Firmenchef: Die Lage wird täglich dramatischer

Gerade haben die Kollegen wieder den Schmelzofen abgestochen. In einem funkensprühenden Schauspiel sind drei Tonnen geschmolzenes Eisen in die Gießpfanne geflossen. Jetzt fährt die Pfanne an einem Brückenkran zur Gießstrecke. Langsam und präzise fließt das flüssige Metall in die Gussformen. Die Kollegen in der Werkhalle wischen sich den Schweiß von der Stirn. Ihre Pause währt nur kurz. Gleich beginnt am Ofen der nächste Abstich.
Bis zu achtmal pro Schicht werden die Schmelzöfen in der Olbersdorfer Guss GmbH mit hochwertigem Schrott und verschiedenen weiteren Bestandteilen gefüllt. 88 Mitarbeiter arbeiten hier in der Stahl- und Eisengießerei gleich hinter dem Zittauer Vorstadtbahnhof. Gussteile aller Art und Größe entstehen hier: für den Maschinen- und Anlagenbau, für die Deutsche Bahn, für den Bergbau, für Nutzfahrzeuge und Landmaschinen.
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Der Betrieb läuft auf Hochtouren. Seit Januar steigt die Auftragslage und steigt und steigt. Corona-Pandemie, Wirtschaftskrise und der Krieg in der Ukraine haben dafür gesorgt, dass sich Europa wieder mehr auf sich selber und die Hersteller vor Ort besinnt. "Darüber müssten wir eigentlich jubeln", sagt Frank Göttert. Aber dem Geschäftsführer der Olbersdorfer Gießerei ist nicht nach Lachen zumute. Gerade ist er in die Werkhalle gekommen, will sehen, ob alles läuft oder ob es irgendwo Probleme gibt.

Bei den Gießern läuft es. Die Qualität stimmt. "Einwandfrei", lobt Frank Göttert. Die Probleme liegen gerade ganz woanders. Sie türmen sich auf dem Schreibtisch von Remo Feihl, dem kaufmännischen Leiter der Gießerei. Es ist ein Berg, der jeden Tag wächst. "Und keiner weiß, wie das endet", sagt Feihl. Beim Blick auf die Tabellen der Leipziger Strombörse sind dem 40-Jährigen auch gerade die Schweißperlen auf die Stirn getreten. Er nimmt seinen Laptop und sucht den Geschäftsführer.
Kaum eine Branche braucht so viel Energie wie eine Gießerei. Die Induktionsöfen in Olbersdorf laufen mit Strom. Sie verbrauchen rund vier Millionen Kilowattstunden im Jahr. Und für den Stahlguss, der eine zusätzliche Wärmebehandlung nötig hat, braucht es Erdgas. Der Preis für das Erdgas hat sich gerade verfünffacht. Für die Gießerei geht es da um sechsstellige Summen. Eine Megawattstunde Strom haben die Olbersdorfer vor einem Jahr noch für 55 Euro eingekauft. Jetzt liegt der Preis für nächstes Jahr schon bei 185 Euro. Über eine halbe Million Euro mehr wären das alleine für die Schmelzöfen.
Frank Göttert schüttelt ungläubig den Kopf, als Remo Feihl ihm die Tagespreise auf dem Strommarkt zeigt: "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt der Geschäftsführer, der jetzt 62 ist und schon sein ganzes Berufsleben lang in der Gießerei-Industrie arbeitet. Der promovierte Ingenieur hat auch noch nie erlebt, dass der Schrott knapp wird.
Für hochwertige Gussteile braucht es qualitativ hochwertige Schrotte, die die Gießerei über verschiedene Händler bezieht. Inzwischen sind nicht mehr alle in der Lage, die großen Mengen zu liefen, die die Obersdorfer brauchen. "Und die, die noch liefern können, haben die Preise verdoppelt und verdreifacht", schildert Frank Göttert. "Wir haben jetzt verstärkt eingekauft, damit wir über eine längere Zeit kommen und die Aufträge auch sicher abarbeiten können. Wir sind in Größenordnungen in Vorleistung gegangen. Das ist eigentlich völlig unüblich."
Die gestiegenen Beschaffungskosten müssen die Olbersdorfer zum Teil an ihre Kunden weitergeben. "Wir machen es, wie es im Moment gerade alle machen: Wir arbeiten mit Materialteuerungs- und Energiezuschlägen", erklärt der Geschäftsführer. "Aber wo soll das eigentlich hinführen?", fragt er. "Die Lage wird ja täglich dramatischer." Ohne ihre starke Muttergesellschaft im Rücken würde die Olbersdorfer Gießerei mit ihren 88 Mitarbeitern nicht mehr lange existieren können, weiß Frank Göttert. Der kleine Betrieb gehört zur Bauer AG, einem börsennotierten Großkonzern, der finanziellen Rückhalt bietet. "Da können wir von Glück reden", sagt der Geschäftsführer. "Ein einzelner kleiner Mittelständler hat bei dieser Entwicklung überhaupt keine Chance."