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SZ + Zittau

Wie lässt sich die Corona-Zeit aufarbeiten, Herr Mengel?

Der eine Bruder Arzt, der andere Anwalt: Schon einmal haben Mathias und Torsten Mengel aus Zittau öffentlich ihre Erfahrungen in der Pandemie diskutiert. Was sagen sie heute?

Von Jana Ulbrich
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Die Brüder Dr. Mathias und Torsten Mengel (r.), der eine Arzt, der andere Anwalt, haben die Corona-Pandemie ganz unterschiedlich erlebt. Zum zweiten Mal haben sie ihre Sicht jetzt diskutuert.
Die Brüder Dr. Mathias und Torsten Mengel (r.), der eine Arzt, der andere Anwalt, haben die Corona-Pandemie ganz unterschiedlich erlebt. Zum zweiten Mal haben sie ihre Sicht jetzt diskutuert. © Matthias Weber/photoweber.de

Es war einer der meistgelesenen Artikel auf saechsische.de und in der Sächsischen Zeitung: Im Herbst 2021, auf dem Höhepunkt der dritten Infektionswelle, diskutierten die Zittauer Brüder Torsten und Mathias Mengel ihr ganz unterschiedliches Erleben der Corona-Pandemie.

Torsten Mengel (58) ist Rechtsanwalt. Bis heute sieht er die Einschränkungen der Freiheitsrechte und die Aushebelung der Demokratie in der Zeit der Corona-Verordnungen kritisch. Sein jüngerer Bruder, Dr. Mathias Mengel (54) ist Arzt und Ärztlicher Direktor des Klinikums Oberlausitzer Bergland. Er erlebte die Pandemie von ihrer todbringenden Seite - und das Krankenhaus in einer Ausnahmesituation von bis dahin nie gekanntem Ausmaß. Mit einer Äußerung, in der der Begriff "Triage" fiel, hatte er bundesweite Aufmerksamkeit erregt.

Inzwischen ist die Pandemie für beendet erklärt. Keine Maskenpflicht, keine Schulschließungen, keine Besuchsverbote mehr. Dafür überall spürbare Folgen vom unerforschten Long-Covid-Syndrom bis zum Kegelverein, der nicht mehr existiert. Wie gehen wir nun damit um? Was ist zu tun? Was bleibt von der Pandemie? Wie kann, wie muss diese Zeit jetzt aufgearbeitet werden? Torsten und Mathias Mengel haben sich diesen Fragen erneut gemeinsam gestellt. In der bemerkenswerten Ausstellung „1000&DeineSicht. Vom Ausbruch zum Aufbruch aus der Pandemie“, die zurzeit in der Baugewerkeschule am Zittauer Stadtring zu sehen ist, haben sie am Sonntag diskutiert.

Was war das Schlimmste für Sie während der Pandemie?

Mathias Mengel: Die große Not in den Infektionswellen, jeden Tag aufs Neue abzuwägen: Wie schaffen wir das heute? Für wen haben wir auf der Intensivstation ein Beatmungsgerät frei? Wen können wir verlegen? Wie viele Pflegekräfte haben wir überhaupt zur Verfügung? Es war die schwierigste Zeit mit den größten Herausforderungen, die wir je erlebt haben. Wir hatten als kleines "Provinz"-Krankenhaus mehr Covid-Fälle zu versorgen als die Uniklinik in Leipzig. Das muss man sich mal vorstellen. Von den Pflegekräften auf den Covid-Stationen waren zum Schluss alle physisch und psychisch total am Ende. Sie sind inzwischen alle auf andere Stationen gewechselt.

Torsten Mengel: Für mich als Anwalt ist es natürlich die Art und Weise, wie die Gesellschaft die Pandemie zu bewältigen versucht hat und dabei alles rigoros der Gesundheit untergeordnet wurde. Die Gesellschaft, die sich freiheitlich-demokratisch nennt, hat plötzlich angefangen, mit den Freiheitsrechten zu jonglieren: Demonstrieren dürft Ihr, aber nur zu zehnt! Ihr dürft eure Großeltern nicht besuchen! Ab 22 Uhr ist Ausgangssperre! Und wer dagegen verstoßen hat, der wurde kriminalisiert und bekam Ordnungswidrigkeitsanzeigen. Das hat mich sehr enttäuscht.

Waren die Maßnahmen aus heutiger Sicht übertrieben?

Mathias Mengel: Wenn ich das jetzt mal auf die Hygienemaßnahmen und die Besuchsverbote im Krankenhaus beziehe, muss ich zurückfragen: Wer will das beurteilen? Keiner hat das Monopol auf Wahrheit und Allwissenheit und kann sagen: Das war übertrieben. Wir haben immer vor der Frage gestanden: Wie können wir die Menschen retten? Dafür haben wir auch viel Zeit in endlosen Sitzungen verbracht. Niemand hätte akzeptiert, wenn wir festgestellt hätten, die Menschen sind gestorben, weil wir vielleicht zu wenig getan haben. Aus heutiger Sicht kann man sicher vieles anders sehen, die Impfpflicht für die Mitarbeiter zum Beispiel.

Torsten Mengel: Aus meiner Sicht waren viele der angeordneten Corona-Schutzmaßnahmen nicht nur übertrieben, sondern teilweise auch Willkür und - meine persönliche Meinung - wie zum Beispiel die Ausgangssperren auch verfassungswidrig. Der Staat hat Grundrechte und Freiheitsrechte der Bürger in großem Maße eingeschränkt - oft auch, ohne die Parlamente zu fragen. Die Wirksamkeit von Maßnahmen hätte immer wieder überprüft und abgewogen werden müssen. Das ist nie in ausreichendem Maße erfolgt.

Was hätte aus heutiger Sicht anders laufen müssen?

Torsten Mengel: Zum Beispiel die alleinige Ausrichtung aller Maßnahmen an Inzidenz-Werten, die - bezogen auf die Orte - schon ziemlich fragwürdig waren - auch juristisch fragwürdig.

Mathias Mengel: Dazu würde ich auch die Allmacht von PCR-Tests zählen, mit denen diese Inzidenzwerte errechnet wurden. Oder die darüber bestimmt haben, ob jemand als genesen gilt. Wir wissen, dass diese Tests auch immer mal wieder mit Vorsicht zu genießen waren und zur Verwirrung beigetragen haben.

Wie kann die Pandemie jetzt aufgearbeitet werden?

Mathias Mengel: Wir müssen uns im Klinikalltag selber hinterfragen: War dies oder jenes aus heutiger Sicht wirklich notwendig oder nicht. So eine Aufarbeitung hat es bei uns noch nicht gegeben. Was aber noch viel wichtiger ist: Wir müssen dringend über eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Kliniken für die Grundversorgung in der Fläche reden. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass die definitiv nicht ausgereicht hat und auch jetzt nicht ausreicht. Wir reduzieren Intensiv-Betten nicht, weil wir das bezahlt bekämen, wie es durch die sozialen Medien geistert, sondern weil wir kein Personal haben für die Patienten in diesen Betten. Das wäre für mich das Hauptproblem einer Aufarbeitung.

Torsten Mengel: Ich denke, wir müssen jetzt mal einen Schlussstrich ziehen und eine Art Burgfrieden schließen, um nach vorne zu sehen. Dazu gehört, dass wir auch denen zuhören, die während der Pandemie nicht gehört worden sind. Wir haben seit der Pandemie mittlerweile ein völlig falsches Verständnis von Demokratie. Demokratie heißt: Eine gewählte Mehrheit entscheidet und nicht eine administrative Minderheit. Und wir müssen dringend über die menschliche Seite reden: Über die Existenzängste von Krankenschwestern, die sich nicht impfen lassen wollten oder über alte Menschen, denen man - wohlmeinend - die Enkel vorenthalten hat. Wir müssen Fragen stellen. Und auch Fragen stellen dürfen.

Die Ausstellung „1000&DeineSicht" der Städtischen Museen Zittau, in deren Rahmen die Diskussionsrunde mit Torsten und Mathias Mengel stattgefunden hat, ist noch bis Mitte September in der ehemaligen Zittauer Baugewerkeschule, Theaterring 1, zu sehen. Geöffnet ist Donnerstag und Freitag 10 bis 17 Uhr, Sonnabend und Sonntag 14 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Es kann aber gespendet werden.

Nächste Veranstaltungen sind eine Lesung mit Frank Dingeldey, der Gedichte zur Pandemie und der Spaltung der Gesellschaft geschrieben hat, am 15. Juni, 17 Uhr, eine Lesung mit Sonja Knüvener am 18. Juni, 17 Uhr, und ein Gespräch mit dem Leiter der Altenpflege GmbH St. Jakob, Raik Urban, am 22. Juni 16 Uhr.