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Mein Ding: Wie eine Straßenbahn zum Messer wurde

Es ist schwer, es ist scharf, es ist einmalig: Mein selbst geschmiedetes Schneidwerkzeug. Ein Beitrag zum Jubiläum 75 Jahre Sächsische Zeitung.

Von Jörg Stock
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Das war mal eine Straßenbahnfederung: Reporter Jörg Stock mit seinem Messer Marke Eigenbau.
Das war mal eine Straßenbahnfederung: Reporter Jörg Stock mit seinem Messer Marke Eigenbau. © Karl-Ludwig Oberthür

Die Federung eines Straßenbahnwagens dient dazu, dass die Leute weich sitzen. Man kann sie aber auch zum Schneiden benutzen. Allerdings nur, wenn man den Stahl zuvor einen Tag lang bearbeitet, mit Hammer und Hitze, Herz und Funkenflug. Das Ergebnis liegt in meinem Bücherschrank, zwischen Professor Unrat und Wilhelm Tell: ein Messer, ganz aus Metall, mit wuchtigem Griff und blanker Klinge. Es ist massig, wiegt etwa so viel wie dreieinhalb Tafeln Schokolade. Und es ist scharf, trotz seiner Plumpheit. Denn das war die Qualitätskontrolle von Meister Gerd Tannhäuser zum Finale seines Messerschmiedekurses: Jedes Werkstück musste in der Lage sein, die Blätter alter Konstruktionspläne, die er mit Daumen und Zeigefinger in die Luft hielt, in Streifen zu schneiden.

Der Kurs fand in der Schmiede Stolpen statt. Zwecks Reportage hatte ich mir einen der begehrten Hämmer beim „Werkunterricht für Große“ reserviert. Buntes Publikum: Opa mit Enkel, zwei Freizeitjäger, ein Medizintechniker, immerhin mit einschlägigem Hobby – als Schnitzer. Zuerst lernte ich: Messerstahl gewinnt man am besten aus Fahrzeugfedern, von Autos, von Kleinbussen und, tatsächlich, von Straßenbahnen. Mit dem Lufthammer wurde aus dem runden Stück Feder ein flaches gemacht, dann mit Vorschlaghammer, Setzhammer und Schlichthammer die Form definiert, dann mit Ofen und Ölbad der Rohling gehärtet, und dann wurde geschliffen, geschliffen und wieder geschliffen, bis der Papierschnipseltest bestanden war.

Benutzt habe ich das Messer nur einmal, als ich es den Nachbarn zu später Stunde am Lagerfeuer vorführte. Ich glaube, ich habe sogar ein bisschen damit geschnitzt. Seither liegt es bei den Büchern, als Beweis, dass auch ein Kopfarbeiter etwas mit der Faust erschaffen kann. Ich hoffe, es fühlt sich wohl bei Wilhelm Tell. Obwohl der es ja eher mit Armbrüsten hatte. Aber ich könnte ja mal einen Apfel damit schneiden.