An der Görlitzer Straße in Zittau steht ein altes Gärtnerhaus. Eine Kartusche in der Hauswand weist darauf hin, dass es 1727 errichtet wurde. Und seine Lage macht klar, dass das dazu gehörende Gartenland Bauland für große Teile der Frauenvorstadt lieferte. Die Gärtnerfamilie Steudtner, die es im 19. Jahrhundert besaß, gelangte so zu Wohlstand. Was gut war, denn diese Familie war groß. Steudtners hatten 13 Kinder, fünf weitere waren früh gestorben. Eine Fotokollektion, die zu ihrer goldenen Hochzeit von 1896 entstand, zeigt neben den Jubilaren zehn ihrer Kinder und deren Ehepartner. Acht der Kinder waren ebenfalls Gärtner.
Inspiriert von dieser historischen Fotomontage brachte Lotte Kahlmann, eine Urenkelin, im hohen Alter von 88 Jahren die Lebensdaten der abgebildeten Personen und interessante Familiengeschichten zu Papier – auf 26 eng beschriebenen Seiten. So wird der Alltag einer Gärtnerfamilie im Zittau des 19. Jahrhunderts nacherlebbar. Mindestens zweimal wöchentlich fuhr die Gärtnerfrau mit dem Handwagen früh zum Markt und verkaufte außer Gemüse auch Eier und Butter, selbst erzeugt natürlich. Ihr Mann, der „Patriarch“, besuchte jedes Jahr die Leipziger Messe – zu Fuß! So berichtet es jedenfalls die Chronistin. Sie schreibt auch, dass diese Reise 14 Tage dauerte. Und die Urenkelin amüsiert sich, dass er eine Apfelsine für die ganze Familie mitbrachte. Jedes der Kinder bekam ein Scheibchen …
Ob Johann Gotthelf Steudtner tatsächlich so oft gelaufen ist, kann man jedoch bezweifeln. Schließlich gab es ab 1848 eine Bahnverbindung von Zittau nach Dresden und Leipzig. Und jemand, der, wie die Chronistin schreibt, seinen Töchtern 30.000 Taler Mitgift geben konnte, musste sicher nicht am Bahnbillett sparen. Zudem dachte Steudtner durchaus weltoffen und modern. Als er beispielsweise bei seinen Kindern bemerkte, dass durch die „neumodische“ Rübenfütterung der Kühe deren Milch die Säuglingssterblichkeit steigen ließ, fütterte er einigen Kühen Trockenfutter, sprich Heu, gepressten Hafer oder Gerste, vermengt mit gekochten Kartoffeln und Häcksel als Füllmasse. Diese Milch wurde nur an Familien mit Säuglingen und Kleinkindern verkauft und natürlich den eigenen Kindern verabreicht.
Das Familienbild und die Aufzeichnungen von Frau Kahlmann regten das Dorfmuseum Eckartsberg an, einen Stammbaum dieser Zittauer Gärtnerfamilie zu entwickeln. Er wird in der neuen Sonderausstellung des Heimatvereins „Zittauer Gartenbau gestern und heute“ im Eckartsberger Dorfmuseum zu sehen sein. Kommenden Sonntag kann sie erstmalig besucht werden. Die Schau zeigt, wie eng die Zittauer Gärtner mit der Entwicklung der Stadt verbunden waren. Darüber hinaus dürfte sie für Familienforscher interessant sein.
- Ausstellung „Zittauer Gartenbau gestern und heute“: erstmalig am Sonntag, dem 21. Mai, 14 bis 17 Uhr, im Dorfmuseum Eckartsberg