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Großforschung ist entschieden: Astronomie für die Lausitz und Chemie für Leipzig

Zwei Jahre lang wurde aus rund 100 Vorschlägen ausgewählt, nun ist die Entscheidung gefallen: Die Lausitz und der Leipziger Raum bekommen zwei riesige Forschungszentren.

Von Nora Miethke & Stephan Schön
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Das Deutsche Zentrum für Astrophysik will ein gigantisches Gravitationswellen-Teleskop tief unter der Erde im festen Gestein der Lausitz bauen.
Das Deutsche Zentrum für Astrophysik will ein gigantisches Gravitationswellen-Teleskop tief unter der Erde im festen Gestein der Lausitz bauen. © NIKHEF

Langfristiger ist in Deutschland selten etwas geplant worden. Hier geht es nicht um Jahre, nicht um Legislaturperioden. Die Entscheidungen von Donnerstag sollen die Lausitz und das Leipziger Land auf Jahrzehnte verändern. Es sind jene zwei Großprojekte, die den Strukturwandel von der Kohle zu Hochtechnologie-Regionen bringen sollen.

2,2 Milliarden Euro bis zum Jahr 2038 sind zugesichert. Was Anfang 2020 als Idee in Sachsen begann, wurde im August dann Gesetz. Forschung statt Kohle. „Wie kein anderes Land setzt der Freistaat Sachsen beim Strukturwandel auf Innovation und Technologie“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bei der Bekanntgabe der ausgewählten Forschungszentren. „Der Strukturwandel ist eine einmalige Chance, die wir nutzen.“ Weitere Entscheidungen sollen folgen. Dann vor allem mit Blick auf die Infrastruktur. Ohne die gelingt Spitzenforschung in der Region nicht. Die schnelle Bahnverbindung Görlitz-Berlin gehört da zum Beispiel dazu, sagte Kretschmer.

Für Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ist klar: „Die beiden Großforschungszentren sollen der Forschungslandschaft starke neue Impulse auf Topniveau geben.“ Sachsen finanziert von den 2,2 Milliarden Euro 150 Millionen für seine anderthalb Zentren, Sachsen-Anhalt 50 Millionen. 90 Prozent der Gelder kommen dauerhaft aus dem Bundeshaushalt.

Nie war die Konkurrenz in der Forschung größer als bei dieser Ausschreibung. Es ging schließlich um zwei Elite-Forschungszentren. Dort soll eine weltweit so noch nirgends vorhandene Forschung aufgebaut werden, Jobmotor inklusive. An die 100 Ideenskizzen gab es daraufhin. Im Juli 2021 wurden dann sechs davon ausgewählt. Eine Expertenkommission jenseits der Politik machte dies. Dort gehörte auch der Geophysiker und Astronaut Alexander Gerst dazu.

Sechs Projekte hatten dann Zeit bis April dieses Jahres, ihre ausgereiften Konzepte abzugeben. Das Lausitz Art of Building LAB, der digitale Zwilling der Erde Claire. Neue Baumaterialien für Mond und Mars mit Eris und die neue smarte Medizin von CMI. Ausgewählt von 63 Experten in sechs fachlichen Gremien und zusätzlich einer Kommission für Transfer und Strukturwandel wurden gestern aber letztlich das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA) und das Zentrum für Chemie-Transformation (CTC).

An beiden ist auch die TU Dresden maßgeblich beteiligt. Beim einen mit Supercomputern, beim anderen mit chemischer Kompetenz. Und neue Professoren sollen in diesen Fachbereichen schon in Kürze berufen werden. Deren künftiger Arbeitsplatz wird aber nicht Dresden, sondern Görlitz, Bautzen oder Delitzsch sein.

Das Deutsche Zentrum für Astrophysik in der Lausitz

Deutsches Zentrum für Astrophysik will sein Forschungslabor für riesige Datenmengen in Görlitz direkt eingebettet in der Stadt errichten.
Deutsches Zentrum für Astrophysik will sein Forschungslabor für riesige Datenmengen in Görlitz direkt eingebettet in der Stadt errichten. © NIKHEF

Das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DAZ) galt lange Zeit als zu exotisch. Passt hier nicht hin. Oder doch? Wissenschaftler wie Wirtschaftsfachleute gaben dem DZA letztlich die meisten Punkte. Sie sehen darin die besten Chancen, in20 Jahren die Lausitz verändern zu können. Mit einem neuen Bild vom Universum. Und das beginnt in 400 Metern Tiefe, in einem unterirdischen Tunnelsystem von zehn mal zehn mal zehn Kilometern zwischen Bautzen, Kamenz und Königswartha.

Das Einstein-Teleskop ist ein europäisches Großprojekt. Es könnte Gravitationswellen entdecken, die unser Bild vom Universum neu zeichnen würden. Der Lausitzer Granitblock sei hervorragend dafür geeignet, da sehr geschützt, heißt es dazu. Erste Probebohrungen in Ralbitz-Rosenthal bestätigten dies.

Der Astrophysik-Professor Günther Hasinger leitet das Projektteam fürs DZA. Sein eigentlicher Job seit Jahren und noch bis März ist aber bei der europäischen Raumfahrtagentur Esa. Als Direktor für die gesamte Weltraumwissenschaft ist sein Arbeitsplatz bisher in Madrid. Künftig dann in Görlitz.

Die Astrophysiker Deutschlands haben sich zusammengefunden, und wollen dort ihr Zentrum errichten. Das DZA ist die Voraussetzung für das europäische Einstein-Teleskop tief im Fels. Dieses Forschungszentrum in Görlitz soll die immensen Daten der künftigen Satellitenmissionen verarbeiten. Das sind letztlich mehr Daten, als sie derzeit das gesamte Internet verbreitet.

Supercomputing einer ganz neuen Art ist dafür nötig. Die Erfahrung der TU Dresden mit ihren Supercomputern wird dafür genutzt. Deren Herr über alle Großrechner hat am Forschungsantrag mitgeschrieben. Die Rechner der TU werden aber bei Weitem nicht reichen, die Datenspeicher erst recht nicht. Ein großes Rechenzentrum in der Lausitz wird nötig, neue Internetknoten und die stärksten Leitungen – in eine Region, wo es bisher noch mit dem ganz normalen Internet klemmt.

Wie aber kann das Universum die Lausitz retten? Die Ökonomen in den Gutachtergremien glauben, dass im hausinternen Technologiezentrum ausreichend Firmen entstehen. Ebenso außerhalb. Es geht um neuartige Halbleiter-Sensorik, Regelungstechnik, Vakuumtechnik, Mechanik, Optik – die Liste der Fachgebiete für Start-ups ist lang.

Vorbild dafür ist der europäische Teilchenbeschleuniger Cern. In einer eher dörflich geprägten Region an der schweizerisch-französischen Grenze wurde der aufgebaut. Heute befindet sich dort eine der stärksten Technologie-Regionen Europas.

Forschungszentrum für neue Chemie in MItteldeutschland

Eine neue Chemie soll in Mitteldeutschland erfunden werden, weg von Kohle, Öl und Gas. Aus nachwachsenden Rohstoffen sollen die neuen Zutaten kommen
Eine neue Chemie soll in Mitteldeutschland erfunden werden, weg von Kohle, Öl und Gas. Aus nachwachsenden Rohstoffen sollen die neuen Zutaten kommen © Getty Images/ Westend61

Das Center for the Transformation of Chemistry (CTC) wird im mitteldeutschen Revier angesiedelt sein und will eine Kreislaufwirtschaft für chemische Erzeugnisse etablieren. Damit soll die Versorgung Deutschlands und Europas mit wichtigen Feinchemikalien, Materialien und Medikamenten auch in einer klimaneutralen Wirtschaft sichergestellt werden. Dazu sei es dringend notwendig, Ausgangsstoffe, Prozesse und Produkte neu zu denken.

Denn bislang stoße die chemische Industrie große Mengen Kohlenstoffdioxid aus und produziere giftige Abfälle und Abwässer. Um die Widerstandsfähigkeit der deutschen Chemie- und Pharmaherstellung zu erhöhen, wird nach Angaben von Professor Peter H. Seeberger auf lokale Produktionsprozesse aus nachwachsenden Rohstoffen, Recycling und kurze Transportwege gesetzt – bei gleichzeitiger Einhaltung höchster Arbeitsschutz- und Umweltstandards. Seeberger, der die Federführung für das CTC hat, forscht (noch) am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam.

In einer neuen nachhaltigen Kreislaufwirtschaft können aber nicht althergebrachte Verfahren eingesetzt werden, sondern es müssen völlig neue Synthese- und Trennverfahren entwickelt werden.

Dabei müssen die Ausgangsstoffe, die derzeit aus der Verarbeitung von Öl, Gas oder Kohle stammen, in Zukunft aus erneuerbaren Quellen wie Biomasseabfällen, Holz oder Algen gewonnen werden. Künstliche Intelligenz soll die Reaktionsplanung laut Seeberger grundlegend verändern und neue Produktionswege unterstützen.

Das neue Großforschungszentrum setzt auf einen transdisziplinären Ansatz und auf strukturierte Kooperation von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. So wird zum Beispiel Professor Jan Weigand von der TU Dresden seine Forschungsexpertise bei der Entwicklung innovativer Synthese- und Recyclingkonzepte im Bereich der Anorganischen Molekül- und Materialchemie mit einbringen.

Ein besonderer Fokus liegt auf der Wiedergewinnung kritischer Ressourcen wie Phosphor, Seltene Erden oder Lithium. Das von der Auswahlkommission gelobte Technologietransferkonzept orientiert sich an dem des MIT in Cambridge, USA, wo Seeberger als Professor tätig war.

Hauptstandort des CTC, an dessen Finanzierung sich neben dem Bund und Sachsen auch das Land Sachsen-Anhalt beteiligt, soll Delitzsch werden. Ministerpräsident Reiner Haseloff geht jedoch davon aus, dass die eigentlichen CTC-Projekte an den Chemie-Standorten in Sachsen-Anhalt stattfinden werden.