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SZ + Zittau

Polizei herzlos? Rentner setzt gehbehinderte Frau beim Arzt ab - Bußgeld

Der Spitzkunnersdorfer Erhard Scharf setzt seine Frau beim Arzt in Zittau ab - und muss sich dafür als "besonders dreist" bezeichnen lassen.

Von Markus van Appeldorn
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Christine und Erhard Scharf erhielten bei einem Arztbesuch einen teuren Bußgeldbescheid.
Christine und Erhard Scharf erhielten bei einem Arztbesuch einen teuren Bußgeldbescheid. © Markus van Appeldorn

Das Alter macht Christine Scharf (82) aus Spitzkunnersdorf schwer zu schaffen - besonders die Wirbelsäule. Schon das Aufstehen vom Sofa daheim fällt ihr schwer. Fortbewegen kann sie sich nur mit einem Gehstock - oder besser noch einem Rollator. Hindernisse wie Stufen kann sie aber dennoch nur mithilfe ihres Mannes Erhard (82) überwinden. Und in letzter Konsequenz gedacht, kostete genau dieses Gebrechen seiner Frau Erhard Scharf jüngst ein Bußgeld von 111 Euro - und von der Polizei musste er sich als "besonders dreister Fahrer" bezeichnen lassen.

Als kleines Stück Unabhängigkeit und Mobilität im Alter ist dem seit beinahe 65 Jahren verheirateten Ehepaar ihr Skoda Fabia geblieben. "Ich fahre ja nur noch das Nötigste, vielleicht 3.000 Kilometer im Jahr", sagt Erhard Scharf und betont: "Seit 1960 habe ich die Fahrerlaubnis und fahre seitdem unfallfrei. Und ich habe in all den Jahren niemals ein Strafmandat erhalten." Das sollte sich am 17. April ändern - anlässlich einer dieser nötigsten Fahrten.

"Besonders dreister Fahrer"

Drei bis viermal im Jahr bringt Scharf seine Frau zu einer Arztpraxis an der Görlitzer Straße in Zittau zu einem Untersuchungstermin, den sie nicht versäumen darf - so auch an jenem Morgen gegen 7.45 Uhr. Zufällig hatte sich genau dort damals kurz zuvor ein Unfall ereignet. In dessen Folge sperrte die Polizei die Straße halbseitig und führte den Verkehr wechselseitig an der Unfallstelle vorbei. Was sich dann ereignet haben soll, schilderte die Polizeidirektion in ihrem täglichen Pressebericht so: "Zwei besonders dreiste Fahrer sind den Beamten am Montagmorgen auf der Görlitzer Straße in Zittau aufgefallen."

So berichtete SZ mit Berufung auf die Polizei über den Vorgang.
So berichtete SZ mit Berufung auf die Polizei über den Vorgang. © SZ

Demnach seien laut Beschreibung der Polizei während der Unfallaufnahme zwei Autofahrer - ein 79-jähriger VW-Lenker und ein 82 Jahre alter Skoda-Fahrer (eben Erhard Scharf) - über den Gehsteig am Stau vorbeigefahren. "Mitten im Stau ließen die beiden Männer ihre Beifahrerinnen aussteigen", heißt es weiter, und: "Danach manövrierten sie ihre Autos an der Unfallstelle vorbei." Die "Ordnungshüter" hätten die Fahrer erwischt und Anzeige erstattet. SZ übernahm diesen Polizeibericht, stellte ihn am 19. April online, am Folgetag erschien die Meldung in der gedruckten Zeitung.

Parken auf dem Gehweg als letzte Hilfe

Bloß: "Von der mir vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit und Anzeige habe ich erst aus der Zeitung erfahren. Mich hat da kein Polizist angesprochen", sagt Scharf. Und überhaupt schildert er den Vorgang gegenüber SZ ganz anders. Von einer Absicht, den Unfallstau auf dem Gehsteig zu umfahren, könne keine Rede sein. Und er will auch nicht als "besonders dreist" bezeichnet werden. Viel mehr habe er sich an jenem Morgen in einer regelrechten Notlage befunden.

Direkt vor der Arztpraxis sind zwei Parkbuchten, die als Behinderten-Parkplätze gekennzeichnet sind - die dürfte Erhard Scharf nutzen. Außerdem gibt es einige Taxi-Stellplätze. "Die Parkbuchten sind oft belegt. Ich habe deshalb schon oft gesehen, dass Krankentransportfahrzeuge auf dem Gehweg stehen, um Patienten in die Praxis zu bringen", sagt er - er selbst sei bislang nie in diese Verlegenheit geraten. Anders erstmals an jenem Morgen. "Ich habe den Wagen auf dem Gehsteig vor der Praxis abgestellt und meiner Frau in die Praxis geholfen. Ich wusste nicht, wie ich die Praxis sonst erreichen sollte", erzählt er. Wenige Minuten später sei er zu seinem Auto zurückgekehrt, habe auf einem gegenüberliegenden Firmenparkplatz gewendet, habe sich einige hundert Meter weiter einen regulären Parkplatz gesucht und sei zur Praxis zurückgelaufen - all das völlig unbehelligt von irgendeinem Polizisten. Scharf sagt: "Früher hätte ein Polizist gesehen, dass meine Frau nicht laufen kann und geholfen - statt eine Anzeige zu schreiben."

Die Arztpraxis an der Görlitzer Straße in Zittau.
Die Arztpraxis an der Görlitzer Straße in Zittau. © Markus van Appeldorn

Nachdem er wenige Tage später in der SZ von dem Vorwurf gegen sich gelesen habe, sei er sogar zum Polizeirevier nach Zittau gefahren. "Ich habe dort meine Situation geschildert und gesagt, dass ich keinesfalls rücksichtslos den Stau auf dem Gehsteig umfahren wollte", sagt er. Doch es nutzte nichts. Am 12. Mai erhielt er einen Bußgeldbescheid vom Landratsamt. Und dieses Bußgeld fiel noch extra hoch aus - wegen "Vorsatz" wie es in dem Bescheid steht. Erhard Scharf fühlt sich zu Unrecht bestraft. Bezahlt hat er trotzdem. "Bei einem Widerspruch käme ja eh nichts raus", sagt er.