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Wo der Chef nicht nur scheffelt

Heute vor 20 Jahren eröffnete Enrico Walkstein sein Café Flair. Er setzt auf konstantes Personal und entscheidet nie allein.

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Von Ingo Kramer

Mit dem früheren Görlitzer OB Matthias Lechner verknüpft Enrico Walkstein eine positive Erinnerung: „Er hat uns 1997 oder 1998 erlaubt, dass wir vor dem Café zwei Parkplätze mit Blumenkübeln absperren, um drei Tische rauszustellen“, erinnert sich der Inhaber des Café Flair in der Brüderstraße 3: „Das war das erste Mal in Görlitz, dass so etwas ging.“ Walkstein freute sich – und stellte tatsächlich drei Tische zwischen die Fahrstraße, die parkenden Autos und den schmalen Bürgersteig, der stets frei bleiben musste.

Manuel Ott, Inhaber Enrico Walkstein und Marco Janke (v.l.) sind schon seit Jahren das Team des Café Flair in der Brüderstraße. Hier zeigen sie eine Spezialität, für die das Lokal mit seinen 40 Plätzen in Görlitz berühmt ist: Kalten Hund.
Manuel Ott, Inhaber Enrico Walkstein und Marco Janke (v.l.) sind schon seit Jahren das Team des Café Flair in der Brüderstraße. Hier zeigen sie eine Spezialität, für die das Lokal mit seinen 40 Plätzen in Görlitz berühmt ist: Kalten Hund. © Artjom Belan

Heute ist er mit seinen 46 Jahren bereits so etwas wie ein Urgestein der Altstadtgastronomie. Als er am 10. Oktober 1996 mit seinem damaligen Compagnon Michael Bischoff eröffnete, war das Café 1900 am Obermarkt schon da, aber sonst mangelte es in der Altstadt an Cafés. „Und da das Café 1900 seither den Betreiber gewechselt hat, bin ich inzwischen der, der am längsten ein Café hier betreibt“, sagt Walkstein. Darüber hat er sich 1996 freilich noch keine Gedanken gemacht: „Wir wollten einfach mal loslegen und gut.“ Auch wenn Bischoff schon nach drei Jahren ausstieg, weil er aus familiären Gründen nach Dresden zog, hat Walkstein die Eröffnung nie bereut.

Nur 2001 war schrecklich: Die Brüderstraße wurde saniert, war das ganze Jahr aufgegraben. Kunden blieben weg: „Da hätten wir das Café auch ganz zulassen können.“ Überleben konnte er nur dank des zweiten Standbeins: Von 1999 bis Ende 2004 betrieb Walkstein nebenher die Cafeteria im Carolus-Krankenhaus. Danach, von Anfang 2005 bis Ende 2014, die Cafeteria im Freibad Obercunnersdorf. Letzteres lief immer plus/minus null, war aber ein zusätzlicher Aufwand. Deshalb zog Walkstein dort den Schlussstrich. Zudem ging es im Café Flair bereits seit 2002 stetig aufwärts, beim Umsatz ist seither jedes Jahr besser als das Vorjahr. Auch 2016 ist wieder das beste Jahr aller Zeiten. Dass Walkstein trotzdem kein reicher Mann geworden ist, liegt daran, dass auch die Kosten stetig steigen: „Aber zumindest ist es inzwischen so, dass wir mit dem Café unser Auskommen haben und davon leben können.“

Das „wir“ ist Enrico Walkstein ungemein wichtig. Zwar ist er seit 17 Jahren der alleinige Inhaber, aber er möchte kein Chef sein, vor dem alle erzittern, wenn er zur Tür hineinkommt. „Was soll mir das bringen?“, sagt er. Stattdessen macht jeder alles: Kuchen backen, Torten herstellen, kellnern. Selbst den Geschirrspüler räumt jeder ein, sogar der Inhaber, der sich auch hier nicht als Chef hinstellen will. Zudem dürfen seine beiden Angestellten Marco Janke und Manuel Ott über alles mitentscheiden. Das betrifft die Frage, welchen Kuchen es morgen geben soll, genauso wie gewichtigere Entscheidungen: Wen stellen wir als neue Aushilfe ein? Fahren wir demnächst zur Messe? „Ich will, dass alle Entscheidungen vom gesamten Team getragen werden, schließlich müssen es hinterher alle gemeinsam umsetzen“, sagt er. Sogar als es um neue Standbeine für das Unternehmen ging, durften die anderen mit entscheiden – und sagten ja. So betreiben sie seit fünf Jahren auch drei Ferienwohnungen in dem Haus. Und seit diesem Jahr hat Walkstein zusätzlich die Hausverwaltung für die 17 Wohnungen und drei Gewerbeeinheiten in dem Gebäude übernommen. Beides seien aber nur Nebeneinkünfte: „Hauptstandbein bleibt das Café.“

Die Angestellten danken es ihm mit Treue. Marco Janke hat im August 2004 als Azubi zum Restaurantfachmann im Café Flair angefangen – und ist seither geblieben. „Es passt untereinander, es ist familiär und macht Spaß“, sagt er. Zudem könne sich jeder auf den anderen verlassen. „Und wenn einer mal schlechte Laune hat, wissen die anderen, damit umzugehen“, sagt der 29-Jährige. Manuel Ott hingegen hat im Mercure und im Sorat Hotelfachmann gelernt, anschließend im Hotel Meridian gearbeitet, wo es für ihn aber mit der Chefetage nicht passte. So bewarb er sich im Café Flair und bekam die Stelle. Die war frei, weil die Kollegin, die zehn Jahre hier gearbeitet hatte, sich nach ihrer Elternzeit auf dem Lande selbstständig machen wollte. Im Mai 2010 stieß er zum Team. „Es hat ein halbes Jahr gebraucht, bis ich voll drin und akzeptiert war“, sagt der heute 28-Jährige. Seither fühlt er sich super wohl, „weil es so familiär ist und weil es im Gegensatz zu anderen Lokalen keinen Streit zwischen Küche und Service gibt und keinen Chef, der aufdreht.“ Da hier jeder alles macht, läuft es Hand in Hand. Und werden die beiden in ein paar Jahren immer noch hier sein? „Ich denke schon“, sagt Marco Janke. „Ich hoffe es“, entgegnet Manuel Ott.

Walkstein dankt es mit gemeinsamen Ausflügen. Zweimal im Jahr geht es gemeinsam auf Messen und anstelle einer Weihnachtsfeier gibt es jedes Jahr einen dreitägigen Ausflug. Dann bleibt das Café zu. Auch am heutigen Montag ist es geschlossen: „Heute gibt es uns seit 20 Jahren, da fahren wir gemeinsam weg“, sagt Walkstein. Das Ziel hat er den anderen noch nicht verraten. Ab morgen ist wieder ganz normal geöffnet: Von 10 bis 18 Uhr, sieben Tage die Woche, fast das ganze Jahr über. Nur zwischen Januar und Ostern geht es erst um 12 Uhr los. Entlassungen über den Winter gibt es hier aber nie.