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Zahlt Deutschland für halb Europa die Zeche?

Der EU-Gipfel in Brüssel hat einen dauerhaften Auffangschirm gegen die Pleite einzelner Staaten beschlossen. Die SZ analysiert die Folgen.

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Von Detlef Drewes,SZ-Korrespondent in Brüssel

Die EU-Staaten wollen ihre Wirtschaftspolitik enger verzahnen, um gegen die Schulden- und Währungskrise zu bestehen. Kanzlerin Angela Merkel sagte nach dem Gipfeltreffen in Brüssel am Freitag, der vereinbarte Rettungsschirm gehe „wieder ein Stück in Richtung Wirtschaftsregierung“ der EU. Bis März sollen weitere Details geklärt werden. Der Gipfel verzichtete darauf, den vorhandenen Rettungsschirm für Krisenländer wie Irland mit mehr Geld auszustatten. Ein Detail des Treffens: Montenegro wird EU-Beitrittskandidat.

Was kostet uns der alte und neue Rettungsschirm?

Bisher hat Deutschland keinen Euro dafür gezahlt. Der heutige Rettungsschirm umfasst 440 Milliarden Euro, hinzu kommen noch 210 Milliarden des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission. Doch dabei handelt es sich lediglich um Bürgschaften. Die Bundesrepublik steht mit rund 125 Milliarden ein, falls ein Land, das Geld bekommen hat, seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Der neue Krisenmechanismus ab 2013 wird wohl mindestens die gleiche Größenordnung haben. Es gibt aber bisher keine Deckelung. Sollte es dabei bleiben, könnten die Mittel auch erhöht werden, falls mehr Länder Hilfe benötigen.

Die anderen machen also Schulden – und wir zahlen?

Ganz so einfach ist das nicht. Die Unterstützung aus dem Krisenfonds wird nur der „letzte Ausweg“ sein. Eine weitere zentrale Bestimmung legt fest, dass nur dann Gelder aus der künftigen und dauerhaften „Unterstützungskasse“ entnommen werden dürfen, wenn „die Euro-Zone als Ganzes in Gefahr“ geraten ist. Außerdem sind die Finanzmittel an sehr strenge Auflagen geknüpft, die richtig wehtun – wie man in Irland und Griechenland sieht. Leichtfertig wird sich also keine Regierung in die Hände der europäischen Helfer fallen lassen.

Was passiert, wenn ein Staat nicht zurückzahlen kann?

In einem solchen Ernstfall müssten die Bürgen, also auch die Bundesrepublik, gegenüber den Anlegern haften. Für Griechenland hat man übrigens bereits die Frist zur Rückzahlung von drei auf fünf Jahre verlängert. Sollte es aber wirklich zu einer Pleite kommen, bliebe nur eine Umschuldung. Und dann würde Deutschland tatsächlich für das Land einspringen und dessen Schulden mittragen müssen.

Wer wird den neuen Hilfsfonds füllen?

Zunächst einmal alle Euro-Staaten und zwar entsprechend ihren Anteilen an der Europäischen Zentralbank (EZB). Aber auch die Länder ohne Gemeinschaftswährung beteiligen sich. Großbritannien hat beispielsweise acht Milliarden Euro für Irland zur Verfügung gestellt. Ab 2013 sollen sich allerdings auch private Gläubiger wie Banken einbringen – allerdings nur „von Fall zu Fall“. Was das genau heißt, muss in den nächsten Monaten erst noch ausgearbeitet werden.

Immer neue Hilfen . Ohne Folgen für Steuerzahler?

Auf den ersten Blick kaum zu glauben: Immer neue Milliarden werden versprochen, außerdem stockt die EZB ihr Grundkapital auf – aber der Steuerzahler bleibt angeblich völlig unberührt. Tatsächlich ist bisher kein Steuergeld geflossen. Das Eigenkapital der Europäischen Zentralbank stammt von den nationalen Banken, also auch von der Deutschen Bundesbank. Sie muss ihren Anteil der höheren Einlagen in drei Schritten bis 2012 leisten. Das geht, ohne dass die für den Bundeshaushalt einkalkulierten Gewinne geschmälert werden. Es ist wirklich so: Der EU-Krisenfonds in Luxemburg nutzt die Einlagen, um sich Geld auf dem Markt zu beschaffen, das er an die gebeutelten Länder weiterreicht. Der Vorteil: Mit diesem Finanzpolster im Rücken bekommt die EU billiger Finanzmittel, als wenn ein Risikokandidat es sich selbst beschaffen müsste. Insofern fließt tatsächlich kein Steuergeld – bisher.

Wird hart durchgegriffen, wenn ein Staat übertreibt?

Der Gipfel hat den verschärften Euro-Stabilitätspakt beschlossen. Davon haben sich die Entscheider versprochen, dass härter durchgegriffen wird, wenn ein Land über seine Verhältnisse lebt. Ob diese neue Konsequenz aber durchgehalten wird, ist offen. Entscheidend sind aber die präventiven Maßnahmen, um zu verhindern, dass es überhaupt zu Strafen kommt. Deshalb werden die EU-Staaten ja vom kommenden Jahr an ihre Etatentwürfe in Brüssel vorlegen und prüfen lassen müssen. Nur der, der die Empfehlungen der Kommission zu Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit nicht umsetzt, muss mit Sanktionen rechnen.

Was wird aus der Idee einer Wirtschaftsregierung?

Diese Forderung ist keineswegs vom Tisch. Die Lehre aus diesem Euro-Krisenjahr heißt: Vor allem die Euro-Staaten, aber auch die übrigen EU-Länder müssen ihre Politik besser aufeinander abstimmen. Wenn jeder macht, was er will und über seine Verhältnisse lebt, betrifft das alle. Hinter dem Stichwort „Wirtschaftsregierung“ verbirgt sich in der Praxis die Abstimmung der Wirtschaftspolitiken sowie der Faktoren, die entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit sind. Um es anders zu sagen: Die EU, die bisher ein Markt war, soll nun auch ein politischer Block werden.

Wer nimmt diese Rolle der Wirtschaftsregierung ein?

Die Staats- und Regierungschefs haben sich sozusagen selbst als Wirtschaftsregierung inthronisiert. Natürlich bleibt die Kommission als „Hüterin der Verträge“ für die Einhaltung der Vereinbarungen zuständig. Aber der Europäische Rat, wie der EU-Gipfel offiziell heißt, wird die entscheidenden Weichenstellungen der Wirtschaftspolitik vornehmen. Diese Aufteilung ergibt Sinn, denn es gibt nicht nur in Deutschland eine Verfassung, die eine weitgehende Übertragung nationaler Hoheiten an Brüssel entweder einschränkt oder gar unmöglich macht. (mit dpa)

www.european-council.europa.eu