SZ + Zittau
Merken

Nonnen wollen Kunstschatz für Millionen verkaufen

Der Marienthaler Psalter wird von einem Händler angeboten. Landesweit wird der geplante Verkauf der wertvollen Handschrift aus Ostritz diskutiert. Aber wozu braucht das Kloster eigentlich das Geld?

Von Jan Lange
 7 Min.
Teilen
Folgen
Kloster St. Marienthal
Kloster St. Marienthal © Matthias Weber/photoweber.de

"Eine Katastrophe für das kulturelle Erbe des Freistaates" nennt es Andreas Rutz, Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden. Was den Historiker zu diesen Worten veranlasst, ist der geplante Verkauf des berühmten Marienthaler Psalters. Der stammt aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und befindet sich seit einer Ewigkeit im Besitz des Klosters St. Marienthal.

Sorgsam gehütet wurde dieser Schatz bisher in der Klosterbibliothek. Es handelt sich um das wertvollste Buch im dortigen Bestand. Allein wegen seiner hochwertigen Buchmalerei unter anderem mit ganzseitigen Darstellungen zum Leben Jesu ragt er aus der Reihe mittelalterlicher sakraler Handschriften heraus.

Die Klosterbibliothek befindet sich in der Klausur und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Auch der Marienthaler Psalter blieb deshalb lange unter dem Radar. Zu DDR-Zeiten gab es den Versuch, ihn nachzudrucken. Das Vorhaben ließ sich aber finanziell nicht realisieren. Erst 2006 gab es eine Publikation über den Psalter.

Nun wollen die Zisterzienserinnen die einzigartige Prachthandschrift loswerden. Zumindest bietet der bekannte Handschriftenhändler Jörn Günther den Marienthaler Psalter seit etwa zwei Wochen zum Verkauf an. Angeblich soll das wertvolle Kulturgut für die Summe von vier Millionen Euro seinen Besitzer wechseln.

"Auch angesichts des unbestrittene kunst- und kulturgeschichtlichen Wertes der Handschrift erscheint mir die Summe zu hoch, um nicht zu sagen absurd hoch. Falls es stimmt, dass dies der aktuelle Preis für den Psalter sein soll, kann ich mir nicht vorstellen, dass es für eine öffentliche Institution in Deutschland möglich sein wird, die Handschrift zu erwerben", sagt Marius Winzeler, Direktor des Grünen Gewölbes in Dresden und früherer Leiter der Städtischen Museen Zittau.

Zwei Seiten des Marienthaler Psalters.
Zwei Seiten des Marienthaler Psalters. ©  privat

Fachleute sind entsetzt

Winzeler, der auch Mitglied im Freundeskreis der Marienthaler Abtei ist, sieht "diese Art von Verkauf als geistige Bankrotterklärung, als wissentliche Zerstörung langjährigen Vertrauens und als Angriff auf die historische Identität des Klosters selbst, aber auch als nicht zu rechtfertigende Preisgabe kultureller Verantwortung".

Wozu soll sich der Freundeskreis zum Beispiel für eine neue Orgel der Klosterkirche engagieren, fragt sich Winzeler, wenn gleichzeitig die über alle Kriege, Hochwasser, die Reformation, den Nationalsozialismus und den Sozialismus sorgsam bewahrten Schätze der Zisterzienserinnen-Abtei verschleudert werden? "Von außen sieht das Kloster St. Marienthal so schön aus, wie es noch nie in seiner Geschichte ausgesehen hat. Dafür aber liturgische Bücher, die zu den Grundlagen der monastischen Kultur und des europäischen Kulturerbes zählen, für kurzfristige Finanzmittel zu versilbern, das kann doch nicht der Preis dafür sein", findet der ehemalige Zittauer Museumschef. "Für mich wäre eine solche kommerzielle Veräußerung der Handschriften ein historisches Sakrileg, das nicht wieder gut zu machen wäre."

Darin ist sich Winzeler mit anderen Fachleute einig. Es sei ein drohender Kulturgutverlust, den man nicht für möglich hält, meint der Bautzner Archivar Rico Heyl. Auch Landeshistoriker Joachim Schneider sieht darin einen herben Verlust: "Wenn dieses Zeugnis jahrhundertealter Frömmigkeit durch Verkauf aus seinem gewachsenen Zusammenhang gerissen würde und für die Öffentlichkeit künftig nicht mehr zugänglich wäre, so wäre dies ein schwerer Rückschlag beim Kampf um den Erhalt des kulturellen Erbes für künftige Generationen, und zwar beileibe nicht nur in Sachsen, sondern weit darüber hinaus."

Unmissverständlich positionierte sich ebenso der ehemalige Direktor der Sächsischen Landesbibliothek, Achim Bonte. Seiner Meinung nach sollte in dieser Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Er erwarte von Sachsens Staatsregierung, dass sie ihre Pflicht tut und den Kulturschatz für den Freistaat sichert.

Auch Klosterwald verkauft

Verkauft werden soll wohl nicht nur der Marienthaler Psalter. Handschriftenhändler Günther hat verschiedenen Institutionen weitere Handschriften der Klosterbibliothek angeboten. Dazu soll auch das bedeutsame Kapiteloffiziumsbuch des Klosters Altzelle aus dem 12. Jahrhundert gehören.

Warum das Kloster den Marienthaler Psalter und andere Handschriften verkaufen will, bleibt unklar. Eine Anfrage der SZ an Äbtissin Elisabeth Vaterodt wurde nicht beantwortet. Dem MDR bestätigt die Klostervorsteherin, dass der Vermittlungsauftrag an den Schweizer Handschriftenhändler erteilt wurde. Der Prozess zum Verkauf sei aber noch nicht abgeschlossen, so die Mutter Oberin gegenüber dem Radiosender.

Der geplante Verkauf weckt Erinnerungen an den Klosterwald, den die Marienthaler Zisterzienserinnen vor zwölf Jahren an die Salm Boscor GmbH verkauft hatten. Nach über sieben Jahrhunderten hatten sich die Nonnen von ihrem gesamten Forst mit über 800 Hektar Mischwald getrennt. Dem Entschluss, den Klosterwald zu verkaufen, musste nicht nur der Bischof des Bistums Dresden-Meißen zustimmen, sondern auch der Generalabt in Rom und die Glaubenskongregation im Vatikan.

Der Orden musste nach dem Waldverkauf "böse Anfeindungen" über sich ergehen lassen, berichtete die Äbtissin später. Die Entscheidung sei den Schwestern nicht leicht gefallen, betonte sie. Aber dem Kloster St. Marienthal drohte damals die Überschuldung. Um die elf Millionen Euro sollen die Schwestern für ihren Klosterwald bekommen haben.

Mit der Summe sollte das Kloster langfristig gesichert werden. Wenige Wochen nach dem Verkauf flutete aber die Neiße das Kloster und richtete enorme Schäden an. Für die Sanierung gab es zwar Millionen Euro Fördermittel, auch Spenden und Stiftungsgelder flossen, dennoch mussten die Nonnen große Beträge aus der eigenen Tasche beisteuern.

Die Corona-Pandemie setzte das Kloster erneut unter Druck. Die Klosterschenke als wichtiger Wirtschaftsbetrieb musste monatelang schließen. Vertraute des Klosters glauben, dass das Kloster wohl erneut wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand steht. Anders lasse sich die Entscheidung zum Verkauf des Marienthaler Psalters nicht erklären.

Eine Lösung könnte es geben: Die Stiftung Internationales Begegnungszentrum (IBZ) wäre bereit, die Klosterschenke zu übernehmen und zu betreiben. Darüber hinaus gab es Überlegungen die Klosterbäckerei und die Klosterbrauerei wiederzubeleben, um mit regionalen Angeboten noch mehr Attraktionen für die Gäste zu schaffen. Entsprechende Angebote seien vom Kloster aber nicht akzeptiert worden, ist von Verantwortlichen der Stiftung zu hören. Für das Kloster hätte das den Vorteil, einen höheren Erbbaupachtzins vom IBZ zu bekommen und gleichzeitig auf der Ausgabenseite entlastet zu werden.

Als national wertvolles Kulturgut eintragen

Angesichts der Millionen Euro, die in den letzten Jahrzehnten zur Rettung und baulichen Sanierung sowie Restaurierung des Klosters geflossen sind, erachtet Winzeler den Verkauf des Psalters aus moralischen Gründen als keineswegs private Angelegenheit, die eine Äbtissin allein regeln dürfe.

Nach SZ-Informationen gibt es seit längerer Zeit Gespräche mit dem Kloster über die Kunstschätze. Von den jüngsten Entwicklungen wurde der Freistaat überrascht, ist aus Regierungskreisen zu erfahren.

Während laufender Verhandlungen vollendete Tatsachen mit dem Verkauf zu schaffen, sei ein eklatanter Vertrauensbruch, findet der aus dem Schwäbischen stammende Historiker und Archivar Klaus Graf.

Graf hat klare Forderungen an die Politik: Die Handschriften müssten umgehend in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen werden. Eine dauerhafte Ausfuhr ist dann nur im Ausnahmefall möglich und muss von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien genehmigt werden.

"Trotz der Haushaltssituation des Landes Sachsen muss alles daran gesetzt werden, die Handschriften und die Klosterbibliothek geschlossen in Sachsen zu halten", so Graf. Er fordert, den gesamten Bibliotheks-Altbestand und weitere bewegliche Kulturgüter in der Abtei St. Marienthal unter Denkmalschutz zu stellen.

Aktuell gebe es wieder Kontakt zwischen dem Freistaat und der Äbtissin, um eine Lösung zu finden, ist vom Landtagsabgeordneten Stephan Meyer (CDU) zu erfahren. Nach Bekanntwerden der Verkaufsabsichten hat Meyer sogleich Kontakt zu Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und dem sächsischen Kunstministerium aufgenommen.

Auch Institutionen und Vereine, die dem Kloster nahestehen, wollen alles versuchen, um den Verkauf noch zu stoppen. Möglich werde das nach Marius Winzelers Einschätzung nur sein, wenn das Kloster selbst einlenkt und bereit ist, für eine Lösung mit dem Kulturministerium, den staatlichen Bibliotheken in Dresden und Leipzig sowie mit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien "konstruktiv, ehrlich und vertrauensvoll zusammen zu arbeiten".