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Zahnärztin hinterlässt Lücke

Hiltrud Strecker aus Ostritz hat sich in den Ruhestand verabschiedet. Ein Nachfolger aber fehlt.

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© Rafael Sampedro

Von Thomas Christmann

Das Aufhören ist ihr durchaus schwer gefallen. In ihre Praxis geht Dr. Hiltrud Strecker jetzt nur noch, um die restliche Büroarbeit zu erledigen. „Ein komisches Gefühl“, sagt die Zahnärztin aus Ostritz, die mit 66 Jahren die Tätigkeit beendet hat. Patienten – die bis aus Großhennersdorf, Bernstadt, Zittau und Görlitz zur Behandlung kamen – brachten an den letzten Arbeitstagen daher Blumen und Geschenke vorbei, sind teilweise traurig über den Entschluss, aber gönnen ihr den Ruhestand auch. Sie spricht von einem sehr herzlichen Abschied nach 35 Berufsjahren.

Ursprünglich hat Frau Strecker auf dem Gymnasium eine Ausbildung zur Gärtnerin in Görlitz gemacht. Zu DDR-Zeiten ist das einer von vier wählbaren Berufen gewesen, die in den 1960er Jahren parallel zum Abitur abgeschlossen werden mussten. Nebenbei spielte sie Akkordeon an der Musikschule und nahm für die BSG Lokomotive Görlitz an Schwimmwettkämpfen teil. Anschließend folgte eine Ausbildung zur Krankenschwester am Bezirkskrankenhaus.

Mangelnde Mitarbeit für die Gesellschaft

Nach dem staatlichen Examen bewarb sich Frau Strecker fürs Medizin-Studium in Berlin, weil die Görlitzerin laut eigener Aussage mehr wissen und leisten wollte – doch erhielt erst einmal zwei Absagen. Der Grund: Mangelnde Mitarbeit für die Gesellschaft. So übernahm sie den Posten der Vertrauensperson, des FDGB-Kassierers, brachte Kindern vom klinikeigenen Spielmannszug die Noten und jenen im Sportverein das Schwimmen bei. Im dritten Anlauf kam Frau Strecker an die Humboldt-Uni in Berlin, der Heimatstadt ihrer Mutter. Nach dem Studium zog sie zurück und begann ihre Facharztausbildung an der Görlitzer Poliklinik für Stomatologie.

Der Vater war zu der Zeit schon verstorben, Mutter und Tochter lebten in einer Anderthalb-Raum-Wohnung eines Altbaus. „Damit wollten wir uns nicht abfinden“, sagt die 66-Jährige. Doch weil beide in Görlitz keine bessere Bleibe finden konnten, zogen sie in einen Armeeblock am Nordring in Ostritz, zumal damals das Landambulatorium der Stadt einen Zahnarzt suchte. Dort bekam Frau Strecker die Mangelwirtschaft zu spüren. Beispielsweise erhielt sie das Metall für Brücken und Kronen zugeteilt, der Kunststoff für Prothesen fehlte, Patienten konnten oft nur mit Füllungen versorgt werden. „Man musste sich etwas einfallen lassen“, sagt die Zahnärztin, die nebenbei promovierte.

Viele Patienten besaßen lückenhafte Gebisse, klagten unter Kiefergelenkbeschwerden, die Zähne lockerten sich dadurch, mussten raus. „Ein Ringelspiel“, so Frau Strecker. Sie stellte sogar wegen der schlechten Versorgung einen Antrag auf Ausreise, doch nichts bewegte sich. Die aufgebaute Verbindung zu den Patienten, sie zurückzulassen – das tat der 66-Jährigen nach eigenen Worten leid.

Sie blieb. Dann kam die Wende, das Ende des Materialmangels und der Schritt in die Selbstständigkeit. Kredite mussten aufgenommen werden. Die Zahnärztin spricht von einer schweren Zeit, die sie aus ihrer Sicht nur mit Gottes Kraft bewältigen konnte. Man habe auf vieles verzichtet, sagt die Adventistin. Zudem sank die Zahl der Patienten über die Jahre, von rund 1 800 auf zuletzt etwa die Hälfte. Diese seien verstorben oder weggezogen, begründet die Ostritzerin den Rückgang.

Sie blieb noch bis 1998 im Ambulatorium, beschäftigte inzwischen drei Schwestern. Feuchte Wände und nur ein Behandlungsraum führten dazu, sich ein neues Objekt zu suchen: Das Haus am Hang 7. Mit ihrem Lebenspartner baute sie im Erdgeschoss eine Praxis mit zwei Sprechzimmern ein, darüber wohnen beide bis heute. Manch älterer Patient sprach von einem Umzug auf die Alm. Aber Frau Strecker ist das lieber als ein Wassergrundstück gewesen.

Nachfolgersuche seit 2010

Ab 2010 begann die Zahnärztin einen Nachfolger zu suchen, beispielsweise über das Internetportal oder die Praxisbörsen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Ihre Erfahrung: Junge Kollegen würden überwiegend lieber angestellt sein, regelmäßig Urlaub und freie Wochenenden haben und in der Großstadt leben. Voriges Jahr sprach sie einen Kollegen aus Görlitz an, ob er Interesse hat, Ostritz als Zweigpraxis zu übernehmen. Dieser plante, seinen Standort zu erweitern, Assistenten einzustellen. Doch durch eine Krankheit und den nicht genehmigten Umbau bei sich ließ der Zahnarzt das Projekt Ostritz fallen. Einige Patienten hatten sich laut Frau Strecker schon bei ihm angemeldet.

Mangels Nachfolger zögerte sie daher, auch dieses Jahr aufzuhören. „Man fühlt sich noch nicht so alt“, sagt die 66-Jährige. Und Arbeit stand noch genug an. Aber irgendwann müsse man die Reißleine ziehen, weil man nie wisse, wie lange die Gesundheit noch mitspiele, so Frau Strecker. Im zweiten Quartal reduzierte die Ostritzerin deshalb die Sprechzeiten.

Die Patienten haben sich selbst einen anderen Zahnarzt gesucht. „Ich wollte keine Werbung machen“, erklärt sie. Ein Teil ist bei Kollegen in Ostritz untergekommen, viele in Hagenwerder und Görlitz. Was aus ihrer Praxis wird, weiß Frau Strecker noch nicht. „Vielleicht ergibt sich noch etwas“, sagt die Zahnärztin im Ruhestand. Erst mal will die 66-Jährige abschalten, sich Zeit für Hobbys wie die Pflanzenzucht, die Leichtathletik, Akkordeonspielen nehmen, Englisch lernen und reisen – etwas für sich tun.