Corona: Immer mehr sitzen in der Schuldenfalle

Thorsten M.* sieht wieder Licht am Ende des Tunnels. Im Januar hat er es mit seiner Lebenspartnerin und ihren zwei Kindern geschafft. Dann ist die letzte Rate fällig und sie sind schuldenfrei. "Schon im September wird es besser. Ich habe wieder einen Job", sagt der 28-jährige Zittauer.
Er versteht heute noch nicht, wie es zu den Schulden kommen konnte. Sie waren in der Stadt in eine neue Wohnung gezogen. Seine Freundin war schwanger, erzählt er. Plötzlich kam mit der Post eine Rechnung der Stadtwerke. Ihr monatlicher Abschlag für die Stromkosten beträgt 207 Euro, stand darin. "Da hat es uns fast umgehauen. Wir hatten in der alten Wohnung nie hohe Stromkosten. So einen hohen Abschlag konnten wir nicht zahlen", schildert er.

Ihr Verbrauch war damals nicht anders als zuvor. Sie schauen kaum Fernsehen und betreiben nach seinen Aussagen kein Gerät, das viel Strom verbraucht. Trotzdem waren nach einem halben Jahr fast 1.000 Euro Stromkosten zusammengekommen. Das ist viel Geld. Besonders für eine Familie wie die von Thorsten M.* Er bezieht knapp 400 Euro im Monat über ALG II. Auch seine Freundin lebt von der staatlichen Stütze, schildert er.
Thorsten M.* hatte sich Hilfe bei einem Anwalt und beim Jobcenter gesucht und ist auch zu den Zittauer Stadtwerken gegangen, um den Fall klären zu können. Die Stadtwerke hatten daraufhin einen Mitarbeiter in die Wohnung der Familie geschickt. "Aber der hat nichts finden können, was überdurchschnittlich viel Strom verbraucht", erzählt der 28-Jährige. Als der Mitarbeiter da war, stand Thorsten M.* vor dem Stromzähler. "In unserem Zähler drehte sich das Rädchen extrem schnell und bei den anderen Mietern im Haus langsam", erinnert er sich.
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Kurz darauf sah er sich auf dem Dachboden um. Dort stand der Boiler zu seiner Wohnung. Der lief auf Hochtouren, zog massiv Energie und war allem Anschein nach der Grund für den zu hohen Stromverbrauch, weil die Dusche zwar kaputt war, aber ständig Wasser für sie beheizt wurde, berichtet Thorsten M.* Trotzdem blieben sie auf den Kosten sitzen. Die Lage spitzte sich zu. Sie besitzen nicht so viel Geld, dass sie eine Rechnung von knapp 1.000 Euro bezahlen können. Doch für den Fall, dass sie nicht zahlen, wurde ihnen bereits angedroht, den Strom abzuschalten.
"Meine Freundin und ich hatten uns überlegt, wie wir die Schulden loswerden. Bekannte hatten uns Tipps gegeben. Aber das half uns nichts", erzählt er. Da fiel ihnen die Schuldnerberatung ein. Thorsten M.* zögerte zum Glück nicht und ging hin. "Man ist nicht schwach, wenn man da hingeht. Man ist stark. Und die Frau dort ist richtig gut", sagt er.
Bei der Schuldnerberatung der Diakonie Löbau-Zittau bekommt er sofort Hilfe. Schuldnerberaterin Antje Radusch in Zittau regelt erst einmal, dass die Stadtwerke den Strom nicht abstellen. Und sie geht mit Thorsten M.* genau seine Einnahmen und Ausgaben durch. 85 Euro kann die Familie monatlich abstottern. Im Januar 2022 sind so die knapp 1.000 Euro abgezahlt. Thorsten M.* ist froh, dass die Stadtwerke damit einverstanden waren.
Die Familie ist inzwischen erneut innerhalb der Stadt umgezogen. Für die Kosten kommt zum Glück das Jobcenter auf. In der neuen Wohnung zahlt die Familie monatlich 95 Euro an Stromkosten. Thorsten M.* kann jedem, denen die Schulden über den Kopf wachsen, nur empfehlen, zur Schuldnerberatung zu gehen.
Es gibt mehrere Anbieter für soziale Schuldnerberatung
und Verbraucherinsolvenzberatung im Landkreis. Bei der Diakonie Löbau-Zittau ist sie beispielsweise kostenlos. Die Diakonie hat dafür eine Beratungsstelle in Zittau mit Antje Radusch und Claudia Bielß in Löbau eingerichtet. "Wir haben etwa doppelt so viele Anfragen von ratsuchenden Menschen in
der sozialen Schuldnerberatung, als wir tatsächlich leisten können", berichtet Claudia Bielß. Aber das ist eine finanzielle Frage. Die Kosten für die soziale Schuldnerberatung übernimmt der Landkreis, für die Insolvenzberatung das Land.
Wer heute zu der Schuldnerberaterin in Löbau kommt, muss wegen der hohen Nachfrage zwischen sechs bis acht Wochen auf einen Termin warten. "Wenn aber schon die Kündigung einer Wohnung, Stromabschaltung oder ähnliches quasi vor der Tür steht, handeln wir in Notfällen natürlich sofort", sagt sie. In Zittau sieht das nicht viel anders aus.
Thorsten M.* ist kein Einzelfall. 2.756 Beratungskontakte sind im Jahr allein bei Antje Radusch und Claudia Bielß im Altkreis Löbau-Zittau zustande gekommen. Das entspricht in etwa denen der Vorjahre, weil trotz des höheren Bedarfs nicht mehr beraten werden könne. Die Schuldner kommen querbeet aus allen Bevölkerungsschichten. Da sind Arbeitslose genauso dabei wie Berufstätige, ehemalige Selbstständige, bis hin zu Polizisten und Ärzte - und auch aus allen Bildungsschichten.
Die Hauptgründe für die Überschuldung sind Arbeitslosigkeit, fehlende Finanzkompetenz, Trennung, Scheidung, weniger Einkommen, Unfall und Krankheit. Der überwiegende Teil der Hilfesuchenden sind dabei ALG II-Empfänger. Oft sind es auch Single-Haushalte sowie Alleinerziehende. Hoch sind die finanziellen Forderungen oftmals bei Rundfunkgebühren, Kreditverträgen, nicht gezahlten Buß- und Strafgeldern sowie Handy-, Telefon- und Energie-Schulden.
Seit Corona ist die Schuldnerberatung noch mehr gefragt
Durch Corona hat der Ansturm auf die Schuldnerberatung noch einmal zugenommen. Wegen Kurzarbeit ist seither bei vielen Leuten das Einkommen geringer, die Ausgaben sind aber geblieben. Manche, wie beispielsweise eine Dolmetscherin, bekam plötzlich keine Aufträge mehr. Und 2020 sind für die Betroffenen die Behörden nur sehr schwer oder manchmal, wenn die Zeit schon drängte, gar nicht erreichbar gewesen. Und während des Frühjahrs-Lockdowns gab es oft einen kompletten Stillstand bei Ämternachfragen, so Claudia Bielß.
Mehr Beratung ist zudem wegen der neuen Regelung für Privat-Insolvenzverfahren gefragt. Statt nach sechs Jahren gilt nun die Restschuldbefreiung bereits nach drei Jahren. Sie wird vom Amtsgericht in
Dresden ausgesprochen. "Unser Ziel ist es auch, außergerichtliche Einigungsversuche zu erzielen", berichtet Claudia Bielß. Bei 54 Schuldnern konnten Claudia Bielß und Antje Radusch nach gescheiterten außergerichtlichen Vergleichsversuchen mit Ratsuchenden den Insolvenzantrag für die Betroffenen stellen und damit den Weg in das Verbraucherinsolvenzverfahren ermöglichen.
Oft und sehr kurzfristig helfen die beiden Beraterinnen den Schuldnern auch den Freibetrag des
Pfändungsschutz-Kontos zu erweitern. Bei einer Person darf hier beispielsweise ein Betrag von maximal 1.252,64 Euro nicht gepfändet werden. 471,44 Euro kommen dann bei der ersten Person im Haushalt beziehungsweise Unterhaltspflichten noch hinzu. Bei weiteren Personen ergibt sich dann ebenfalls ein weiterer, aber geringerer Freibetrag. Auch das Kindergeld wird im Freibetrag extra berücksichtigt.
Die Beratungsstelle in Löbau und in Zittau berät Menschen immer nach vorheriger, am besten telefonischer Terminabsprache. https://dwlz.de/schuldnerberatung
*Name geändert (Die Redaktion)