Von Irmela Hennig
Eine Tänzerin ist erkrankt. Kurzfristig. Dass deswegen eines von zwölf Stücken der neuen Tanzinszenierung „Vorsicht Glass!“ im Görlitzer Apollo-Theater ausfällt, ist verständlich. Dass die zweite Vorstellung nach der Premiere am 24. März später beginnt, auch noch irgendwie. Dass das Publikum bis fünf Minuten vor Beginn im winzigen Vorraum des Apollo warten muss, nicht mehr.
Die Wartezeit, gedrängt stehend mit dem Glas Wein oder der Bierflasche in der Hand, ist auch nicht auf Krankheit zurückzuführen, sondern Wille der Görlitzer Tanzcompany, erklärt eine Theatersprecherin. Im großen Haus am Demianiplatz mag das funktionieren. Dort kann man sich setzen, es sich auch außerhalb des Saales gemütlich machen. Im winzigen, stuhllosen Apollo wirkt das „Parken der Besucher“ eher wie eine Panne.
Am Sonntag also hat das Ensemble, unter Leitung von Dan Pelleg und Marko E. Weigert, „Vorsicht Glass!“ wieder auf die Bühne gebracht. Die Company tanzt dabei zu ausgewählten Werken des US-amerikanischen Musikers und Komponisten Philipp Glass (geboren 1937). Er gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der Minimal Music. Die greift verschiedenste Einflüsse vom Mittelalter bis zur Gegenwart auf, auch afrikanische und asiatische Klänge. Und sie ist geprägt von endlosen Wiederholungen kurzer musikalischer Motive und Tonfolgen. Nur allmählich und oft wenig auffällig kommen Veränderungen.
Am schönsten beschrieben hat US-Theaterregisseur Peter Sellars, was Philipp Glass in seiner Musik macht: „Bei Phil ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster sehen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, doch wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich.“
Die scheinbare Monotonie, die allmähliche Veränderung – das greifen einige der Tanzstücke in „Vorsicht Glass!“ auf. Gleich zu Anfang sind des die Löwinnen – „Lionesses“. Gleichförmig schwingen zwei Tänzerinnen ihre Shirts wie Lassos über dem Kopf. Unaufhörlich, die eine noch, als die andere schon nicht mehr kann und keucht. Dann aber ändert sich das Bild. Aus den scheinbar nur auf sich konzentrierten Figuren werden kämpfende Löwinnen, die sich belauern, angreifen, beißen, umherzerren. Die Bühne ist dabei einfach nur ein schwarzer Kasten mit weißem Grund. Daran ändert sich auch in den folgenden Stücken nicht viel. Nur ab und zu tauchen ein paar Requisiten auf. Am überraschendsten nach der Pause, als der Bühnenboden zur Malfläche wird auf der sich zwei Tänzer mit scheinbar schwarzer Farbe austoben.
Einen großen Teil der Einzelstücke haben Ensemblemitglieder selbst choreografiert und ausgestattet. Die Musikauswahl ist klug getroffen, denn die Monotonie mancher Philipp-Glass-Werke kann auch nerven. Doch der Abend bietet neben seiner typischen Minimal Music romantische Klaviersoli, Textpassagen und Klänge, die an irische Folklore erinnern. Ein Gesamtkonzept hinter den einzelnen Tanzstücken ist – von der verbindenden Musik abgesehen – nicht erkennbar, auch wenn sich manche Motive wiederholen. Allen voran die überstrapazierte Dunkelheit vor und nach jedem Auftritt und manchmal auch währenddessen. Damit ersetzen die Tänzer den nicht vorhandenen Vorhang im Apollo. Der fiel am Schluss dann auch nicht, doch das Publikum im nicht ganz voll besetzten Raum, klatschte das Ensemble dreimal zurück auf die Bühne.
Wieder am 9. April, 19.30 Uhr, im Apollo Görlitz.