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"Die Not ist noch nicht groß genug"

Andreas Grahlemann, in Rente gehender Chef der drei Kreiskrankenhäuser, über die Corona-Krise, Sparzwänge, die Zukunft von Glossen und eine Fusion mit Görlitz.

Von Thomas Mielke
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Andreas Grahlemann.
Andreas Grahlemann. © Matthias Weber (Archiv)

Auf den Tag genau fünf Jahre wird Andreas Grahlemann am 31. Mai die Geschicke der drei Kreiskrankenhäuser Ebersbach, Zittau und Weißwasser gelenkt haben. Er ist Geschäftsführer der Holding "Managementgesellschaft Gesundheitszentrum des Landkreises Görlitz mbH" - kurz MGLG - und Geschäftsführer der einzelnen Häuser. Er hat das Rentenalter erreicht, geht Ende des Monats in den Ruhestand und zieht jetzt Bilanz:

Herr Grahlemann, sind die drei Krankenhäuser in Ebersbach, Zittau und Weißwasser am Ende Ihrer Amtszeit gut für die Zukunft gerüstet?

Für Fragen der Strategie sind fünf Jahre ein sehr kurzer Zeitraum. Eigentlich muss man die Entwicklung mindestens für zehn Jahre betrachten, Trends erkennen, Änderungen denken und herbeiführen, wenn die meisten noch gar keine Änderungsnotwendigkeit sehen. Strategien führen zu Veränderungen, die manchmal auch weh tun, die man aber nicht erst umsetzen kann, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen beziehungsweise der Druck von außen schon so groß ist, dass es keine Alternativen mehr gibt. Ich durfte Impulse setzen und habe das eine oder andere weiterentwickelt, um eine gute Basis für die kommenden Jahre zu schaffen.

Was für einen Impuls zu Beispiel?

Den Konzerngedanken, den Gemeinschaftsgedanken zwischen den Standorten zu stärken. Ich habe die Zentralisierung unter dem Dach der MGLG vorangetrieben. Heute gibt es zum Beispiel nur noch eine IT- und Personalabteilung in Zittau mit einer schlagkräftigen Mannschaft für alle drei Standorte. Oder beim Einkauf, wo wir Mitglied in einer Einkaufsgemeinschaft mit mehreren Hundert Krankenhäusern sind. Das setzt Standardisierungen und Zentralisierungen voraus und hat dadurch Auswirkungen auf die Einkaufspreise, die man erzielt, und damit auf die Kosten. Wir selber sind viel zu klein und könnten niemals mit der Industrie auf Augenhöhe verhandeln.

Stichwort Kosten und Einsparungen. Aller Voraussicht nach wird der Staat Sie - und viele andere Krankenhäuser - zwingen, die Bettenzahl zu reduzieren. Wie weit sind die Vorbereitungen?

Es gibt noch keine speziellen Vorbereitungen. Aber ich habe eine klare Meinung dazu: Wir geben in den Krankenhäusern die Mittel der Beitragszahler aus. Deshalb sind auch Krankenhäuser per Gesetz existenziell gezwungen, wirtschaftlich zu arbeiten. Heute haben unsere Ärzte eine größere Behandlungsbreite mehr als vor Jahren, die Medizintechnik kann mehr, die Komplexität in den Behandlungen hat zugenommen. Das alles kostet auf der einen Seite Geld, sehr viel Geld. Demgegenüber verzeichnen wir in unseren drei Krankenhausstandorten in den letzten Jahren auch Fallzahlrückgänge und haben damit auf der anderen Seite teilweise nur noch durchschnittliche Auslastungen von 70 Prozent. Die Belegungsnorm sind 85 Prozent. Wir sprechen also immer von leeren Betten, die reduziert werden sollen.

Die Fallzahlen und damit die Auslastung sind in den letzten drei Jahren deutschlandweit deutlich zurückgegangen, weil die Kostenträger darauf achten, dass mit neuen Behandlungsmethoden immer mehr ambulant gemacht wird. Im Landkreis Görlitz kommen unter anderem noch wegen der Grenznähe verkleinerte Einzugskreise und der generelle Einwohnerschwund dazu. Allein die Region Weißwasser hat seit der Wende rund die Hälfte der Einwohner verloren.

Darüber hinaus hat Deutschland in Europa die meisten Krankenhausbetten und die höchste Krankenhaus-Kontaktfrequenz. Das könnte bedeuten, dass in Deutschland die Einwohner besonders krank sind. Aber das bezweifle ich. Eher liegt ein Systemfehler vor.

Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.

Ab wann wird der Kostendruck für die drei Krankenhäuser existenzgefährdend?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Man muss sich überlegen, wo die Hauptkostenverursacher liegen, was man zusammenlegen und zentralisieren kann, ob man innerhalb einer kurzen Entfernung wie zwischen Ebersbach und Zittau zwei Klinikstandorte mit gleichem Status vorhalten muss, welche Spezialisierungen entwickelt werden können und wo man mit Krankenhauspartnern konsequent zusammenarbeitet. Nicht jeder muss in der heutigen Zeit alles machen. Das wird man in Zukunft klug diskutieren müssen.

Das klingt nach einer Neustrukturierung und Fusion der Kreiskrankenhäuser und des Görlitzer Klinikums.

Nein, eine Fusion meine ich nicht. Aber getreu meines Credos "Nur ein wirtschaftlich gesundes Krankenhaus kann gute Medizin liefern", wäre es vielleicht ratsam, bald Kapazitäten wie Labore, Pathologien, Krankenhausapotheken, Radiologien etc. im nahen Einzugsbereich zu bündeln. So etwas macht jeder Konzern und zwar nicht aus Spaß, sondern aus Kostendruck. Er fragt sich zum Beispiel: Wollen wir uns an jedem Standort jede Struktur leisten oder reicht eine an einem zentralen Standort, von dem man den Befund auf digitalem Weg zurückbekommt? Am Ende profitieren davon alle – finanziell, logistisch und auch beim Fachpersonal, das immer schwerer nachzubesetzen ist.

Also keine Fusion, sondern eine Zusammenarbeit in einigen Bereichen?

Ja, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass eines Tages die Kreiskrankenhäuser und auch das städtische Klinikum Görlitz unter das Dach einer Holding gestellt werden. Dass das noch nicht gelungen ist, zeigt, dass die Not noch nicht groß genug ist. Aber was anderen deutschlandweit gelingt, muss doch auch im Landkreis Görlitz möglich sein. Ich habe ja dazu auch im Kreistag referiert.

Warum gibt es diese Zusammenarbeit noch nicht?

Ich habe mich bemüht, aber dazu gehören viele Akteure und handelnde Personen. Der Veränderungswille muss da sein und der wird von der Not getriggert.