Droht dem Bau ein Supergau?

Marco Matthäi lässt das Handy sinken und atmet auf: Die Entwässerungsrohre, die der Geschäftsführer der Oberlausitzer Straßen-, Tief- und Erdbaugesellschaft Osteg noch ordern konnte, werden für den Parkplatz in Herrnhut reichen. Entwässerungsrohre sind nämlich gerade Mangelware auf dem Bau und nur noch mit Glück zu bekommen. Das Coronavirus hat sich auch in die Kunststoff-Produktion eingeschlichen.
"Die Rohre sind jetzt auch doppelt so teuer, als wir das im Angebot für diesen Parkplatz hier kalkuliert hatten", sagt der Osteg-Chef zerknirscht. Und es sind ja nicht nur die Kunststoffrohre. Stahl ist knapp, Zement ist knapp, Granit ist knapp, Bauholz ist knapp. "Es wird sogar schon gemunkelt, dass es mit Betonpflaster eng werden könnte, weil die Plastik-Spanngurte fehlen, mit denen die Palletten gepackt und gesichert werden", erzählt Matthäi. Nur das Schüttgut, das die Osteg aus den Sand- und Kiesgruben in der Umgebung bezieht, wird noch zuverlässig geliefert - und hat sich nicht wie manche anderen Baumaterialien auf das Doppelte oder sogar Dreifache verteuert.
Der Geschäftsführer ist auf die Parkplatz-Baustelle am Ortsausgang von Herrnhut gekommen, um zu sehen, wie es läuft. Der neue Touristen-Parkplatz, ein öffentlicher Auftrag von einer halben Million Euro, bringt bis Ende Oktober Arbeit für drei bis fünf Leute. Bei der Osteg wollen aber 176 Beschäftigte Arbeit haben. Und das ist für Marco Matthäi gerade noch schwieriger als die Materialbeschaffung.
Öffentliche Auftragslage bricht ein
Die Osteg arbeitet wie viele große Baufirmen fast ausschließlich für öffentliche Auftraggeber, an Straßen- und Tiefbau-Projekten zum Beispiel, in der Hochwasserschadensbeseitigung, im Breitbandausbau. Aber die öffentliche Auftragslage bricht gerade ein. Im April hatte die Osteg sogar 20 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken müssen. "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir im Frühjahr mal Kurzarbeit hatten", sagt Matthäi, der jetzt 39 ist, schon bei der Osteg gelernt hat und gerade erst die Geschäftsführung von Zittaus größter Baufirma übernommen hat. "Im April geht es doch normalerweise auf dem Bau wieder richtig los", sagt er.
Im März hatte der Osteg noch ein Drittel des Auftragsvolumens gefehlt, um Arbeit für alle zu haben. Jetzt sei die Firma wenigstens erst einmal bis Ende August ausgelastet, sagt der Geschäftsführer. Aber es seien nur viele kleine Baustellen, weniger Großaufträge wie der Ausbau der Inneren und der Äußeren Weberstraße in Zittau. Die großen Aufträge der öffentlichen Hand, die Maßnahmen vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv) zum Beispiel, von der Landestalsperrenverwaltung, von den Landkreisen, den Städten und Gemeinden, werden immer weniger.
"Unser Auftragsbestand in diesem Jahr ist - im Vergleich zum letzten - um die Hälfte geschrumpft", sagt Matthäi. "Wir bauen jetzt sogar schon private Eigenheime, um das öffentliche Auftragsloch zu füllen. Wir können ja auch Hochbau." Aber auch im Hochbau gibt es Probleme. "Da wirkt sich die Rohstoffknappheit noch deutlicher aus", weiß der Osteg-Chef.
Angebotspreise steigen in die Höhe
Großschönaus Bürgermeister Frank Peuker (parteilos) kann das nur bestätigen. Eigentlich sollten jetzt im Mai in der Gemeinde die Bauarbeiten für einen Verbindungsbau an der Pestalozzi-Oberschule beginnen. Die Angebote auf die Ausschreibungen hätten aber so unerwartet hohe Summen ergeben, dass die Gemeinde die ganze Ausschreibung wieder aufheben musste. Auch Peuker sieht eine Hauptursache dafür in den derzeit hohen Preissteigerungen für die Baustoffe. "Unsere geplante Gesamtsumme von 236.000 Euro wurde bereits um 90.000 Euro überschritten", schildert er. Teilweise hätten die einzelnen Angebote sogar 50 Prozent über der Kostenberechnung gelegen. Die Großschönauer planen jetzt um, wollen die Ausschreibung im Winter 2021/22 wiederholen und den Verbindungsbau nächstes Jahr "eventuell in abgespeckter Form“ realisieren.
Gerade laufen ein paar Ausschreibungen, an denen sich auch die Osteg beteiligt. Der Kreis ihrer Mitbewerber ist groß: "In den letzten Jahren waren wir immer so zwischen drei und fünf Bietern", sagt der Geschäftsführer. "Jetzt bewerben sich zehn bis 15 Firmen um die Aufträge - auch das ein Zeichen, dass die Arbeit auf dem Bau weniger wird.
"Es ist schon wieder so wie Ende der 1990er Jahre, als im Bausektor eine große Flaute geherrscht hat", sagt Matthäi. "Wir fangen schon wieder an, mit Preisen zu kalkulieren, die gerade noch so an der Grenze liegen oder sogar darunter - nur damit die Leute weiter Arbeit haben." Aber auch dieser neue Bagger hier auf der Parkplatz-Baustelle in Herrnhut, ein 250.000 Euro teurer 16-Tonner, muss abgezahlt werden. "Die Firma hat viel investiert in den letzten Jahren", sagt er, "wir brauchen die Einnahmen."
Wird die Situation nächstes Jahr noch kritischer?
Matthäi befürchtet, dass die Situation für die Baufirmen nächstes Jahr und in Zukunft noch kritischer werden könnte. Derzeit lässt sich die Auftragsflaute der öffentlichen Hand an zahlreichen Haushaltssperren und noch unbeschlossenen Haushaltsplänen in den Kommunen festmachen, weswegen nur begonnene und dringendste Maßnahmen angegangen und ausgeschrieben werden.
Es zeigt sich aber auch, dass die finanziellen Mittel der öffentlichen Hand schrumpfen. Die Corona-Pandemie hat einerseits zu hohen zusätzlichen Ausgaben geführt, andererseits die Steuereinnahmen sinken lassen. Für die Straßenbaumaßnahmen im Freistaat beispielsweise stehen in diesem Jahr 20 Prozent weniger Mittel zur Verfügung als in den Vorjahren, bestätigt ein Sprecher des Lasuv. Bauunternehmer fürchten zudem, dass Fördermitteltöpfe kleiner werden oder sogar ganz leer bleiben. Marco Matthäi blickt nachdenklich: "Wenn das so weitergeht und wegen Corona jetzt nur noch wenige oder überhaupt keine großen Projekte mehr angeschoben werden", sagt er, "dann wird das für den Bau im nächsten Jahr der Supergau."
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