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Zurück an der Elbe

Vor 22 Jahren sind Christin und Manfred Fuchs in den Westen gegangen. Warum sie nun lieber wieder in Riesa leben.

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Von Britta Veltzke

Wäre es nach ihnen gegangen, sie wären geblieben – damals 1992: Hunderte haben ihre Arbeit im Stahlwerk verloren und suchen eine bessere Zukunft in Westdeutschland. Einfach weg. Einfach woanders. Einfach über die Grenze, die längst keine mehr ist. Der Wunsch von Christin und Manfred Fuchs war das nicht. Für sie war es ein notwendiges Übel.

Obwohl der Ingenieur Manfred Fuchs plötzlich arbeitslos war, wollten er und seine Frau nicht weg aus Riesa. Auch nicht, als ihm eine Stelle als technischer Leiter in Dortmund eine sichere Existenz versprach. Einen Neuanfang konnte sich das Ehepaar nicht vorstellen. Schließlich hatten beide das halbe Leben lang an der Elbe verbracht – hier waren die Familie, alle Freunde und hier ist ihr Sohn aufgewachsen, der mit Anfang 20 gerade mitten in der Lehre zum Versicherungskaufmann steckte. Nach einem Jahr pendeln zwischen Riesa und Dortmund aber wurde ihnen klar: Wir haben keine Wahl.

„Aber eines habe ich schon damals immer gesagt: Wir kommen zurück“, erzählt Christin Fuchs. Und da sind sie wieder. Mehr als zwei Jahrzehnte nach dieser Prophezeiung steht das Ehepaar auf der Terrasse, die zu der neuen Wohnung gehört, und schaut runter auf die Elbe. Die Frühlingssonne scheint durch große Fenster in ihr Reich. „Hier lässt es sich doch leben“, sagt die Frau mit den kinnlangen Haaren.

Auch die heute 69-Jährige fand damals in Dortmund eine neue Stelle in einem Allergietestlabor. Die gelernte Medizinisch- Technische Assistentin hatte vor der Wende in einer Riesaer Poliklinik Proben analysiert. „Blut, Urin, was auch immer mir ins Labor kam“, erzählt sie.

Während Anfang der 90er Jahren in Riesa der Umbruch beginnt, ist der Wandel in der westdeutschen Arbeiterstadt Dortmund schon in vollem Gange – Industriegebiete haben sich in Denkmäler verwandelt, braune Baggerlöcher in Seen und ganze Naherholungsgebiete. „In Dortmund war damals schon alles fertig, als der Aufbau in Riesa erst langsam begann“, sagt Christine Fuchs. Und an noch etwas erinnert sie sich ganz deutlich: das Heimweh. „Wann immer es ging, sind wir nach Riesa gefahren. Mehrmals im Jahr haben wir bei unserem Sohn in der Wohnung kampiert, denn er wollte ja unbedingt bleiben, obwohl er die Ausbildung auch in Dortmund hätte beenden können.“

Doch die Sehnsucht nach der Heimat lässt nach. „Wir haben uns natürlich dort auch einiges aufgebaut, haben Freunde gefunden und wir hatten eine tolle Nachbarschaft“, so Christin Fuchs. Über die ganzen zwei Jahrzehnte hinweg lebte das Paar in derselben Wohnung. An die neue Heimat hatten sich die beiden schon so sehr gewöhnt, dass sie ihrer Rückkehr-Prophezeiung fast untreu geworden wären. Bis es „Klick gemacht hat“. Jetzt oder nie. „So einen Umzug macht man nicht mehr, wenn es einem nicht mehr so gut geht. Im Alter kann es so schnell bergab gehen und dann wäre unser Sohn Hunderte Kilometer weit weg gewesen“, sagt Christin Fuchs. Ihr verlangte das echte Überredungskünste ab. Denn vor allem ihr Mann war längst nicht mehr nur in seinem Fußball-Herzen Dortmunder. „Ich wäre geblieben“, sagt der 73-Jährige. Nun lässt er sich entschädigen – vom täglichen Blick auf die Elbe und dem Gefühl, nun wieder zu Hause zu sein.