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Würstchenbude à la Grandhotel

Der Künstler Bernhard Kremser baut einen Hotdog-Stand im Stil der 1920er Jahre – für den Görlitzer Untermarkt.

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© Nikolai Schmidt

Von Frank Seibel

Görlitz. Dieser Husten. Mörderisch und nicht enden wollend. Und das in dieser feinen Umgebung: überall der mondäne Glanz der späten 1920er Jahre. Wenn es jetzt eine Bar gegeben hätte! Einen erlösenden Weinbrand, die Atemwege weitend. Bernhard Kremser spinnt. Und er lacht. So, sagt er, hätte diese verrückte Idee entstanden sein können. Aus einer skurrilen Szene als Statist heraus, in einem ebenso skurrilen wie preisgekrönten Film. Für Wes Anderson saß Bernhard Kremser vor vier Jahren im eigentlich leeren Görlitzer Kaufhaus, das für Augenblicke wie diese ein „Grand Budapest Hotel“ war.

Inspiriert ist der Hotdog-Stand vom Film „The Grand Budapest Hotel“.
Inspiriert ist der Hotdog-Stand vom Film „The Grand Budapest Hotel“. © Screenshot:SZ

Und nun? Der Husten ist vorbei und überstanden. Bernhard Kremser steht in seinem Atelier in der Hartmannstraße, das zum Film passt: alter europäischer Geist, schwer zu bewahren. Tuben, Pinsel, Spatel, fein aufgereiht auf der Bühne, die sonst dem Generalkonsul der Republik San Marco gehört, den Bernhard Kremser hier gelegentlich augenzwinkernd auftreten lässt.

Jetzt aber hat der 64-jährige Bildhauer, Grafiker und Maler keine rote Schärpe um einen schwarzen Gehrock gelegt. Er hat einen braunen Hut aufgesetzt, eine gleichfarbige Weste und eine schwarze Handwerkerhose mit ausreichend vielen Reißverschlüssen. Handwerker. Künstler.

Hier, in der Hartmannstraße, im Parallelschatten der Berliner, wird der Geist der Zwischenkriegszeit wieder greifbar. Gemeinsam mit seinem „Altgesellen“ Robert Förster baut Bernhard Kremser an einem Kunstwerk, das vor dem Grand Budapest Hotel seinen Platz finden könnte. Einen Imbisswagen könnte man das nennen – aber das wäre ja keine Kunst. Ein Hotdog-Stand – das beflügelt schon ein wenig mehr die Fantasie. Ein Hotdog-Stand im Art-déco-Stil. Das ist es, was Bernhard Kremser in den vergangenen Wochen konzipiert und vorbereitet hat. Noch wenige Tage, dann wird er fertig sein und dann seinen Platz am Untermarkt finden. Eine Spezialanfertigung für Matthias Holfert, den Wirt des Café Gloria, das den Pariser Charme der 1920er Jahre aufnimmt. Vor dem Restaurant soll noch in diesem Sommer der ungewöhnlichste Imbiss-Stand der Oberlausitz seinen Platz finden. Holfert und Kremser haben schon vor 15 Jahren zueinandergefunden. Im Garten des benachbarten Gasthauses „Sankt Jonathan“ hat Kremser schon einen „Renaissance“-Brunnen geformt, zudem ein edles venezianisches Häuschen für die Mülltonnen – alles aus Beton und Zink statt aus Sandstein und Kupfer. Perfekte Täuschung.

„Es geht darum, Bilder zu erzeugen“, sagt Bernhard Kremser auch mit Blick auf sein neues Projekt. Für den Hotdog-Stand gibt es kein Vorbild. „Aber wir tun so, als wäre das ein Original aus Philadelphia aus dem Jahr 1932 – und wir gestalten es einfach ein bisschen um.“ Stil und Humor gehen hier Hand in Hand. So ist es feine Ironie, wie an der Schauseite des Wagens ein Frauenkopf im Stil der „Goldenen Zwanziger“ im Profil gezeigt ist – und wo man die elegante Zigarette mit langer Filterhülse erwarten würde, hält die extravagante Lady eben einen Hotdog. Dessen Brötchen ist mattgold, die Wurst schwarz, wie auch das Haar der Dame, und wie der Grundton des gesamten Ensembles. Die Anregung für den schönen Spaß kam von Matthias Holfert. Bei einem gemeinsamen Abendessen zeichnete Bernhard Kremser einen ersten Entwurf für einen Hotdog-Stand im Stil der 1920er. Anregungen für die Gestaltung fand er nicht nur in Kunstbüchern, sondern gleich um die Ecke, ja sogar im eigenen Haus. Das Gebäude in der Hartmannstraße, wo Kremser lebt und arbeitet, wurde vom bedeutenden Görlitzer Architekten Gerhard Röhr entworfen, der vor allem in der Goethestraße und der Carl-von-Ossietzky-Straße etliche Villen gestaltet hat und auch das Eingangsportal zur Straßburg-Passage prägte.

Die Grenzen zwischen Jugendstil und Art déco sind dabei fließend, auch zeitlich. Beide Stile finden sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Allerdings, erklärt Bernhard Kremser, wandte sich die Art déco vom klassischen Ornament ab, das sich an der Pflanzenwelt orientierte. Die zunehmende Industrialisierung aller Lebensbereiche nahmen die Designer und Architekten des Art déco auf. „Man spürt das Industrielle“, sagt Kremser. Aber es blieb das Bekenntnis zu Verzierungen ohne Funktion. Insofern war diese Kunstrichtung konservativer als das Bauhaus, das ab dem Jahr 1919 von Weimar und Dessau aus die schmucklose Funktionalität und Klarheit forderte.

So hätte der Imbisswagen auch einfach ein Würfel mit herausgeschnittenen Rechtecken über den Tresen werden können. Aber er hat abgerundete Ecken und ein Dach, das mit seinem flachen Giebel und dem schmalen Lichtband an Mètro-Stationen in Paris oder Wien erinnert. Diese Verzierungen sind es, die den Künstler fordern. „Wenn das jetzt hier sechs Zentimeter dick ist, nicht vier, dann ist der ganze Wagen perdu“, sagt Bernhard Kremser und deutet auf die Messing-Umrandung des Tresens. Illusion will gekonnt sein.