Merken

Zurück ins Zündwarenwerk

Früher arbeiteten dort hunderte Riesaer, heute betreten nur noch wenige das Gebäude. Die SZ wirft einen Blick hinein.

Teilen
Folgen
© Sebastian Schultz

Von Dörthe Gromes

Riesa. Ein Vierteljahrhundert ist Manfred Töpel nicht mehr auf dem Zündwarengelände an der Hamburger Straße gewesen. Damals kannte er es in- und auswendig, hatte er doch 33 Jahre lang dort gearbeitet. Zuerst als Produktionsdisponent, später als Produktionsdirektor und von 1986 bis 1992 als Betriebsdirektor der Werke in Riesa und Coswig (Sachsen-Anhalt). Auch wenn die Zeit schon lange zurückliegt, ist der über 80-Jährige seiner alten Arbeitsstätte auf gewisse Weise noch immer verbunden. Vor einigen Wochen erst hielt er im Stadtmuseum Riesa einen Vortrag zur Geschichte des Werkes. So war er auch gleich einverstanden, mit der SZ einen Blick auf seine alte Wirkungsstätte zu werfen.

Blick in den ehemaligen Musterschrank: Den größten Teil haben private Sammler aufgekauft.
Blick in den ehemaligen Musterschrank: Den größten Teil haben private Sammler aufgekauft. © Sebastian Schultz
So sah es früher aus: Michael Herrmann, Geschäftsführer von NTT, und Manfred Töpel finden eine alte Fotografie.
So sah es früher aus: Michael Herrmann, Geschäftsführer von NTT, und Manfred Töpel finden eine alte Fotografie. © Sebastian Schultz
Hier fand ein Großteil der Produktion statt. Heute wird das Gebäude als Lager genutzt.
Hier fand ein Großteil der Produktion statt. Heute wird das Gebäude als Lager genutzt. © Klaus-Dieter Brühl

Michael Herrmann schließt die schwere Eingangstür zum ehemaligen Produktionsgebäude auf, die sich an der Stirnseite des Hauses befindet. Zusammen mit Wolfgang Mißner ist Herrmann Geschäftsführer und Inhaber des Recycling- und Lager-Unternehmens Nemesis – The Trader (NTT), das nun auf dem Werksgelände ansässig ist. Der Zahn der Zeit hat an dem Gebäude genagt. Der Putz blättert von den Wänden, die Fußböden sind staubig. Von NTT wird das vierstöckige Haus als Lager für Recyclingmaterialien aller Art genutzt, da kommt es auf die Schönheit von Wänden und Fußböden nicht so an. Mit dieser neuen Nutzung schließt sich gewissermaßen ein Kreis, denn ursprünglich wurde das Gebäude 1911 als Lager errichtet. Erst 1923 nutzte es die Consumgütergesellschaft (GEG) als Zündwarenwerk um.

Das Treppenhaus beginnt unmittelbar hinter der Eingangstür, auf dem ersten Absatz geht rechts eine Tür ab. „Dar war lange Zeit mein Büro“, entfährt es Manfred Töpel. Bereitwillig lässt Michael Herrmann den Zündwerker in sein früheres Reich. An ein Büro erinnert kaum noch etwas in dem kargen Raum, an dessen Wänden nun blaue Regale mit allerlei Dingen stehen. Durch die großen Fenster dringt das Vormittagslicht herein. „Ich hatte sogar ein eigenes kleines Bad am Büro“, sagt der frühere Betriebsdirektor. „Das war Luxus.“

Der Großteil der Maschinen und der Einrichtung wurde nach dem Ende des Werkes 1993 abgebaut. Im Nebenraum von Töpels damaligen Büro steht noch eine kleine Etikettiermaschine, die anscheinend vergessen wurde. „Bis 1970 waren solche Maschinen bei uns in Betrieb“, erklärt Töpel. „Die Frauen ließen damals am Tag zwischen 42 000 und 45 000 Streichholzschachteln durch den Maschinentrichter laufen.“ Von den rund 600 Angestellten des Zündwarenwerks war der Großteil weiblich. Im vorderen Teil der ersten Etage waren damals die Laborräume untergebracht. Noch heute erinnern die weißen Fliesen an den Wänden und einige wenige Gerätschaften an diese Zeit. In den Laboren wurden unter anderem chemische Analysen für die Produktion durchgeführt. Geht man den Gang nach hinten, gelangt man in den ehemaligen Schälsaal, wo die zur Verarbeitung bestimmten Stämme geschält wurden.

Sammler rennen die Bude ein

Auf dem Weg dorthin lässt uns Michael Herrmann noch einen Blick in den ehemaligen Musterschrank werfen. In diesem Einbauschrank mit vielen kleinen, rechteckigen Regalkästen wurden früher von allen Produkten ein oder mehrere Muster hinterlegt. Inzwischen sind nur noch Restbestände übrig geblieben. „Die Sammler sind uns damals die Bude eingerannt“, sagt der NTT-Chef.

Die eigentlichen Zündholzautomaten befanden sich in der zweiten Etage. „Die Etagenbauweise des Werkes war für uns damals schon problematisch, schließlich mussten wir Material und Produkte ständig zwischen den Stockwerken und teilweise auch zwischen den Gebäuden hin- und hertransportieren“, erzählt Töpel. Eine logistische Herausforderung. Trotzdem sei der Betrieb zu DDR-Zeiten rentabel gewesen, zu Spitzenzeiten wurden 2,2 Millionen Schachteln pro Tag produziert.

Auch Michael Herrmann kennt das Werk noch aus seiner Glanzzeit: „Ich kam damals gern als Ferienarbeiter und habe hier gutes Geld verdient“, erinnert er sich. „Wir waren froh über die Ferienarbeiter, denn wegen des Urlaubs der Stammbelegschaft war es im Sommer nicht so einfach, die Produktion am Laufen zu halten“, ergänzt Töpel.

Es war allerdings keine Nostalgie, die Herrmann und seinen Geschäftspartner bewog, das alte Werk zu kaufen. „Wir brauchen für unser Geschäft viel Lagerfläche, es war preisgünstig und als Gewerbegebiet ausgewiesen“, begründet er die Entscheidung. Peu à peu saniert die Firma die Gebäude. „Die ehemalige Pyrotechnik-Produktion ist schon fertig, da sind sogar Solarzellen auf dem Dach“, sagt der Geschäftsführer. Das Betongebäude nebenan soll als Nächstes in Angriff genommen werden.