Von „unserem gemeinsamen freien Rundfunk“ sprach MDR-Intendantin Karola Wille am Sonntag im Dresdner Schauspielhaus. Damit meinte sie in erster Linie die ARD und das ZDF. Diese neue Bezeichnung ist kein Zufall, sondern Teil eines Strategiepapiers, dessen Inhalt einige Medien am vergangenen Wochenende veröffentlicht hatten.
Die Studie nennt sich „Framing Handbuch“ und wurde von der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling erstellt. Wehling gewann in den letzten Jahren eine gewisse Popularität, weil sie das Erklärungsmuster des „Framings“ in Deutschland bekannt machte.
Das besagt: Sämtliche Worte rufen unabhängig vom jeweiligen Kontext ihrer Verwendung bestimmte Assoziationen hervor. Die Begriffe „Himmel“, „Hammer“ oder „Ekel“ lösen im Gehirn bestimmte Reaktionen aus, wie das Gefühl von Freiheit, Furcht oder auch Unwohlsein. Selbst dann, wenn sie nur als Metapher gebraucht werden.
Daraus formulierte die Wissenschaftlerin schon Ende 2017 Handlungsanweisungen für die ARD. Um die Relevanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu begründen, empfiehlt sie moralische Argumente: „Wenn Menschen sich für oder gegen eine Sache einsetzen, tun sie das nicht aufgrund von Faktenargumenten, sondern weil sie das Gefühl haben, dass es ums Prinzip geht“.
Dazu gehöre auch, die Sprache der Kritiker zu vermeiden. Der Begriff „Lügenpresse“ etwa entfalte auch dann Wirkung, wenn ihm widersprochen wird. Stattdessen gibt Wehling ganz konkrete Beispiele für neue, ARD-freundlichere Begrifflichkeiten: „Die ARD ist der verlängerte Arm des Bürgers“, sei „gegen eine vernachlässigte Demokratie“ und ist „der freie, gemeinsame Rundfunk“.
Anstatt sich nur mit den Anfeindungen auseinanderzusetzen, sollten sich Befürworter in Zukunft eher auf das Setzen eigener Punkte konzentrieren. Deshalb solle man auch auf die Bezeichnung „öffentlich-rechtlicher Rundfunk“ verzichten, weil sie sofort Assoziationen zu Bürokratie und Verstocktheit wecke.
Kommerzmedien sind die Feinde
Wehling empfiehlt zudem die strikte Abgrenzung zu privaten Medien. „Private Sender und Medienkonzerne sind profitwirtschaftliche Sender, deren legitimes moralisches Anliegen die hohe Gewinnmarge ist“, schreibt sie. Das stehe dem Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen entgegen, gemeinschaftlich Programm für alle zu machen. Nicht zuletzt deshalb, weil jeder sie mitfinanziere. Dass es dafür Kritik gebe, sei absehbar und müsse akzeptiert werden. „Was für die ARD gerade groß genug ist, weil es die Interessen aller Mitbürger berücksichtigt, ist für ARD-Gegner viel zu groß.“
Die Argumente bleiben bewusst gänzlich moralischer Natur. So soll auch der besonders gescholtene Rundfunkbeitrag besser präsentiert werden. Es sei falsch zu sagen, der Beitrag müsse bezahlt werden. Besser sei die Formulierung, dass sich die Bürger selbst einen freien Rundfunk ermöglichen.
Kritiker werfen der ARD nun vor, sie betreibe mit einer solchen Sprachregelung Manipulation. Schließlich solle Sprache genutzt werden, um durch bewusstes „Framing“ die Grundhaltung der Öffentlichkeit gegenüber der Medienanstalt positiv zu beeinflussen. Das ist Wasser auf die Mühlen aller, die den Öffentlich-Rechtlichen ohnehin Unehrlichkeit und Parteilichkeit vorwerfen. Spätestens seit der Blog netzpolitik.org am Sonntag das komplette Dokument veröffentlichte, zitieren Kritiker ganze Passagen und ziehen auf diversen Plattformen über die „Arroganz“ der ARD her.
Was sie dabei vergessen: Es handelt sich um kein offizielles Dokument, sondern lediglich um ein in Auftrag gegebenes Strategiepapier. Für dessen Inhalt ist ausschließlich die Autorin verantwortlich. Die 38-jährige Wehling lebt und forscht zudem in den USA, wo die wissenschaftliche Kommunikation noch einmal wesentlich zugespitzter und prägnanter als hierzulande formuliert wird.
Die ARD bemüht sich darum, diesen Hintergrund auch entsprechend zu kommunizieren: „Die Empfehlungen von Dr. Wehling dienen uns als Input und Denkanstoß, an denen man sich auch reiben kann und soll“, sagt ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab. „Es ist ein Angebot an die Mitarbeitenden, sich mit dem Thema offen auseinanderzusetzen.“ Um eine Sprach- oder gar Handlungsanweisung an die Mitarbeiter handele es sich nicht. Vielmehr bedaure man die Veröffentlichung der Studie. Diese sei wegen der fehlenden Entstehungszusammenhänge „zur Weitergabe völlig ungeeignet“.
Doch so unverbindlich, wie die Generalsekretärin sagt, scheint der Umgang nicht zu sein. Im vorher zitierten Interview verwendet auch Susanne Pfab den von Wehling vorgeschlagenen Begriff „gemeinsamer, freier Rundfunk“. Sie benutzt also die vorgeschlagenen Begriffe.
„Schutzzölle“ oder einfach „Zölle“?
Dabei ist es für ein großes Medienunternehmen grundlegend, sich immer wieder die Wirkmächtigkeit von Sprache bewusst zu machen. Auch wenn es im Strategiepapier hauptsächlich um die öffentliche Meinung zur ARD geht, gibt Wehlings Ansatz doch sinnvolle Hinweise für die Redaktionen. „Es ist ein Unterschied, ob wir im Programm beispielsweise von Schutzzöllen, Strafzöllen oder einfach nur von Zöllen sprechen. Das müssen wir in Zukunft stärker berücksichtigen“, sagt Susanne Pfab.
Auch MDR-Intendantin Karola Wille hatte sich bei ihrer Rede über den "Gemeinsamen freien Rundfunk“ des Framings bedient. Sie folgte dabei Wehlings Empfehlung, die ARD bewusst von allen privaten Medien abzugrenzen, und sprach lange von der Werbeabhängigkeit der anderen Anbieter. Eine Erklärung zum Framing-Handbuch fehlte hingegen, obwohl Einzelheiten des Papiers zu diesem Zeitpunkt längst bekannt waren. Die Studie war 2017 unter dem ARD-Vorsitz von Karola Wille in Auftrag gegeben worden.
Das gesamte "Framing Handbuch" der ARD finden Sie hier zum Nachlesen.