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„Zurück nach Fukushima?“

Zwei Jahre nach der Katastrophe ist die Strahlung deutlich zurückgegangen. Japan gedenkt, vergisst und verdrängt.

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Von Lars Nicolaysen

Kratzend zieht der Baggerfahrer die Schaufel über die Erde. „Die Äste und Büsche auf dem Hang dort haben wir schon eingesammelt. Die Radioaktivität ist jetzt deutlich niedriger“, sagt der Mann hinter einer Atemschutzmaske. Zwei Jahre nach dem atomaren GAU haben die Behörden den Bewohnern seines Dorfes am Rande der 20-Kilometer-Evakuierungszone um die Atomruine Fukushima erlaubt, in ihre Häuser zurückzukehren. Die Strahlung liegt hier weit unter dem für Evakuierungen geltenden Grenzwert von 20 Millisievert im Jahr.

Um sie weiter auf unter einen Millisievert zu senken, müssen die Menschen in der Gegend nun selbst dafür sorgen, die Häuser und Gärten zu dekontaminieren. Überall sind Japaner in Straßenarbeiterkluft damit beschäftigt, Häuser mit Papiertüchern abzuwischen, Gräser und Blätter aufzusammeln und die Erde fünf Zentimeter abzutragen. Das Ganze wandert in große schwarze Säcke, die sich nun zu Tausenden als kleine Atommüllhalden stapeln, auf Feldern, Höfen, an Straßenrändern.

Nicht alle Japaner vertrauen allerdings den offiziellen Entwarnungen. „Ich habe immer wieder Regierungsvertreter aufgefordert, doch nach Fukushima umzuziehen, wenn sie der Meinung sind, dass das ein sicherer Platz zum Leben ist“, sagt Katsutaka Idogawa, bis vor Kurzem Bürgermeister der noch immer unbewohnbaren Stadt Futaba. „Aber darauf habe ich nie eine Antwort erhalten.“

Am Montag haben die Japaner der Opfer der Dreifachkatastrophe gedacht. Um 14.46 Uhr legten die Menschen eine Schweigeminute für die fast 19 000 Todesopfer des Tsunami ein – genau zu dem Zeitpunkt, als am 11. März 2011 ein Erdbeben der Stärke 9,0 Japan heimgesucht hatte, das schließlich zum Atomunfall führte.

Regierungschef Shinzo Abe rief seine Landsleute auf, den Opfern beizustehen. „Die Kraft von allen“ werde weiterhin benötigt. Sie sollten nicht nur spenden, sondern sich an Hilfsaktionen beteiligen, ins Katastrophengebiet fahren und Produkte aus der betroffenen Region Tohoku kaufen. „Ohne einen Frühling in Tohoku wird es keinen Frühling für Japan geben“, so Abe.

Bei einer Gedenkzeremonie in Tokio gedachten auch Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko zusammen mit Angehörigen der Opfer und Regierungsvertretern der schlimmsten Katastrophe in Japan seit dem Zweiten Weltkrieg. „Wir fühlen, mit erneuter Entschlossenheit, dass es für uns alle wichtig ist, weiter auf diese Menschen aufzupassen und ihren Kummer so weit wie möglich zu teilen“, sagte der Kaiser.

Noch immer leben rund 315 000 Menschen in engen Containerbehausungen und Behelfsunterkünften. Rund 400 000 Gebäude hat die Flutwelle zerstört, doch der Wiederaufbau kommt nur schleppend voran. Viele Opfer befällt zwei Jahre nach der Katastrophe das Gefühl, vergessen zu werden. Hilfskräfte beklagen, viele der meist alten Menschen vereinsamten, weil sie mit niemandem sprechen können. Die Opfer in den Containerhäusern, von denen viele früher Bauern und Fischer waren und jetzt nichts mehr zu tun haben, würden immer öfter krank, manche verfallen dem Alkohol. Dabei hat die Atomkatastrophe selbst kein direktes Todesopfer gefordert.

Tausende gingen derweil gegen das geplante Wiederanfahren der Atomkraftwerke auf die Straßen. 1 650 Bürger Fukushimas zogen am Montag in vier Sammelklagen gegen die Regierung und den Betreiber des Atomkraftwerks, Tepco, vor Gericht. Sie verlangen Entschädigungen, bis der Staat die Strahlenbelastung auf das Niveau vor dem Super-GAU gesenkt hat. ( dpa)