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Jetzt hat dieser ostsächsische Judoka (fast) alles erreicht

Der Zittauer Judoka Maik Binsch hat sich einen Kindheitstraum erfüllt und wurde beinahe zufällig deutscher Meister. Dabei hatte der 56-Jährige ganz andere Pläne.

Von Marcel Pochanke
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Maik Binsch hat mit dem Fünften Dan den höchsten Grad erreicht, den ein Judoka durch eigene Anstrengung erlangen kann.
Maik Binsch hat mit dem Fünften Dan den höchsten Grad erreicht, den ein Judoka durch eigene Anstrengung erlangen kann. © Archiv: Thomas Eichler

Zittau. Maik Binsch von der HSG Turbine Zittau ist im sächsischen Judo eine Institution. Er war es auch schon vor diesem Herbst. Nun aber sind ihm zwei Leistungen gelungen, die seine bisherigen Erfolge überstrahlen: Zum ersten Mal schaffte er es bei einer deutschen Meisterschaft ganz oben aufs Podest. Vizemeistertitel hatte Binsch bereits gesammelt. Im September gelang in Bad Homburg endlich der ganz große Triumph.

Aber das war nur die Krönung des Jahres für den 56-Jährigen, die zum eigentlichen Höhepunkt dazukam: Mit dem Erringen des Fünften Dan, dem höchsten Grad des Schwarzen Gürtels, den man durch technische und geistige Perfektionierung erlangen kann, hat sich Binsch einen Lebenstraum erfüllt. Er schaffte damit, was im Judo nur ganz wenige erreichen, wie etwa die Zittauer Judo- und Trainerlegende Heinz Zalkow. Der heute über 90-Jährige war einst auch Trainer des jungen Maik Binsch, als dieser 1981 seinen ersten Dan zum Schwarzen Gürtel ablegte.

Zu Zalkow habe er aufgeschaut, sagt Binsch, und sich das Ziel gesteckt, es ihm gleichzutun. Wie andere Maradona verehrten, sei Zalkow das Idol von Binsch gewesen. Immerhin hatte der erfahrene Trainer Schützlinge zu WM- und Olympiamedaillen geführt. Judo war in den 90er-Jahren die zahlenmäßig stärkste Abteilung bei der HSG Turbine Zittau. Aktuell zählt die Sektion gut 50 Mitglieder aller Altersstufen.

Jetzt, 40 Jahre nachdem er den Schwarzen Gürtel das erste Mal umschnüren durfte, hat Binsch sein Ziel aus Kindertagen erreicht. Sechs Jahre beträgt die offizielle Vorbereitungszeit – allein für den fünften Meistergrad. Das Besondere dabei ist, dass es nicht nur eine Prüfung oder einen Sieg braucht.

Wenn aus der Theorie Praxis wird

„Die Frage ist, wer es bis dahin schafft“, sagt der Unternehmer, dessen Selbstständigkeit den Weg zu seinem Judo-Traum zwischenzeitlich unterbrochen hatte. Wohl nicht geschafft hätte es Binsch ohne seinen Uke, die Seifhennersdorfer Judo-Koryphäe Heiko Kother. „Der Uke“ ist als Trainingspartner der, der meist fallen muss. Aber er ist zugleich Ratgeber und Motivator.

Neben der jahrelangen Vorbereitung ist die für den Fünften Dan nötige schriftliche Ausarbeitung eine hohe Hürde. 48 Seiten lang befasste sich Binsch mit vorgegebenen Themen. Es ging dabei um Katas, das sind festgelegte und namentlich benannte Abfolgen von Techniken im Judo. Sie sollen den Übenden Prinzipien der Sportart, aber auch der allgemeinen Lebensweise vermitteln. Methodische Wege werden erläutert, wie man Kindern diese Techniken beitragen kann. „Das ist schon wissenschaftlich – dabei liegt mir mehr die Praxis“, sagt Binsch, der die theoretischen Ideen freilich sofort in die Tat umsetzen kann.

Als Trainer hat er schon so manchen Sachsenmeister aus Zittau auf seinem sportlichen Weg begleitet. Ihnen möchte er ein Vorbild sein, so wie es einst Heinz Zalkow für ihn selbst war. Aber sie hätten, nachdem er von deutschen Meisterschaften zurückgekehrt war, immer gefragt: „Und, wie ist es gewesen?“ Fünfmal konnte er schon berichten, dass er die Silbermedaille erkämpft hatte. „Aber“, so habe ihn ein Kind gelöchert, „warum ist es nicht der erste Platz?“ Es sei eine berechtigte Frage gewesen, sagt Binsch schmunzelnd.

Es in diesem Jahr zu probieren und bei den deutschen Meisterschaften zu starten, war ursprünglich gar nicht geplant. Vieles andere war wichtig: Die Vorbereitung auf den Fünften Dan, das Training, die Arbeit, dazu der Wunsch, verletzungsfrei zu bleiben. Doch „wer mich kennt, weiß: Ich bin immer ehrgeizig. Ich brauche immer ein Ziel.“ Und nachdem der Fünfte Dan geschafft war, stand der Gedanke: „Ich könnte es zumindest versuchen.“

Mit der Lockerheit zum Ziel

Vielleicht war Binschs entscheidender Vorteil, dass er sich nach dem Erreichen des großen Traums in diesem Jahr nicht so viele Gedanken machte. Diese Lockerheit führte ihn zu drei Siegen in drei Kämpfen – und damit dem ersten deutschen Meistertitel in seiner Laufbahn.

„Klar hilft das als Trainer“, sagt Binsch über das Ansehen, das ihm das bei „seinen“ Jungen und Mädchen brachte. „Ich denke, dass ich das gut weitergebe“, erzählt er mit Blick auf die Erfolge, die seine Schützlinge erringen. Jüngst wurde Zittau neu als Kader-Stützpunkt eingestuft. Und fünf junge Zittauer reisten mit ihren Trainern nach Leipzig zur Talentsichtung. Der dortige SC DHfK ist im sächsischen Judo das Maß aller Dinge. Es gibt wieder Zittauer, die es dorthin schaffen können.

Bilal Avtorkhanov ist so einer. Er, der einst mit seiner Familie aus Tschetschenien kam, ist inzwischen Landesmeister und habe das Zeug zu mehr, bejaht auch der Zittauer Judo-Abteilungsleiter Jörg Reichelt. Wenn er oder andere es nach Leipzig schaffen, ist der Verlust aus Zittauer Sicht bedauerlich, zugleich aber wäre der Stolz groß – und eine bessere Werbung, als einen ehemaligen Zittauer, der national oder international gefeiert würde, könnte es für die HSG Turbine nicht geben.

Werbung fürs Zittauer Judo ist auch das, was Maik Binsch in diesem Jahr geleistet hat. Was könnte für ihn, den Ehrgeizigen, jetzt noch kommen? Die Weltmeisterschaft, die dieses Jahr in Lissabon stattfand, ließ Binsch wegen der coronabedingten Einreisehürden aus. Aber im nächsten Jahr in Krakau könnte es einen neuen Anlauf geben. Weltmeister wäre sicher ein zu hoch gegriffenes Ziel, beteuert Binsch angesichts der Konkurrenz. So oft trainieren wie sie könne er nicht, schon wegen der Firma, dazu kommt das Nachwuchstraining. „Aber bei einer WM teilnehmen, zählt ja auch.“