Quads bieten Motorrad-Feeling auf vier Rädern

Wollte man das Quad von Thomas Gernhardt aus Freital mit einem Tier vergleichen, so kommt einem womöglich die Hornisse in den Sinn. Ein fremd wirkendes Insekt, bedrohlich surrend, überaus flink. Tatsächlich dürfte es nur wenige Fahrzeuge geben, die der vierrädrigen Yamaha YFZ 350 auf einer kurvigen Landstraßen entkommen. Denn dort ist das Revier dieses extremen Quads. Auf die Frage, wie schnell er damit fahren könne, antwortet der 42-Jährige gut gelaunt: „153 km/h, GPS-gemessen.“
Straßentaugliche Quads zählen zu den Exoten im hiesigen Verkehr. Zwar waren Anfang Januar 2021 immerhin rund 4.000 Quads in Sachsen zugelassen, der Löwenanteil davon dürfte jedoch stollenbereift und für den Offroadeinsatz ausgerüstet sein. Beim letztjährigen Quadtreffen in Kemmlitz bei Mügeln sei höchstens jeder zehnte Teilnehmer mit einer sogenannten Supermoto angereist, schätzt Marcus Lempe vom Veranstalterteam.
Unfall beendete Zweirad-Ambitionen
Die geringe Verbreitung hat verschiedene Gründe. Zum einen wirkt das Konzept der Fahrzeuge erklärungsbedürftig. Skeptiker sehen in Quads die Nachteile des Motorrads und des Autos vereint. Andererseits gibt es nur wenige Anbieter, die Geländequads Tüv-konform für den Straßenbetrieb umrüsten oder gar Quads von Grund auf neu bauen. Viele Fahrer schrauben ihre Maschinen in Eigenregie zusammen.
Auch Thomas Gernhardt hat es so gemacht. Wäre sein Motocross-Unfall im Jahr 2002 nicht gewesen, würde er womöglich noch heute mit dem Motorrad über Schotterpisten jagen. Doch ein Trainingssturz mit Milzriss und gequetschter Leber bedeutete das Ende für seine Zweirad-Ambitionen. Was blieb, war die Liebe zum Zweitakter. Durch Zufall sei er 2013 auf die vierrädrige Yamaha aufmerksam geworden, sagt Gernhardt. „Die habe ich mir dann gekauft und Schritt für Schritt aufgebaut.“ Die Mühe hat sich gelohnt. Jetzt leistet die „Banshee“, wie die Supermoto in der Szene genannt wird, rund 65 PS. Allemal genug Leistung für die Kurvenhatz.
Es geht immer noch krasser
Gernhardts Kumpel Enrico Seipelt, ein gebürtiger Freiberger, erzählt von einem ähnlichen Werdegang. „Im Nachbardorf gab es einen Steinbruch. Dort hat bei mir alles angefangen.“ Sein zweites Geländequad habe er irgendwann tiefergelegt und mit breiten Achsen und Rädern ausgerüstet. „Ich wollte nichts anderes mehr als Kurven ballern auf der Straße.“ Heute fährt der Baumaschinenmonteur aus Chemnitz eine E-ATV 990 Super Duke R. Die 132 PS starke Maschine ist bereits Quad Nummer sechs für ihn.
Und es geht noch extremer. E-ATV-Mitbewerber Exeet hat kürzlich die Blackbull H2 vorgestellt. Der Kawasaki-Motor dieses Straßenquads leistet dank Kompressoraufladung exakt 200 PS. „Wir hatten acht Vorbestellungen, noch bevor die erste Maschine überhaupt fertig war“, sagt Firmengründer Sebastian Jornitz. Eines der ersten Exemplare sei übrigens nach Sachsen geliefert worden.
Motorrad-Veto der Lebensgefährtin
Die nächste Maschine dieses Typs folgt in wenigen Wochen, neuer Eigentümer wird Mirco Quaas aus Zwickau. Der Mittvierziger erfüllt sich damit einen kostspieligen Traum. Inklusive aller Extras werde seine Maschine über 40.000 Euro kosten, verrät Quaas. Eigentlich habe er zunächst etwas anderes im Sinn gehabt. „Ich wollte immer schon Motorrad fahren. Aber meine Lebensgefährtin und meine Eltern möchten das nicht.“ Quad fahren sei aber „gerade noch drin gewesen.“ Tatsächlich darf er die Blackbull H2 mit einem normalen Autoführerschein (Klasse B) bewegen.
Aus Sicht von Jornitz sind Supermoto-Quads um einiges sicherer als ihre zweirädrigen Verwandten. „Beim Quad ist der Grenzbereich größer.“ Entscheidender Faktor sei die größere Aufstandsfläche der Reifen. Zudem ist die Blackbull mit diversen elektronischen Fahrhilfen bestückt. Notfalls greift ein intelligentes Kurven-ABS oder die dreistufige Traktionskontrolle ein. Sogar unerwünschte Wheelies, also das Abheben der Vorderräder bei voller Beschleunigung, verhindert die Technik.
Das Klischee von der Starrachse
Einige fahrphysikalische Grundkenntnisse zu Quads sollten Anfänger dennoch mitbringen, heißt es beim Institut für Zweiradsicherheit (IFZ) in Köln. So gilt beispielsweise, dass ein Quad deutlichere Lenkimpulse braucht als ein Motorrad. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass keine Schräglage in Kurven möglich ist. Nötig sei stattdessen, aktiv mitzuarbeiten und den Oberkörper zur Kurveninnenseite und möglichst weit nach unten zu verlagern, erklärt Sebastian Jornitz. Die Behauptung, ein Quad laufe aufgrund des fehlenden Heckdifferentials nur geradeaus, sei jedoch Quatsch. „Gokarts haben doch auch Starrachsen. Behauptet da jemand, die könnten nicht schnell um eine Kurve fahren?“
Einen Unfall habe er noch nie gehabt, sagt Enrico Seipelt. Dabei fahre er oft zügig. „Aber ich behalte immer im Hinterkopf, dass ich eine Frau und zwei Kinder zu Hause habe, die ich am Abend gesund und munter wiedersehen will.“ Am liebsten sind er und seine Quadfreunde auf kurvigen Straßen Richtung Erzgebirge unterwegs. Verabredungen laufen spontan über WhatsApp, fürs technische Fachsimpeln gibt es Facebook-Gruppen wie „Streetquads Germany“.
Mirco Quaas aus Zwickau schließt sich gelegentlich einer Biker-Clique an, startet aber auch gern allein zu einer Tour. Das sei seine Methode, eine Auszeit vom Alltag zu nehmen, erklärt der 46-Jährige. „Helm auf, Motor an, losdüsen.“