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Sachsens Umweltminister sieht keine Obergrenze für Wölfe

31 Wolfsrudel, 800 geschädigte Nutztiere und 1,5 Millionen Euro fürs Wolfsmanagement im letzten Jahr in Sachsen: Kann das so weitergehen?

Von Jana Ulbrich
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Wölfe vermehren sich in Sachsen gut: Nachdem sich im Jahr 2000 das erste Wolfspaar in der Lausitz ansiedelte, leben im Freistaat inzwischen 31 Rudel.
Wölfe vermehren sich in Sachsen gut: Nachdem sich im Jahr 2000 das erste Wolfspaar in der Lausitz ansiedelte, leben im Freistaat inzwischen 31 Rudel. © dpa

Ein Foto macht mal wieder die Runde in den sozialen Netzwerken: Sechs tote Schafe auf einem Autoanhänger, gerissen vor ein paar Tagen von Wölfen auf einer Weide in Dittersbach auf dem Eigen. Es war der erste Wolfsangriff in dem kleinen Ortsteil von Bernstadt. Es war einer von hunderten in der Oberlausitz.

803 nachweislich von Wölfen angegriffene Nutztiere zählt die akribisch geführte Statistik bei der sächsischen Fachstelle Wolf für 2022: 590 tote, 119 verletze und 94 vermisste Tiere. Anderthalb Millionen Euro hat der Freistaat im vorigen Jahr für das Wolfsmanagement ausgegeben, darunter allein 685.000 Euro für Zäune und andere Schutzmaßnahmen und 127.000 Euro als Schadensersatz an betroffene Tierhalter, wenn die Zäune am Ende doch nicht halfen.

Sechs tote Schafe auf einem Autoanhänger: Das Foto aus Dittersbach auf dem Eigen ging in den letzten Tagen durch die sozialen Netzwerke. Wolfsangriffe wie dieser werfen die Frage auf, ob der strenge Artenschutz für das Raubtier immer noch gerechtfertigt i
Sechs tote Schafe auf einem Autoanhänger: Das Foto aus Dittersbach auf dem Eigen ging in den letzten Tagen durch die sozialen Netzwerke. Wolfsangriffe wie dieser werfen die Frage auf, ob der strenge Artenschutz für das Raubtier immer noch gerechtfertigt i © Archiv: Udo Schäfer

Zuletzt hatte kürzlich ein Fall aus der Nähe von Löbau Schlagzeilen gemacht: Achtmal waren ein oder mehrere Wölfe kurz hintereinander in ein Damwildgehege im Ortsteil Krappe eingedrungen und hatten insgesamt 14 Tiere getötet. Die Wölfe bleiben unbehelligt: Weil festgestellt wurde, dass der kilometerlange Zaun um das Wildgehege an einer Stelle nicht ganz die erforderliche Mindesthöhe von 1,20 Meter hatte, konnte das Landratsamt einen Abschuss nicht verfügen.

Wölfe sind eine streng geschützte Tierart. Theoretisch würde das Gesetz es zwar zulassen, einen Wolf im Ausnahmefall auch zu bejagen: wenn er ein auffälliges nicht arttypisches Verhalten zeigt zum Beispiel oder zu einer akuten Gefahr für Mensch und Tier wird.

Doch die gesetzlichen Hürden für eine so genannte "gezielte Entnahme" sind derart hoch, dass die meisten Vorstöße scheitern. In Sachsen ist der Abschuss eines Problem-Wolfs "von Amts wegen" bisher nur viermal verfügt worden. In zwei Fällen - im September 2008 im Kreis Bautzen und im Februar 2018 im Kreis Görlitz - konnten die Wölfe tatsächlich geschossen werden, in den beiden anderen Fällen gelang das nicht.

Hürden für eine "Entnahme" sind hoch

Schon lange fordern Kommunalpolitiker wie die Landräte von Bautzen und Görlitz, Tierhalter und Jagdverbände, die Hürden für eine Bejagung von Wölfen zu senken. Doch in dieser Hinsicht sieht Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) keinen Handlungsbedarf: Der Schutzstatus des Wolfes ergibt sich aus dem Bundesnaturschutzgesetz, teilt sein Ministerium auf SZ-Anfrage mit. Die Länder hätten da keine Einflussmöglichkeiten.

Das Ministerium verweist zudem darauf, dass im Frühjahr 2020 im Bundesnaturschutzgesetz spezielle Regelungen für den Umgang mit dem Wolf getroffen wurden, mit denen sich unter anderem "erweiterte Handlungsmöglichkeiten bei ernsten wirtschaftlichen Schäden durch Nutztierrisse und Entnahmen im Interesse der Gesundheit des Menschen" ergeben würden. Auch Sachsen hat seit 2019 eine Wolfsmanagement-Verordnung. Seit deren Inkrafttreten gab es in Sachsen keine Wolfsentnahmen mehr.

In Sachsen leben inzwischen mehr als 30 Wolfsrudel

Die Wolfs-Population indes entwickelt sich: Seit im Jahr 2000 das erste Paar in der Lausitz gesichtet wurde, hat sich der Bestand stetig vermehrt: So zählten die Wolfsmanager 2016 in Sachsen bereits 15 Wolfsrudel mit ihren Jährlingen und Welpen in ungenannter Zahl und drei Wolfspaare. Inzwischen sind es nachweislich 31 Rudel, vier Paare und ein Einzeltier.

Ist der strenge Schutzstatus bei dieser Entwicklung überhaupt noch gerechtfertigt? Sachsens Umweltminister beantwortet diese Frage mit Ja. Der Schutzstatus ergebe sich aus dem Bundesgesetz und stehe nicht mit der Populationsgröße und dem Gefährdungsgrad in Sachsen in Zusammenhang, teilt das Ministerium mit.

Auch die Frage nach einer "Obergrenze" für die Anzahl von Wölfen in einem bestimmten Gebiet stellt sich für Wolfram Günther nicht. "Der Wolfsbestand wird in erster Linie durch das Beuteangebot geregelt", sagt er. Das funktioniere durch die Populationsökologie und das Sozialverhalten des Wolfes. Dabei würden Ziegen, Schafe oder Gehegewild nur einen sehr kleinen Anteil an der Beute ausmachen.

Weitere Eingriffe zu den ohnehin auftretenden Verlusten, zum Beispiel durch den Straßenverkehr, könnten von den Wölfen in gewissem Umfang auch ausgeglichen werden, etwa durch einen Anstieg der Nachwuchsrate. Eine willkürlich gesetzte Obergrenze für den Bestand bringe daher keine Erleichterungen im Umgang mit dem Wolf und sei deshalb auch nicht vorgesehen.

Studie zum Erhaltungszustand in der "Endredaktion"

Günthers langjähriger Amtsvorgänger Thomas Schmidt (CDU) hatte es wenigstens versucht: 2016 hatte er auf der Umweltministerkonferenz einen Antrag an die Bundesregierung eingebracht mit der Bitte, die Gesamtpopulation einzuschätzen und den Erhaltungszustand des Wolfes in Deutschland zu definieren: "Wenn der Erhaltungszustand ausreichend ist", sagte er damals in einem SZ-Gespräch, "dann kann der Wolf in seinem Schutzstatus herabgestuft werden." Das sei aber eine Entscheidung, der alle EU-Mitgliedsstaaten zustimmen müssten.

Doch erst im Jahr 2020 wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Ermittlung dieser Größe gebildet - und erst im vorigen Jahr ein entsprechender Forschungsauftrag an das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin vergeben. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet. Der Berichtsentwurf liegt seit dem Frühjahr vor, teilt das sächsische Umweltministerium mit, befinde sich aber noch in der Endredaktion.