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Zur rechten Zeit am rechten Ort

Am Freitag wurde das Kunstwerk Lampedusa 361 auf dem Theaterplatz installiert. Diesmal ganz ohne wütenden Protest.

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© dpa

Von Christoph Springer, Tobias Wolf und Alexander Schneider

Nicht Totenstille und nicht Grabesruhe bestimmten den Freitagnachmittag vor der Oper. Auch kein Pfeifkonzert und keine Pöbeleien. Ehrfürchtiges Schweigen und Freude prägten die Eröffnung des Kunstwerks Lampedusa 361. Die Ehrfurcht vor den Toten, von denen die 90 Bilder auf den Pflastersteinen im Herzen der Altstadt erzählen. Und die Freude darüber, dass es auch anders geht als am Dienstag am Bus-Monument auf dem Neumarkt.

"Lampedusa" vor der Oper

Die Fotoausstellung „Lampedusa 361“ vor der Semperoper zeigt Bilder von Gräbern ertrunkener Bootsflüchtlinge auf sizilianischen Friedhöfen.
Die Fotoausstellung „Lampedusa 361“ vor der Semperoper zeigt Bilder von Gräbern ertrunkener Bootsflüchtlinge auf sizilianischen Friedhöfen.

Die Eröffnung

Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) eröffnete die Installation bei der Oper
Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) eröffnete die Installation bei der Oper

Heidrun Hannusch, Vorsitzende des Vereins Friends of Dresden, der hinter der Kunstinstallation steht, hatte das gehofft. „Es gibt noch Empathie in Dresden, das ist der Beweis dafür“, stellte sie nach der Eröffnung erleichtert fest. Dass es ruhig blieb, war auch den rund 80 Polizisten zu verdanken, die den sogenannten besorgten Bürger diesmal klarmachten, dass sie nicht direkt neben der Ausstellung pöbeln und grölen können. Für sie gab es eine Ecke am Rand des Theaterplatzes, während 500 Menschen die Kunstinstallation besichtigten. Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erinnerte in seiner Eröffnungsansprache an ein Treffen mit Amtskollegen aus Süditalien im Dezember in Rom. Als sie erzählten „wurde es in uns plötzlich sehr still“, sagte Hilbert. „Unsere Probleme wurden da sehr klein.“ Die Aktion solle „anregen zum Nachdenken über Leid“, so der Oberbürgermeister, das Kunstwerk müsse nicht jeder schön finden. Es sei ein Mahnmal „zur rechten Zeit am rechten Ort“.

Die Opernsängerin Annette Jahns ließ die Gäste auf dem Theaterplatz nachempfinden, was Hilbert erlebt hat. Sie las den Appell der Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, vor. „Das ist für mich ein unerträglicher Vorfall“, schrieb sie vor vier Jahren, nachdem sie 21 im Meer ertrunkene Flüchtlinge beerdigt hatte. „Für Lampedusa bedeutet es eine unermessliche Quelle des Schmerzes.“ Auf der Insel habe es keine freien Grabstätten mehr gegeben. „Wir werden für weitere Bestattungsmöglichkeiten sorgen, doch will ich an alle eine Frage richten: Wie groß soll der Friedhof auf meiner Insel werden?“

Die auf Kunststoff gedruckten Bilder stammen von zwei Fotografen. Schilder in englischer und deutscher Sprache erklären die Aufnahmen oder regen zu eigenen Gedanken an. Angesichts der wütenden Proteste am Dienstag vor dem Bus-Monument, schützt nun hier ein Zaun das Kunstwerk, auch wenn er anfangs nicht geplant war. „Sonst hätte sich das so verlaufen“, sagt Hannusch. Direkt vor dem Reiterstandbild auf dem Theaterplatz haben die Macher des Kunstwerks ein Depot mit Grablichtern aufgebaut. Die Kerzen kann man für eine kleine Spende erwerben und an ein besonders bewegendes Grabmal stellen.

Katharina Seibt, eines der LED-Grablichter in der Hand, betrachtet gedankenversunken ein Grabbild. „Das ist eine schöne Sache, um Mitgefühl zu fördern“, sagt die 21-jährige Studentin. „Von den meisten Menschen, die hier leben, hat keiner Krieg erlebt.“ Fotoausstellungen, Filme oder Theaterstücke würden dabei helfen, sich vorzustellen, was Flüchtlinge aus ihrer Heimat wegtreibt. Vor dem Gitter schimpften fünf Männer, alle um die 50, auf das Kunstwerk. „Das gehört hier nicht hin“, sagt einer. Ein anderer deutet auf eine Gruppe junger Flüchtlinge, brüllt zu ihnen rüber: „Ihr seid die, weshalb wir jetzt diese Schande hier angucken müssen.“

Schon vor der offiziellen Freigabe nutzten am Freitag viele Besucher die Gelegenheit, die Bilder zu betrachten. So wie Christine Kretschmar. Das Bus-Mahnmal auf dem Theaterplatz wollte sie sich gleich danach auch noch ansehen. „Man kann das machen“, meinte sie zu den Grabfotos. „Ich weiß aber nicht, ob dieser Platz richtig dafür ist, das ist mir eigentlich ein bisschen zu provokant.“

Aber warum eigentlich nicht hier? „Das Kunstwerk steht in Verbindung zur Verleihung des Dresden-Preises in der Oper“, sagt Heidrun Hannusch, und: „Was soll an Gräbern von jämmerlich Ertrunkenen provokant sein?“ Christian Budde ist gerührt von den Bildern. Die Schmähkritik an der Kunst auf dem Theaterplatz oder dem Neumarkt hält er für kleingeistig. „Es ist genau richtig, an solch exponierten Plätzen, die durch Pegida zu Brennpunkten anderer Art geworden sind, ein Achtungszeichen zu setzen“, sagt der 48-Jährige. „Endlich bezieht auch unser Oberbürgermeister klar Position nach einer langen Zeit der Zurückhaltung.“ Am Ende der Eröffnung zieht dann doch noch so etwas wie Totenstille ein auf dem Friedhof der Bilder.