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Die Neandertaler hatten viel zu viele Fehler im Gehirn

Forscher aus Dresden und Leipzig finden Veränderungen in den Genen der Neumenschen. Die machen den Unterschied im Gehirn. Doch welchen Einfluss haben die besseren Nervenzellen letztlich?

Von Stephan Schön
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Die Nachbildung des Neandertalers im Landesmuseum in Bonn. Forensische Methoden erlauben Rekonstruktionen anhand der Knochen. Haare und Bart indes sind eher Fantasie.
Die Nachbildung des Neandertalers im Landesmuseum in Bonn. Forensische Methoden erlauben Rekonstruktionen anhand der Knochen. Haare und Bart indes sind eher Fantasie. © dpa

Dresden/Leipzig. Der Antwort auf eine der ältesten Fragen der Menschheit sind sächsische Forscher einen Schritt näher gekommen. Was macht den Menschen zum Menschen? Wie konnte das Gehirn so einzigartig werden? Und wie ähnlich waren uns die nächsten Verwandten, die Neandertaler? Sie hatten ein ebenso großes Gehirn wie wir. Doch es hatte viel mehr Baufehler als das heutige menschliche.

Zu diesem Ergebnis kommen Forscher vom Dresdner Max-Planck-Institut der Zellbiologie (CBG) und dem Leipziger für Anthropologie (EVA). Sie berichten dazu jetzt im Fachmagazin Science Advanced. Drei winzige genetische Veränderungen machen den Unterschied. Sie führen dazu, dass sich die ursprünglichen Nervenzellen des Neumenschen bei der Teilung 50 Prozent mehr Zeit lassen als beim Neandertaler. Dies wiederum führt zu weniger Fehlern beim Kopieren des Erbguts und der Zellteilung. Das menschliche Gehirn ist deutlich perfekter.

In aufwendigen Zellversuchen kam Felipe Mora-Bermúdez (CBG) gemeinsam mit anderen Dresdner und Leipziger Forschern zu diesem Ergebnis. Der Unterschied ist an der kritischsten Stelle der Gehirnentwicklung: „Es ist die letzte Chance, noch etwas zu korrigieren, bevor neue Nervenzellen durch die Zellteilung entstehen“, ergänzt Forschungsgruppenleiter und CBG-Gründungsdirektor Wieland Huttner „Es ist die Stunde Null sozusagen. Und ausgerechnet hier lässt sich der Mensch so viel mehr Zeit.“

Der Mensch hat das bessere Reparatursystem

Felipe Mora-Bermúdez forscht im Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden in der Forschungsgruppe von Wieland Huttner (re.). Er war einer der Gründungsdirektoren des Instituts. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler haben sie j
Felipe Mora-Bermúdez forscht im Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden in der Forschungsgruppe von Wieland Huttner (re.). Er war einer der Gründungsdirektoren des Instituts. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftler haben sie j © MPI CBG

Ein besseres Kontrollsystem dauert länger, findet aber mehr Fehler und korrigiert sie. Während das menschliche Gehirn nur ein Prozent Fehlerquote habe, sei die beim Neandertaler doppelt so hoch, berichtet Mora-Bermúdez. Aus Beobachtungen in Zellkulturen und aus Genanalysen kennen die Forscher erstmals weltweit nun einen erheblichen Unterschied im Gehirn zwischen Mensch und Neandertaler. Überraschend dabei ist auch, dass Schimpansen in puncto Gehirnentwicklung den Neandertaler näher sind als den Neumenschen. Säugetiere, Echsen, Vögel, eigentlich alle Tiere, arbeiten bei der Gehirnentwicklung nach dem Neandertaler-Prinzip. Vor etwa 500.000 Jahren, nach der evolutionären Trennung von Neumensch muss diese entscheidende Mutation entstanden sein, sagt Svante Pääbo. Er war Gründungsdirektor von EVA und hat für die Vergleiche die Genome von mehreren Neandertalern zur Verfügung gestellt.

Weniger Fehler, bessere Denkleistung

„Welche Konsequenzen das fehlerhaftere Gehirn für den Neandertaler hatte, wissen wir noch nicht“, sagt Pääbo. „Dass diese Unterschiede bei der Fehlerrate ohne Konsequenzen für das Verhalten bleiben, schließe ich aus“, ist sich Wieland Huttner sicher. „So subtil wie das Gehirn ist, bei dem minimale Veränderungen bereits große Verhaltensunterschiede hervorbringen, muss dies Folgen gehabt haben. Vielleicht finden wir die.“ Mit genetische veränderten Mäusen planen Forscher gemeinsam mit einem der weltweit besten Institute in Tschechien dazu Verhaltens- und Intelligenzanalysen.

Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, hält einen Neandertaler-Schädel in der Hand. Sein Team hat das Neandertaler-Genom entziffert und schafft so die Grundlage für genetische Vergleiche mit dem Menschen.
Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, hält einen Neandertaler-Schädel in der Hand. Sein Team hat das Neandertaler-Genom entziffert und schafft so die Grundlage für genetische Vergleiche mit dem Menschen. © Friedrun Reinhold/Körber-Stiftung/dpa