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Hamsterkäufe bei den Bauhandwerkern

Dachdecker Holger Scheibe aus Oderwitz ist am Verzweifeln: Er bekommt kaum noch Material - und was er bekommt, kostet mehr. Mit dem Problem ist er nicht allein.

Von Jana Ulbrich
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Der Oderwitzer Dachdeckermeister Holger Scheibe bekommt die wirtschaftlichen Folgen von Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine immer heftiger zu spüren.
Der Oderwitzer Dachdeckermeister Holger Scheibe bekommt die wirtschaftlichen Folgen von Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine immer heftiger zu spüren. © Matthias Weber/photoweber.de

Familie B. aus Bernstadt hat wirklich Glück: Das bereits abgedeckte Dach ihres Hauses muss nun doch nicht wochen- oder gar monatelang offen bleiben. Dachdeckermeister Holger Scheibe hat Gott sei Dank auf die Schnelle noch Biberschwänze bekommen. "Blaugrau/braun geflammt - die einzige Sorte, die in kleinen Mengen im Moment noch lieferbar ist", sagt er. Das ist zwar nicht die Farbe, die Familie B. wollte, und es ist auch nicht mehr der Preis, der vor Kurzem noch vereinbart war. Aber "blaugrau/braun geflammt" und rund 1.000 Euro teurer ist in dieser Situation immer noch besser als ein offenes Dach.

Holger Scheibe sitzt in seinem Büro und seufzt: "Ich bin unglaublich froh, dass die Familie dafür Verständnis hat", sagt der Handwerksmeister aus Oderwitz. Er führt den Betrieb seiner Vorfahren jetzt in siebenter Generation. "Die Firma hat die Weltwirtschaftskrise überstanden und zwei Kriege und die Mangelwirtschaft zu DDR-Zeiten. Und jetzt? Nach Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine?" Holger Scheibe lässt die Frage im Raum stehen.

Früh um fünf hat er die neuen E-Mails in seinem Postfach gecheckt. Sie haben ihm gleich am Morgen die gute Laune verdorben: Wohnraumfenster, Blech, Schiefer - für alles Material sind wieder Preiserhöhungen angekündigt. Die Zulieferer sehen sich auch nicht mehr an eine Preisbindung gebunden. Und sie könnten nicht mehr garantieren, dass das Material auch verfügbar ist. Container- und Entsorgungsfirmen schreiben ihm, dass sie jetzt Dieselzuschlag erheben müssen.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine werden nach unten durchgestellt. Unten sitzen der Handwerker und seine Kunden. "Es gibt nur drei Möglichkeiten", zählt Scheibe auf: "Entweder, die Kunden haben Verständnis und tragen die Mehrkosten mit. Das Bauvorhaben muss verschoben werden, bis sich hoffentlich alles wieder normalisiert. Oder es wird eben gar nicht gebaut." Er hat acht Angestellte, für die er Arbeit und Lohn braucht.

Gerade hat er erfahren, dass es jetzt einen kompletten Bestellstopp für sämtliche Dachziegel und für fast alle Sorten Dachsteine gibt und einen Bestellstopp für Bitumen- und Kunststoffbahnen. Für Balkone und Dachterrassen, die er baut, bekommt er zudem keine Abdichtungsbahnen. Der 50-Jährige schüttelt den Kopf. "Ich hätte mir nicht denken können, dass so etwas mal passiert, vor allem auch nicht, wie schnell das alles passiert. Die Materialpreise steigen ja nahezu täglich." Die Folge seien nun Hamsterkäufe bei den kleinen Bauhandwerkern. "Wir müssen ja jetzt alle zusehen, dass wir kriegen, was noch da ist", erklärt er.

Sein Außendienst vom Bedachungshandel hat gerade angerufen und ihn beglückwünscht für die zwei Paletten Bitumenbahnen, die er noch bekommen hat. Wenn es wieder welche geben sollte, dann auch die mit rund 20 Prozent Preisaufschlag. Der Materialpreisaufschlag von einem Hersteller für verzinktes, beschichtetes Stahlblech liegt jetzt schon bei über 30 Prozent und es sind schon wieder Preiserhöhungen ab Mai angekündigt. "Es sind nur noch Tagespreise üblich, keiner hält sich mehr an Absprachen", ärgert sich der Dachdecker.

Am Abend schreibt er E-Mails an seine Kunden, muss sie informieren, dass es wieder Preissteigerungen gibt und trotzdem kein Material. Er sei froh, dass er fast ausschließlich für private Bauherren arbeitet, die auch Verständnis für die derzeitige Lage hätten, sagt er. Das mache ihm Mut. Aber wie lange tragen das die Kunden noch mit?, fragt er sich inzwischen.

Kürzlich hat er auf eine E-Mail eines großen Herstellers geantwortet, der die Dachdeckerbetriebe wissen ließ, dass vereinbarte Preise ab sofort nicht mehr gelten und für alle Produkte ein Dieselzuschlag erhoben wird. "Und dieser Zuschlag wird auch noch über Berechnungsformeln errechnet, da findet sich kein normaler Mensch mehr rein", schimpft Scheibe. Er hat diese Antwort auch gleich einigen seiner Dachdecker-Kollegen in der Region Löbau-Zittau zur Kenntnis geschickt: "Wie wäre es denn, wenn sich alle Händler und Dachdecker einig wären und gemeinsam die Arbeiten einstellen", schreibt er. Dann sollten die großen Hersteller doch mal sehen, wie sie ihre Sortimente auf diese Art noch losbekommen. "Wir müssten jetzt täglich unsere Angebote überarbeiten. Wer soll denn das leisten?"

Gestern früh hat ihn einer seiner Mitarbeiter gefragt, wie das alles denn weitergehen soll. Wer wird sich denn überhaupt noch einen Handwerker leisten können in so einer Situation? Holger Scheibe befürchtet, dass in den Handwerksbetrieben Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, wenn diese Entwicklung länger anhält. "Das ist schon abartig", sagt er, "eigentlich gibt es doch zu wenige gute Handwerker. Da finde ich keine Worte!" Auch die Herstellerfirmen sagen, Dachziegeln zu brennen, kostet jede Menge Energie. "Und da gibt es wieder drei Möglichkeiten", weiß der Dachdeckermeister: "Entweder, das Unternehmen kann das finanziell tragen. Oder eben nicht. Oder Dachziegeln werden unbezahlbar." Die Frage des Mitarbeiters, wie das denn alles weitergehen soll - Holger Scheibe kann sie nicht beantworten.