Merken

Wofür steht Meißen?

Gedanken über Mehr- und Minderheiten und über die notwendige Nächstenliebe.

Teilen
Folgen
© Claudia Hübschmann

Von Bernd Oehler

Schwer erträglich, was sich langsam als alltäglich darstellen will. Was bieten wir den jungen Menschen unserer Stadt zur Identifikation? Wir haben dem Aufmarsch der Initiative Heimatschutz auf dem Meißner Markt am Mittwoch die tragbare Glocke der Initiative „BRÜCKEN bauen“ entgegengestellt – und den Kerzenträger, der schon vor 26 Jahren in der Friedlichen Revolution die Kerzen der Hoffnung getragen hat.

Eine Gruppe couragierter Meißner Bürger versammelt sich vor dem Marktportal der Frauenkirche, wo seit dem Meißner Brandanschlag an jedem Dienstag das öffentliche Friedensgebet der St. Afra Gemeinde stattfindet. Uns gegenüber, auf dem Markt sagt ein Redner, dass er offenbar als Nazi verstanden wird: „Na, dann bin ich eben einer!“

Mein 19-jähriger Sohn, der die Glocke dagegen anläutet, ist fassungslos, dass solche widerwärtigen Aussagen auf unserem Marktplatz beklatscht werden. Sein Zwillingsbruder, der für ein Auslandsjahr in einer kolumbianischen Behinderteneinrichtung arbeitet, muss sich dort dafür erklären, dass er aus Meißen kommt. Eine unserer Töchter kam für einen Hilfseinsatz in der Erstaufnahmeeinrichtung in Bohnitzsch, wo Gott sei Dank viele junge Leute ehrenamtlich arbeiten, aus Berlin hierher.

Ich war wieder in der Minderheit

Wir waren vielleicht 20 Leute, die sich um Glocke, Kerzenträger und das große Banner des Kunstvereines vom Freiheitsfest 2014 versammelten. Die auf dem Markt, die dann „Wir sind das Volk“ skandierten, waren viel mehr. Ich war aber schon vor 1989 in der Minderheit, die Widerstand geleistet hat. Damals, in Leipzig, war ich stolz auf die Selbstermächtigung des Volkes, das seiner Jugend ein Vorbild war. Heute schäme ich mich für die Mitbürger, die ihren Hass auf dem Markt entladen.

Gewiss, viele waren nur mal zum „Gucken“ gekommen. Und natürlich gibt es mit der Aufnahme der Asylsuchenden in unserer Stadt viele Themen, die offen besprochen werden sollten. Dafür hat der OB ja auch zum Bürgerdialog eingeladen. Aber der gestrige Ruf gegen unsere Kanzlerin und der unerträgliche Galgen auf der Pegida-Demo am Montag in Dresden sind eine Verrohung und Enthemmung, die wir nicht hinnehmen können.

Wir haben die Brückenbau-Glocke geläutet als Zeichen für Nächstenliebe und Klarheit um Gottes willen. Wir standen auch für Gespräche bereit. Einer kam und hat sich bei meinem Sohn beschwert, dass ihn die Glocke stört. Ob wir das jetzt immer machen?

Ja, wir werden das jetzt immer machen. Beim nächsten Aufmarsch in 14 Tagen werden Schüler des Landesgymnasiums ab 19  Uhr ein interkulturelles Fest auf dem Heinrichsplatz gestalten. Und in einem Monat werden wir mit dem heiligen Martin durch die Stadt ziehen, der uns das Teilen immer wieder nahe bringt. Die jüngsten Meißner werden mit Lichtern und Lampions wandern und damit Helligkeit vorantragen gegenüber einem Dunkeldeutschland-Denken, das Angst hat, von seinem großen Reichtum etwas abgeben zu müssen.

Wer sich raushält, gibt vieles auf

Dieses Vorbild sollten wir den Kindern und Jugendlichen geben, nicht die jämmerliche Darbietung von Hass, Selbstmitleid und Morddrohung, die in unserer Stadt schon zu Gewalt gegen Sachen und angedrohter Gewalt gegen Menschen umgeschlagen ist. Auch gegen mich.

Ich hoffe, arbeite und bete, dass diese Geistigkeit nicht zur Normalität wird. Wer sich hier raushält, gibt die Schönheit von Menschenliebe, Solidarität und Nächstenliebe auf. Das wirkt sich aus und schlägt zurück. Dann bleibt das Hässliche.

Im Rauhental, wo die Brandschatzer schon am Werke waren, wird unsere große Tochter Cello spielen, zum Willkommen für Flüchtlingsfamilien, die schwerste Schicksale hinter sich haben. Ich wünsche mir, dass wir dies als Meißner Normalität halten und bieten. Da werden täglich Brücken gebaut, durch Diakonie und Rotes Kreuz, Ehrenamtliche und amtlich Zuständige. Wie auch beim Café international an jedem Dienstag in Johannesstift und Johanneskirche, das von Gemeindegliedern und Studenten der Fachhochschule für Sächsische Verwaltung begleitet wird.

Da kann man sich verstehen- und kennenlernen. Dazu ist jede und jeder in der Lage und willkommen. Dieses Meißen lob ich mir, es ist ein guter Ort und freundlich zu seinen Gästen.