluss sein, sich zu drücken. Und: Die GDL hat rund 30 Tarifverträge gekündigt. Sie leugnet die Corona-Schäden. Verantwortung sieht anders aus.
Waren die GDL-Ansinnen nicht mit der gescheiterten Schlichtung vom Tisch?
Die GDL hatte im Herbst erklärt, dass die Ende 2020 geforderten 4,8 Prozent mehr Lohn und weitere 41 Forderungen auch für die Tarifrunde gelten. Die hat sie nun zurückgezogen. Die GDL spielt auf Zeit. Der Zickzackkurs muss beendet werden.
Sie wollen sich bei Verweigerung der GDL auf vorliegende Daten in den Betrieben stützen. Welche Daten sind das?
Laut Gesetz muss der Arbeitgeber eine Annahme treffen, welche Gewerkschaft in welchem Betrieb mehr Arbeitnehmer organisiert hat. Dafür gibt es Indizien wie Betriebsratswahlen, wo die Gewerkschaften verschiedene Listen hatten. Teils melden Beschäftigte, welchen Mitgliedsausweis sie haben. Und wir könnten auch Führungskräfte vor Ort fragen.
Und das hätte vor Gericht Bestand?
Natürlich haben die Beteiligten die Möglichkeit der Überprüfung. Dann müsste ein Gericht erneut notariell aktiv werden. Wir wollen von vornherein Klarheit schaffen.