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Matthias Maurers Traum vom Mond

Ein halbes Jahr war er fort, seit zwei Monaten hat ihn die Erde wieder. Doch der deutsche Esa-Astronaut Matthias Maurer spürt die Folgen der Schwerelosigkeit immer noch.

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Der deutsche Astronaut Matthias Maurer während Außenbordeinsatzes an der Internationalen Raumstation.
Der deutsche Astronaut Matthias Maurer während Außenbordeinsatzes an der Internationalen Raumstation. © Esa/Nasa

400 Kilometer über der Erde kreiste Matthias Maurer mit der Internationalen Raumstation 177 Tage im Orbit. 36 deutsche Experimente, mehr als 240 insgesamt, hatten er und seine Crew abzuarbeiten. Seit Mai hat ihn die irdische Schwerkraft wieder. Eine Sache mit Folgen, wie er zugibt.

Im Gespräch mit SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin berichtet Matthias Maurer von spannenden Tagen im All, über den Notfall gleich zu Beginn der Mission und über seinen erhofften Flug zum Mond.

Der deutsche Esa-Astronaut Matthias Maurer hier im Interview mit SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin.
Der deutsche Esa-Astronaut Matthias Maurer hier im Interview mit SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin. © DLR/Fotomedien

Herr Maurer, nach der Rückkehr aus der Schwerelosigkeit: Ist die Schwerkraft immer noch für Sie belastend?

Ja natürlich. In der Regel dauert das so vier bis sechs Monate, bis der Körper wieder so ist wie vorher. Ein bisschen Knochenabbau hatte man ja schon, und die Feinmotorik stimmt auch noch nicht ganz. All das muss jetzt wieder in die Gänge kommen.

Wie spüren Sie eigentlich, dass da noch was fehlt?

Ich spüre das direkt eher nicht. Aber die Physiotherapeutin meint, da muss noch ein bisschen Feinschliff rein.

Was war das Anstrengendste bei diesem Raumflug?

Die Landung war einen Tick anstrengender als der Start. Bei beiden hatten wir 4g (vierfache Erdschwerebeschleunigung d. R.). Aber bei der Landung kommt man aus der Schwerelosigkeit, was es dann noch anstrengender macht. Zudem rotiert die Kapsel. Da wird man ein bisschen durcheinandergeschüttelt.

Hat der Magen verrücktgespielt?

Nein, das ging noch. Direkt nach dem Landen habe ich einen Müsliriegel gegessen und etwas getrunken, und es hat geschmeckt.

Und das letzte Essen in der Schwerelosigkeit ...

... das war das Abendessen vor der Landung. Vor allem trinken musste man in dieser Zeit sehr viel. Zwei Liter Wasser waren vorgeschrieben und Salztabletten dazu. Der Magen war also voll mit Salzwasser. Auf der Erde war es dann leckerer. Im Flugzeug gab es einen Obstteller.

Jetzt machen Sie erst einmal Urlaub.

Anderthalb Monate, die brauche ich auch. Im Wald und am Wasser. Aktivurlaub in den Bergen finde ich toll, aber diesmal nicht. Ich lasse die Seele baumeln und entspanne mich.

Zwischen Raumflug und Urlaub waren vor allem medizinische Checks fällig. Auch Metabolic Space, das Diagnosegerät der TU Dresden, haben Sie auf dem Fahrradtrainer unter irdischen Bedingungen wiederholt. Wie war's?

Gut. Die Ärzte meinten nur, „du bist ja tipptopp wiedergekommen“. Und es ist ein tolles Diagnosegerät zur Prüfung der Stoffwechselfunktionen des Körpers. Ich würde mich freuen, wenn's zur Standardausrüstung für künftige Raumflüge wird.

Matthias Maurer während seines Fluges in der ISS Anfang 2022. Hier trainiert er auf dem Fahrrad und Metabolic Space, ein Experiment der TU Dresden misst dabei seinen Stoffwechsel.
Matthias Maurer während seines Fluges in der ISS Anfang 2022. Hier trainiert er auf dem Fahrrad und Metabolic Space, ein Experiment der TU Dresden misst dabei seinen Stoffwechsel. © Esa/Nasa

Was war das Beeindruckendste in diesem halben Jahr im All?

Der Ausstieg, der war einfach klasse.

Wegen der Aussicht, oder war es das gewisse Kribbeln? Wegen der Herausforderung und der Ungewissheit, an diesem außergewöhnlichen Ort zu arbeiten?

Es war einfach die komplette Packung: Dort die Tür aufzumachen, auszusteigen, die Station von außen zu sehen und sich dann entlangzuhangeln. Letztlich war ich nur drei Millimeter vom Vakuum des Alls getrennt. Ich hatte eine tolle Arbeitstour, vom europäischen zum japanischen zum amerikanischen Segment. Die Kollegen an Bord witzelten schon, nimm ja 'nen Pass mit. Es war ein unglaublich schöner Tag. Manches ging zwar schief, aber am Ende haben wir alles geschafft.

Was den Ausstieg aber verlängerte.

Ja genau. 25 Minuten waren wir über die Zeit und haben uns in die Reserve hineingefressen. Insgesamt waren es sechs Stunden und 55 Minuten. Die zwei, drei Stunden Vorbereitung waren indes nicht so angenehm. Man hat da zu viel Zeit zum Überlegen. Das ist schon sehr viel Kopfkino, was da läuft. Da ist schon viel Kribbeln dabei. Als die Luke dann aufging, war das aber vorbei. Dann lief's. Ich habe 1.500 Fotos gemacht und die Kamera für zwei Stunden laufen lassen.

Sie selbst haben sich als Dienstleister für die Wissenschaft bezeichnet ...

... in diesem Fall aber war ich nicht Wissenschaftler, sondern Techniker.

Und dann wieder drin in der Station, was stand für Sie im Flugplan?

Mehr als 240 Experimente haben wir in dem halben Jahr gemacht, 36 aus Deutschland (3 davon aus Dresden, d. R.). Als Werkstoffwissenschaftler träumt man schon davon, ein Elektronenmikroskop im Weltraum in Betrieb zu nehmen. Und genau das konnte ich für die Nasa machen. So was hatten wir bisher noch nie. Die allererste Probe, die ich dann untersuchen durfte, das war ein Stück Marsmeteorit. Da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut.

Wozu braucht man unbedingt ein solches Mikroskop im All?

Es wird ganz essenziell sein, wenn wir zu Mond und Mars fliegen. Wir wollen ja die richtigen, wichtigen Steine mitbringen.

In dem halben Jahr im All hatten Sie ja in der Raumstation Besuch bekommen. Da freut man sich eigentlich.

Normalerweise ja, doch das war dann nicht ganz so. Wir hatten mehrfach Besuch. Der erste war ein japanischer Tourist mit seinem Assistenten. Das fand ich schon etwas dekadent, dass man sich einen Flug kauft und dann noch seinen Sekretär mitbringt. Aber die beiden waren sehr nett. Gestört hat das nicht, sie waren Gast im russischen Segment.

Dann aber kam noch ein amerikanisches Raumschiff von Space-X mit der kompletten Touristen-Crew.

Die waren bei uns im Segment zu Gast und hatten ein durchgetaktetes Programm. Das war zu anspruchsvoll. Sie konnten das nur abarbeiten, weil wir sie unterstützt hatten. Sie haben deutlich mehr Hilfe gebraucht, als die Nasa vorab geschätzt hatte. Wir mussten letztlich die Touristen betreuen.

Und die eigentliche Arbeit die Wissenschaft, blieb liegen?

Ja, so kann man es sagen.

Ist das die Zukunft der Raumfahrt?

Ich denke, die private Raumfahrt wird kommen. Das senkt ja auch die Kosten. Der Zugang wird günstiger . Es werden immer mehr Menschen ins All fliegen. Prinzipiell freut mich das. Sie haben ja den gleichen Traum wie ich, die Erde von oben zu sehen. Und sie werden auch Botschafter für die Erde sein. Andererseits darf der wissenschaftliche Teil nicht an Bedeutung verlieren. Wenn wir fünf Prozent Tourismus haben und 95 Prozent Wissenschaft, und wenn so die Kosten runterkommen, dann kann ich das vertreten.

Eine Begegnung ganz anderer Art hatten Sie auch noch. Weltraumschrott kam an der ISS vorbei. Es gab Alarm. Wie gefährlich war die Situation?

Ja, am vierten Tag meiner Mission. Die Russen hatten einen Satelliten abgeschossen. Die Trümmer waren unterwegs. Wir bekamen nur die Vorwarnung vom Kontrollzentrum: Da kommt eine Schrottwolke auf euch zu. Ein Ausweichmanöver ist nicht möglich. Ihr müsst in die Raumkapseln, und wir drücken euch die Daumen.

Was haben Sie in den Stunden des Wartens gemacht?

Da laufen die vorgeschriebenen Prozeduren ab, um die Station zu sichern. Und dann haben wir ausgiebig diskutiert, was machen wir, wenn hier oder da etwas einschlägt? Man muss auf so etwas vorbereitet sein. Nach drei Stunden durften wir wieder zurück in die Station.

Ein halbes Jahr war Matthias Maurer im All.
Ein halbes Jahr war Matthias Maurer im All. © NASA/ESA

Wird der Weltraumschrott zur ständigen Bedrohung im All?

Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir uns das Weltall nicht zumüllen. Der Weltraum ist eine so wichtige Ressource wie die Meere. Wir sollten nicht den gleichen Fehler im Weltraum noch einmal machen und denken, das All ist ja unendlich groß, da können wir allen Müll hinwerfen. Nein, auf keinen Fall! Wenn wir den Orbit zumüllen, dann verbauen wir uns den Zugang in den Weltraum. Das wäre wie ein Minenfeld mit Folgen für Wettervorhersagen, Umweltbeobachtung, Kommunikation, Navigation und vieles mehr.

Es war etwa Halbzeit für Sie an Bord der ISS, da begann Russland den Krieg in der Ukraine. Wie haben Sie alle in der Raumstation davon erfahren?

Über die Nachrichten, wie jeder andere auf der Erde auch. Da gab es keinen Funkkontakt vorab dazu. Wir alle waren total geschockt. Im amerikanischen Segment haben wir unmittelbar darüber gesprochen. Auch schon die Tage zuvor, als der Truppenaufmarsch begann. Wir waren uns aber alle sicher, nie und nimmer kommt es dort zum Krieg. Wir waren entsetzt.

Haben Sie auch mit den russischen Kosmonauten über den Krieg gesprochen?

Wir sind hier oben Kollegen und Freunde. Es hat die russischen Kollegen genauso getroffen wie uns. Wir waren uns einig, dass wir Krieg alle Mist finden. Eine weitergehende Diskussion hätte am Ende keine Lösung gebracht. Keiner von uns hat irgendeinen Einfluss auf diesen Krieg.

Hatten Sie nach ihrer Landung noch einmal Kontakt zu den russischen Kosmonauten?

Gesprochen haben wir uns noch nicht, aber wir haben Kontakt per E-Mail.

Werden Sie sich mit den russischen Kosmonauten von Ihrer Besatzung noch mal treffen?

Wir haben zusammen trainiert, wir haben zusammen gearbeitet, wir sind befreundet. Wir hatten das Abenteuer Weltraum gemeinsam. Nur weil der Staatschef dieses einen Landes sich so entscheidet zu handeln, bedeutet das doch nicht, dass meine Freunde dort plötzlich nicht mehr meine Freunde sind, die ich schätzen gelernt habe. Der Kontakt bleibt und wird gut bleiben. Wir werden uns auch besuchen.

Kann die Raumfahrt jetzt wieder ein Brückenbauer zwischen den Fronten sein wie damals im Kalten Krieg?

Ich denke schon. Wir werden ja langfristig den Dialog mit Russland wieder aufbauen müssen. Wir haben zu viele Brücken mittlerweile abgerissen, damit wird der Raumfahrt eine besondere Rolle zukommen. Es ist gut, dass wir die ISS als internationales Projekt haben.

Die gemeinsame Arbeit auf der ISS mit Amerikanern, und Russen, funktioniert das dort noch so wie vorher?

Das funktioniert tadellos auf unserer Ebene der Kollegen. Nach wie vor fliegen amerikanische und europäische Astronauten nach Russland und russische Kosmonauten kommen nach Köln und nach Houston. So wie vorher. Die ISS ist einfach zu wichtig, als dass sie unter die Räder kommt.

Werden Sie selbst noch mal nach Russland zur Ausbildung gehen?

Hoffentlich. Ich würde mich sehr freuen.

Welchen Job hat Ihnen die Europäische Raumfahrtagentur Esa jetzt angeboten?

Ich werde im Kölner Astronauten-Ausbildungszentrum der Esa die Mondsimulations-Anlage Luna aufbauen. Bisher bilden wir dort die Astronauten für die ISS aus. Künftig aber auch für die Mond-Exploration. Dieses Projekt hatte ich vor meinem Raumflug angestoßen und werde es nun weiterführen. Wir werden mit dem Bau noch in diesem Jahr beginnen.

Das nächste Ziel, der Mond.
Das nächste Ziel, der Mond. © BREUEL-BILD/CNTV

Dann geht es für Sie also nicht mehr ins All?

Oh doch. Ich hoffe, dass ich in ein paar Jahren noch einen weiteren Flug bekomme.

Wollen Sie dann etwa selbst in Ihrer Mondsimulations-Anlage trainieren?

Natürlich.

Es gibt ja noch drei, vier andere europäischer Bewerber für einen Flug zum Mond. Wie stehen die Chancen für Sie?

Es ist unrealistisch, dass wir alle dorthin fliegen. Normalerweise bekommt jeder zwei Flüge. Das jetzt war mein erster. Dann hoffe ich mal, dass mich der zweite Flug zum Mond bringt. Ob’s für eine Landung auf dem Mond reicht, weiß ich natürlich nicht. Ausgeschlossen ist aber gar nichts. Die nächste Astronautenklasse, für die eben bei der Esa die Auswahl läuft, wird dann sicherlich auf dem Mond landen.

Auch die Chinesen wollen zum Mond. Können Sie sich vorstellen, mit denen mitzufliegen?

Zumindest habe ich in China bereits trainiert und dafür auch Chinesisch gelernt. Aber ich denke, die Kooperation mit China ist in der jetzigen politischen Situation schwieriger geworden.

Zurück zu den irdischen Dingen. Ihr Raumflug hatte die Himmelsscheibe von Nebra als Missionslogo. War das Ihre eigene Idee?

Ja, das war mein eigener Vorschlag. Diese Scheibe gab mir eine supertolle Inspiration. Vor 3.600 Jahren haben sich die Menschen genau die gleichen Fragen gestellt wie wir heute, wenn wir in den Himmel schauen. Was gibt es dort draußen eigentlich? Wie funktioniert das Ganze? Gibt es eine zweite Erde? Und gibt es dort Leute, die genauso wie wir in den Himmel schauen wie wir? Heute sind wir dem Weltraum ein Stückchen näher gekommen. Der Mond ist jetzt für uns greifbar nahe. Die Plejaden aber, ebenfalls auf der Himmelsscheibe dargestellt, sind für uns immer noch genauso weit weg wie für die Menschen damals. Derzeit unerreichbar. Vielleicht in 3.600 Jahren dann.

Was bleibt Ihnen jetzt noch vom All?

Na in den Himmel schauen und träumen. Und dann fliegt da so ein kleiner weißer Punkt vorbei. Das war mal mein Platz unter den Sternen. – Da ist schon ein bisschen Wehmut dabei. Vor allem aber löst das viele Emotionen aus.

Interview: Stephan Schön

Cosmic Kiss hieß die Weltraummission von Matthias Maurer. Das Logo ist inspiriert von der Himmelsscheibe von Nebra.
Cosmic Kiss hieß die Weltraummission von Matthias Maurer. Das Logo ist inspiriert von der Himmelsscheibe von Nebra. © ESA