Dieses Ufo schont den Magen

Dresden/Freital. Rein optisch passt die Neuentwicklung in einen spannenden Science-Fiction-Film aus Hollywood. Mutige Raumfahrer würden damit vielleicht auf dem Mars landen oder auf einem noch entfernteren Planeten. Womöglich taugt sie auch als schicke Raumkapsel für Aliens, die damit die Erde ansteuern. Tatsächlich ist das futuristische Objekt aber eine Revolution für die Automobilindustrie. Wissenschaftler der TU Dresden haben einen neuartigen Fahrsimulator erfunden.
Einzigartig auf der Welt wird er künftig dafür sorgen, dass Unfallsituationen realistisch nachgestellt und modernste Fahrerassistenzsysteme umfassend getestet werden können. Das soll so gut funktionieren, dass das Sitzen an seinem Lenkrad später von der Wirklichkeit im echten Auto nur schwer zu unterscheiden ist. Dafür sorgen eine ausgeklügelte Technik und die Möglichkeit, dass dieser Simulator wirklich fährt.
Beim japanischen Autohersteller Toyota steht seit 2007 der derzeit noch modernste Fahrsimulator der Welt. Für Testzwecke wird in der halbkugelartigen Kabine, die rundherum mit einer Leinwand ausgekleidet ist, ein Auto geparkt. Während der virtuellen Fahrt sieht der Fahrer auf der Projektionsfläche Straßen, Häuser und Landschaft. Die gesamte Konstruktion, in der er sitzt, neigt sich, dreht sich und bewegt sich währenddessen in einer riesigen Halle auf einem Schienensystem. Auf einer Fläche von 35 mal 20 Metern können Bewegungen des Autos damit für Situationen nachgestellt werden, die für Testfahrer in der Wirklichkeit zu gefährlich wären.
Kreislauf-Probleme im Simulator
Das System hat jedoch Grenzen – die Schienen nämlich. "Für eine wirklich gute Simulation muss ich möglichst nah an den realen Erfahrungen des Autofahrers sein", erklärt Günther Prokop, Leiter der Professur Kraftfahrzeugtechnik an der Fakultät Verkehrswissenschaften "Friedrich List" der TU Dresden. Im Idealfall müsste sich der Simulator also frei auf einer Fläche bewegen – genau das ist der neue Ansatz. Prokop entwickelte erste Ideen dazu bereits vor fast 20 Jahren, als er noch für einen großen deutschen Autohersteller arbeitete, und brachte sie 2010 an die TU Dresden mit. Seit 2019 arbeitet ein Konsortium aus Wissenschaft und Wirtschaft an der Umsetzung, finanziell unterstützt vom Bundesforschungsministerium. Das Ergebnis soll auch dem Magen der Testfahrer helfen.
"Ein bekanntes Problem bei Simulatoren ist die sogenannte Motion Sickness", erläutert Prokop weiter. Mancher Nutzer einer VR-Brille kennt das Phänomen. Ihm wird es übel oder schwindelig, während sie im virtuellen Raum unterwegs sind. Unser Gleichgewichtssystem im Innenohr hat Probleme damit, wenn das, was wir sehen, nicht zu unseren Bewegungen passt. Wer im Computerspiel mit VR-Brille rennt oder springt, tut das ja nicht wirklich. Für die Wissenschaftler stand also fest: Der Fahrsimulator muss realistischer werden. "Wir wollen die menschliche Wahrnehmung überlisten", nennt Prokop das Ziel.

Nach einer mehrjährigen Planungsphase wird der Fahrsimulator der neuesten Generation nun gebaut. Zuständig dafür ist der Projektpartner aus Österreich, die AMST-Systemtechnik GmbH. Sie ist ein weltweit führender Anbieter für Flugsimulatoren. "Für uns ist das natürlich ein spannendes Vorhaben, weil im Simulator modernste Technologie steckt und er eine wirklich freie Beweglichkeit ermöglicht", sagt Herbert Pinwinkler, Projektleiter bei AMST. Möglicherweise könnten die Ansätze aus Dresden später auch das Konzept für Flugsimulatoren revolutionieren.
Herz des fünf Meter breiten und fünf Meter hohen Geräts ist die kugelförmige Kuppel, der Dom, in dessen Inneren eine Leinwand einen 220-Grad-Rumdumblick ermöglicht. Der Fahrer nimmt im Cockpit eines Porsche Taycan Platz. Der Automobilhersteller ist langjähriger Partner der TU Dresden. "Es ist kein komplettes Auto, sondern nur der Teil, den es braucht, damit sich der Fahrer wie in einem richtigen Auto fühlt", erklärt Prokop. Der Dom sitzt auf hydraulischen Hebevorrichtungen und einem Drehteller, was ein Neigen und Drehen erlaubt. Die Bewegungsplattform unten lässt den Simulator auf Rädern fahren – nach vorn, hinten, zur Seite oder auch um die eigene Achse.
Testfahrten auf Freitaler Gelände
Mitte des Jahres soll alles fertig gebaut und komplett nach Dresden geliefert sein. Nach einer ausgiebigen Testphase kommt der Simulator danach auf einer Testfläche in Freital zum Einsatz. 70 mal 70 Meter braucht er. Trotzdem wird die futuristische Kugel aber nicht über das Areal rasen. Maximal sind 50 Kilometer pro Stunde drin. "Das reicht aber vollkommen aus, um mit diesem System auch eine Vollbremsung zu simulieren", erklärt Thomas Tüschen, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Kraftfahrzeugtechnik.
Was die Dresdner schon bald können, kann dann auf der ganzen Welt kein anderer. Gerade mit Blick auf neue Anforderungen beim automatisierten Fahren soll der Fahrsimulator in Zukunft helfen. "Wir werden mit ihm intensiv erforschen, wie das Zusammenspiel zwischen Mensch und Fahrzeug funktioniert", sagt der Professor. Denkbar wären solche Forschungen für verschiedenste Autohersteller, weil das System durch seine Software verschiedenste Fahrzeuge simulieren kann.
Einziges Manko: Der Betrieb auf der Freitaler Testfläche ist nur bei schönem Wetter möglich. Deshalb gehen die Ideen schon weiter. Künftig soll eine Halle entstehen, in der neben dem Fahrsimulator auch andere Technologien der Fakultät Verkehrswissenschaften einziehen sollen.