Die Angst, die bleibt

Das letzte Mal ist erst drei Wochen her: Es ist Sonnabendnachmittag, der 17. Juli. Seit Stunden schüttet es wie aus Kannen. Wir werden unruhig, sehen immer wieder abwechselnd aus dem Fenster und auf den Laptop: Als der Wetterdienst im Regenradar noch stärkere Schauer ankündigt, als sich wenig später auf der interaktiven Karte vom Landeshochwasserzentrum der Punkt für unseren Fluss-Pegel von gelb auf orange färbt - von Alarmstufe 1 auf 2, ziehen wir Gummistiefel und Regenmäntel an.
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Die Nachbarn sind alle schon draußen. Die Feuerwehr kommt. Jeder weiß, was zu tun ist: Wir bringen Katzen, Autos und Gartenmöbel in Sicherheit. Wir verbarrikadieren Türen und Fenster. Die Handgriffe sind geübt. Die Spundwände stehen griffbereit. Mehr können wir nicht tun. Ab jetzt können wir nur noch warten und hoffen, dass es auch diesmal wieder glimpflich ausgeht - oder andernfalls unsere Spundwände dichthalten.
Wir wohnen am Landwasser in Oderwitz, einem munteren, kleinen Bächlein. Als es am 7. August 2010 - übrigens auch einem Sonnabendnachmittag - in einer gewaltigen Flutwelle über die Ufer tritt und sich das Wasser meterhoch in die Wohnstuben ergießt, sind wir vollkommen unvorbereitet. Ein solches Szenario hatte in unserer Vorstellung keinen Platz. Obwohl wir alle wussten, dass es früher schon verheerende Hochwasser bei uns gab. Im letzten Jahrhundert gab es zwei - 1966 und 1981. Aber das kollektive Gedächtnis vergisst, wenn es nicht immer wieder erinnert wird.
Jetzt vergessen wir nicht mehr. Im Gegenteil. Die Erinnerung drängt sich uns viel öfter auf, als uns lieb ist: Dem Hochwasser vom 7. August 2010 folgt schon wenige Tage später ein zweites, ein drittes erleben wir im September 2010, ein viertes im Juli 2011, ein fünftes - das schlimmste - am 9. Juni 2013. Seitdem haben wir immer wieder Glück gehabt. Auch am 17. Juli. Irgendwann hört es auf zu regnen. Der Landwasser-Pegel sinkt wieder. Aber wir sehen die Bilder aus Neukirch und Wilthen, Hörnitz oder Eckartsberg, fühlen mit den Menschen, die an diesem Nachmittag nicht so viel Glück haben wie wir.
Unsere Angst, die bleibt. Sie wächst mit jedem Dauerregen, mit jedem starken Gewitterguss. Manchmal stehen wir nachts auf und sehen nach dem Wasserstand. Das ist keine wilde Panik. Das hat uns die Erfahrung gelehrt. Zigmal schon haben wir in den letzten Jahren unsere Spundwände einbauen müssen. Und wir werden es wohl künftig immer öfter tun.
Mit dem Klimawandel werden extreme Wetterereignisse häufiger - nicht erst irgendwann, sondern spürbar schon heute. Nicht nur am Landwasser, auch an Pließnitz und Mandau, am Löbauer oder Spitzkunnersdorfer Wasser, am Jonsdorfer oder am Olbersdorfer Grundbach, ja selbst dort, wo gar kein Gewässer in der Nähe ist, wo sich Schlammlawinen von Feldern in die Orte ergießen. Wir haben das alles schon erlebt.
Aber wir sind heute auch klüger. Wir haben gelernt aus der Katastrophe von 2010 - und viel getan, um uns und unser Hab und Gut besser zu schützen. Wir haben privat im Kleinen investiert, die Kommunen im Großen: Alleine in Oderwitz sind nach den Hochwassern 2010 und 2013 mehr als 5,2 Millionen Euro in die Schadensbeseitigung geflossen - in neue Brücken, neue Stützmauern, ein breiteres Bachbett.
Aber das alles wird nicht reichen. Es muss zukünftig auch im Großen noch viel mehr um einen vorbeugenden, sinnvollen und nachhaltigen Hochwasserschutz gehen, um Schutzdämme zum Beispiel, um das Verlegen von Flussläufen, um ausreichend Überschwemmungsflächen, um Hochwasserrückhaltebecken. Doch das kostet, und es ist leichter gesagt als getan.
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Der Bau eines sinnvollen Hochwasserrückhaltebeckens scheitert in Spitzkunnersdorf beispielsweise seit Jahren an Grundstückseigentümern, die dafür Land hergeben müssten. Und in Oderwitz scheitert der Plan an der Frage von Aufwand und Nutzen: Ist eine solche Baumaßnahme gerechtfertigt, wenn sie teurer würde als der Schaden, den sie im Ernstfall verhindern würde? Wie viel Schutz ist also sinnvoll? Und zu welchem Preis? Auch das muss man ehrlich diskutieren.
Und man muss ehrlich sagen: Es wird nie reichen. Hochwasser sind unberechenbar und nicht zu verhindern. Einen 100-prozentigen Schutz wird es nicht geben. Auch, wenn wir heute viel klüger sind: Die Angst, sie wird bleiben.