Wie Zebrafische uns helfen können

In dem kurzen Video wuselt es. Kleine grüne Punkte huschen über den Bildschirm von Catherina Beckers Tablet. Es ist eine Aufnahme im Zeitraffer, ein Blick ins Rückenmark einer Zebrafisch-Larve. Die unruhigen Punkte sind Nervenzellen. Die haben in der Aufnahme viel zu tun, denn sie sind im Reparaturmodus. Innerhalb von 48 Stunden bauen sie gemeinsam eine Art Brücke, eine neue Verbindungsstelle über eine Verletzung des Rückenmarks. Die Fischlarve regeneriert.
„Mich erstaunt es immer wieder, dass so ein relativ kleines Tier wie der Zebrafisch die Kapazität hat, so etwas zu tun“, sagt die Professorin mit andächtigem Unterton. Nur drei Millimeter winzig ist solch eine Larve. Was die Wissenschaftlerin gemeinsam mit ihrer Gruppe am Zentrum für Regenerative Therapien (CRTD) der TU Dresden erforscht, könnte in Zukunft aber Großes für die Menschheit bedeuten. Es geht um unsere Fähigkeit, uns selbst zu heilen.
Feuchtwarmes Klima herrscht im Keller des CRTD. Catherina Becker steht in einem Gang, inmitten ihrer Fische, wie sie sagt. In Dutzenden Behältern tummeln sich Zebrafische, die wichtige Grundlage für ihre Arbeit sind. Die Forscherin weiß, dass für Tierschützer solche Aussagen schwer zu ertragen sind. „Wir kümmern uns aber gut um unsere Fische, und in den meisten Fällen nehmen wir für unsere Untersuchungen nur ihre Larven, die weniger als fünf Tage alt sind.“ Eine Grenze, unter der das Verwenden für wissenschaftliche Zwecke noch nicht als Tierversuch zählt. Catherina Becker liebt Fische. Sie sind überall. In ihrem Büro hängen sie als Bilder, aus Asien hat sie extra Schutzmasken mit Fischmotiv bestellt. Selbst der Sohn einer Kollegin kennt ihre Leidenschaft und bastelt ihr regelmäßig Fische.

Während ihrer Doktorarbeit an der Universität Bremen beschäftigte sie sich bereits mit dem Thema Regeneration, damals noch am Beispiel von Fröschen und Salamandern, die dieses Wunder ebenfalls beherrschen. „Die Reparatur des Nervensystems war danach ein Thema, das mich nicht mehr losgelassen hat.“ Schließlich beträfe es so viele Menschen. Patienten mit gebrochenem Rückgrat, Demenzkranke, Menschen mit Hirnverletzungen oder Schlaganfalls-Betroffene: Welche Chance böte sich all jenen, wenn der Mensch imstande wäre, nach dem Verlust wichtiger Neuronen einfach neue zu produzieren?
Forschergespräche am Abendbrottisch
Heute sind die Zebrafische für sie Mittelpunkt, um sich der Lösung dieser Frage zu nähern. „Wir wollen herausfinden, woher so ein neues Neuron im Zebrafisch überhaupt weiß, mit welchen Nervenzellen es kommunizieren muss, um später die richtige Funktion zu übernehmen.“ Und wie finden die neu gebildeten Nervenzellen den korrekten Platz im bestehenden Netz, an dem sie sich einbauen?
Schwerpunkt ihrer Gruppe sind seit einigen Jahren die Mechanismen, die es dem Zebrafisch ermöglichen, sein Rückenmark zu regenerieren. Die Wissenschaftlerin, die seit 2021 am CRTD ist, gilt als eine Pionierin der Rückenmark-Regenerationsforschung in Zebrafischen. In der Schweiz hat sie geforscht, in den USA und Schottland. Für ihre Arbeit wurde sie jetzt mit einer Alexander-von-Humboldt-Professur ausgezeichnet, dem höchstdotierten internationalen Forschungspreis in Deutschland.
Immer an ihrer Seite ist seit dem ersten Studientag in Bremen ihr Ehemann Thomas. Er gehört zur Becker-Forschungsgruppe. Für das Familienleben war das manchmal auch eine Herausforderung. „Natürlich haben wir auch zu Hause oft über unsere Arbeit gesprochen“, gibt sie zu. Für ihre zwei Kinder war das manchmal langweilig. Die Freude über entscheidende Entdeckungen der Gruppe konnte die Familie dann jedoch gleich teilen.

So konnten die Forscher Nervenzellen im Zebrafischgehirn charakterisieren, die mit den Motorneuronen im Rückenmark verbunden sind, und zeigten, welche dieser Verbindungen nach Verletzung neu wachsen können. Die Gruppe identifizierte außerdem Gene, die grundlegend für das Wachstum von Axonen sind, den Fortsätzen von Nervenzellen, die die Nerven untereinander verbinden und elektrische Signale weiterleiten. Des Weiteren fand sie heraus, dass es im Rückenmark von Zebrafischen Stammzellen gibt, die neue Neuronen erzeugen, um die durch eine Verletzung gestorbenen Neuronen zu ersetzen. Vor Kurzem zeigten die Wissenschaftler auch, dass das Immunsystem aktiv an der Reparatur des Rückenmarks beteiligt ist.
Mensch bräuchte länger für Regeneration
Könnte der Mensch durch das so gesammelte Wissen also irgendwann selbst Teile seines Körpers regenerieren? „Rein evolutionär können wir das durchaus“, erklärt sie. Verlieren kleine Kinder die Fingerkuppe über dem ersten Gelenk, wächst die Fingerkuppe nach. „Später geht diese Fähigkeit verloren. Die Frage ist also, was sie abschaltet.“ In regenerationsfähigen Arten produzieren bis dato ruhende Stammzellen bei einer Verletzung Nervenzellen, die die verletzte Stelle überbrücken. In Säugetieren entsteht in solch einem Fall lediglich eine Vernarbung.
Catherina Becker glaubt daran, dass es in den nächsten 20 Jahren große Fortschritte bei der Regeneration im Menschen geben wird. Derzeit verfolgten Wissenschaftler weltweit verschiedene Ansätze. Ihre Gruppe habe zum Beispiel Zellen gefunden, die eine starke Entzündung an der Verletzungsstelle verursachen. Beim Menschen könnten Medikamente solche negativen Entwicklungen während der Regeneration bremsen. Beim Signal für das Aufwecken der Stammzellen und dem Beginn der Produktion neuer Nervenzellen spielt Calcium eine wichtige Rolle. Auch diese Information könnte in Zukunft wichtig sein.
„Der Mensch wird aber nicht in 48 Stunden eine Rückenmarksverletzung regenerieren können wie der Zebrafisch“, sagt sie. Es seien ganz andere Distanzen für die Nervenzellen zu überwinden als in einer kleinen Fisch-Larve. „Wahrscheinlich würde der Mensch eher drei bis fünf Jahre brauchen.“ Für Patienten, die nach einem Unfall nicht mehr laufen können, wäre aber schon das eine große Chance.