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Bitterer Abschied vom Oderwitzer Schokoladenwerk

Der 31. März 2022 war der letzte Tag von Kathleen in Oderwitz. Für die Mitarbeiter des Schokoladenwerks ist der Abschied schmerzhaft. Was es jetzt vor Ort noch zu tun und zu kaufen gibt.

Von Holger Gutte
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Der Andrang im Werksverkaufsladen der Schokoladenfabrik in Oderwitz ist groß. Der restliche Lagerbestand wird zum Sonderangebot verkauft.
Der Andrang im Werksverkaufsladen der Schokoladenfabrik in Oderwitz ist groß. Der restliche Lagerbestand wird zum Sonderangebot verkauft. © Matthias Weber/photoweber.de

Alles ist heute anders. Ein letztes Mal sind die Kollegen der Frühschicht an diesem 31. März durch das Werktor der Schokoladenfabrik in Oderwitz zur Arbeit gegangen. Wesentlich später als üblich. Und mittags hatten die meisten von ihnen schon wieder Kathleen verlassen. Schon im Juni 2020 hatte die Rübezahl-/Riegelein-Gruppe die Schließung des Oderwitzer Werkes 2022 bekannt gegeben. Jetzt, wo der Tag da ist, fällt es trotzdem vielen schwer, es zu begreifen.

Richtig gearbeitet wurde nicht mehr. "Wir haben gestern die letzten Gelee-Riegel verpackt", erzählt Produktionsleiter Stefan Neumann. Der letzte Osterhase ist bereits am 9. März in der Kathleen Schokoladenfabrik in Oderwitz gegossen worden, der letzte Weihnachtsmann am 8. November.

"Wir bitten um Verständnis, dass die Mitarbeiter nicht in aller Öffentlichkeit darüber reden wollen, wie es ihnen geht. Das kann sich jeder denken", sagt Werkleiter Matthias Goldberg. Und man sieht es den Frauen und Männern an, wenn sie über den Hof laufen oder im Lager Kisten mit Schokoladen-Hohlfiguren öffnen, weil die nebenan im Werksverkaufsladen gebraucht werden. "Die gehen weg wie warme Semmeln", sagt ein Mitarbeiter. Kein Lächeln huscht dabei über sein Gesicht.

An diesem Donnerstag ist großer Abschiedstag. "Wir haben früh zusammen gesessen und uns Geschichten erzählt", schildert Matthias Goldberg. "Mit: Wisst ihr noch", fingen die Erzählungen meist an. Die Älteren nickten und die Jüngeren hörten gespannt zu. Viele hatten dabei wässrige Augen.

19 Mal haben sie in den letzten Jahren große Osterfeste auf dem Werksgelände gefeiert. Einige der Mitarbeiter sind als Kinder im Werksteich baden gegangen. So vieles hat sich in der Zeit verändert. "Zu DDR-Zeiten konnten man bei uns sogar in der Produktion frühstücken", berichtet Stefan Neumann. In den reichlich 20 Jahren, in denen er und der Werksleiter hier gearbeitet haben, gab es das schon nicht mehr. Die Hygiene-Vorschriften sind strenger geworden. Dafür haben die Schokoladenwerker aber eine schöne Kantine bekommen. Die musste coronabedingt aber schon viel früher schließen.

Ein Bild aus vergangenen Tagen: Werkleiter Matthias Goldberg (rechts) und Produktionsleiter Stefan Neumann zeigen ganz frische Schokoladen-Osterhasen aus Oderwitz.
Ein Bild aus vergangenen Tagen: Werkleiter Matthias Goldberg (rechts) und Produktionsleiter Stefan Neumann zeigen ganz frische Schokoladen-Osterhasen aus Oderwitz. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Manche Mitarbeiter sind schon über 40 Jahre im Oderwitzer Schokoladenwerk. Ganze Familien haben hier ihre Brötchen verdient. Stefan Neumann schilderte mal der SZ, dass er nie etwas anderes werden wollte. Schon als Kind stand für ihn fest, dass er einmal, so wie sein Vater, Osterhasen und Weihnachtsmänner und viele andere leckere Sachen aus Schokolade herstellt. "Vaters Arbeitssachen haben immer so gut gerochen, wenn er nach Hause kam", erzählte er damals.

Bei Neumanns haben drei Generationen im Werk gearbeitet. Reiner Neumann hat es auf 50 Betriebsjahre im Schokoladenwerk gebracht. Dafür bekommt Stefan Neumann nun keine Chance mehr. Auf die Frage, wie sein Vater die Schließung des Werkes aufnimmt, antwortet er: "Er macht sich eher Sorgen um mich, wie es mit mir weitergeht".

"So denken viele Ältere von uns. Sie machen sich Sorgen um die jüngeren Kollegen", fügt Werkleiter Matthias Goldberg hinzu. Der Hainewalder gehört zu den wenigen Mitarbeitern, die das Angebot des Mutter-Unternehmens angenommen haben und in ein anderes Werk der Rübezahl-/Riegelein-Gruppe wechseln.

Entweder Pendeln oder eine ganz andere Arbeit suchen

Die nächsten Werke liegen in Wernigerode und in Cadolzburg in Bayern. Matthias Goldberg wird zum Pendler und fährt reichlich 360 Kilometer ins Schokoladenwerk nach Wernigerode. Stefan Neumann gehört zu den 25 Mitarbeitern, die noch bis zum Jahresende im Oderwitzer Werk beschäftigt sind.

Dann kümmert er sich mit den anderen Verbliebenen statt um die Schokoladenproduktion um den Abbau der Maschinen, das Archivieren der Akten und Muster für die Hohlfiguren sowie vieles mehr. Der Abbau der Produktionsanlagen hat bereits begonnen.

Als im Juni 2020 die Rübezahl-/Riegelein-Gruppe die Schließung des Oderwitzer Werkes bekannt gab, waren noch 167 Mitarbeiter im Betrieb beschäftigt. 111 sind es noch am 31. März.

"Wir möchten uns bei unseren Partnerfirmen und vor allem bei unseren Mitarbeitern bedanken. Auch dafür, dass sie bis zuletzt so zur Stange gehalten haben. Das ist nicht selbstverständlich", sagen Matthias Goldberg und Stefan Neumann. Sie gehen nicht näher darauf ein, aber sie wissen, wie emotional die letzten Tage, Wochen und Monate für viele Kollegen waren.

Zwei Trauerflore hängen am Fabrikgebäude des Kathleen-Schokoladenwerkes in Oderwitz. Sie zeigen, wie sich die Mitarbeiter schon seit Monaten fühlen. Am Donnerstag war es besonders schlimm.
Zwei Trauerflore hängen am Fabrikgebäude des Kathleen-Schokoladenwerkes in Oderwitz. Sie zeigen, wie sich die Mitarbeiter schon seit Monaten fühlen. Am Donnerstag war es besonders schlimm. © Matthias Weber/photoweber.de

Der Abschied fällt schwer

Aus Trauer haben die Mitarbeiter zwei große Trauerflore am Fabrikgebäude angebracht. Auf der einen Fahne steht das Jahr 1927. Obwohl das Werk schon ein Jahr zuvor gegründet wurde, kamen aber die ersten Schokoladen-Hohlfiguren erst 1927 aus Oderwitz. Auf dem zweiten schwarzen Trauerflor steht das Datum 31. 03. 2022 - der Tag der Schließung.

Gegen Mittag umarmen sich im Werkshof zwei Frauen und verabschieden sich. Im Werksverkaufsladen wird die Verkäuferin gleich Pause machen. Seit Montag bilden sich den ganzen Tag über Schlangen vor dem Geschäft. Bis zum 8. April wird hier alles verkauft, was noch im Lager des traditionsreichen Unternehmens ist. Zumindest so lange der Vorrat reicht.

Immer wieder schleppen Mitarbeiter Kisten mit den letzten Osterhasen und andere Hohlfiguren aus der Oderwitzer Produktion und sogar massive Schokoladen-Figuren vom Mutterwerk bis hin zur Bruchschokolade in den Werksladen. Die Ware wird in großen und kleinen Papiertragetaschen verkauft. Die kann sich jeder nach Belieben füllen. Der Preis bezieht sich zum Sonderangebot auf große oder kleine Taschen.

Am Donnerstag standen schon 20 Minuten vor Ladenöffnung die ersten Kunden an. Zu ihnen gehörte René Finsel. "Es ist noch alles da", sagt er zu den anderen. René Finsel war schon am Vortag hier einkaufen. Jetzt soll er noch mehr Schokolade für ein Zittauer Pflegeheim holen. Familie Noack ist sogar aus Beiersdorf hergekommen und Steffen Mühle aus Löbau.

"Aber schön war es immer", sagt ein Mitarbeiter, als er zum Tor hinausgeht und grüßt einen Kollegen. "Man sieht sich, wo auch immer", verabschieden sie sich. Im Mai soll es ein großes Abschiedsfoto geben. Dann wollen sie wiederkommen.

Der Verkaufsladen ist voraussichtlich bis 8. April von Montag bis Freitag von 10 bis 12 Uhr sowie von 13 bis 17 Uhr geöffnet.