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Zwangsurlaub wegen Fahrstuhldefekts

Ein Tragedienst soll die Zeit ohne Lift überbrücken. Doch für Jens Peter Eisert und seine Tochter kommt er zu spät.

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© Maximilian Helm

Von Maximilian Helm und Nora Domschke

Der Schock sitzt tief, als klar wird, dass der Aufzug für längere Zeit ausfällt. Kurzerhand informiert Jens Peter Eisert am Mittwoch vergangener Woche seinen Arbeitgeber, dass er nicht kommen kann. Wie lange, wisse er nicht. Denn im Fahrstuhl des Zehngeschossers an der Prohliser Allee müssen die Trageseile ausgetauscht werden (die SZ berichtete). Für Eiserts Tochter Lisa ist das ein Problem. Sie sitzt im Rollstuhl. Seit acht Tagen kann sie nicht zur Arbeit und muss rund um die Uhr betreut werden.

© Sven Ellger

Die Wohnung der Familie ist liebevoll weihnachtlich dekoriert, die Heizung läuft auf vollen Touren, der Fernseher ist leise eingeschaltet. Normalerweise arbeitet Lisa in der Behindertenwerkstatt des Sächsischen Epilepsiezentrums in Radeberg. Ihr Vater arbeitet ebenfalls dort – als Betreuer. „Lisa müsste morgens um 6.45 Uhr vor der Tür stehen, um abgeholt zu werden“ sagt Eisert. Der vom Vermieter Vonovia angebotene Tragedienst kommt allerdings erst ab 8 Uhr. „Da ist nichts zu machen“, berichtet der 48-Jährige. Nun hat er kurzerhand Urlaub genommen, denn Lisa kann nicht allein bleiben. Wenigstens könne er sich mit seiner Frau abwechseln. „So komme ich ab und zu mal aus der Wohnung. Aber die Kleine muss leider hierbleiben.“ Die 20-jährige Lisa lässt sich wenig anmerken. Sie lacht und spielt mit dem Handy. „Die Situation ist für sie aber sehr frustrierend“, erklärt Eisert, während er seine Tochter mitfühlend ansieht. Ab Donnerstagmorgen lässt er sie in einer Kurzzeitpflege betreuen. Denn ob der Aufzug, wie auf dem Aushang der Vonovia angegeben, am 5. Dezember wirklich wieder funktioniert: Darauf will er sich nicht verlassen. Den Tragedienst, der Lisa am Donnerstag abholt, hat er selbst organisiert. Ob die Vonovia die Kosten dafür und vor allem auch für die Kurzzeitpflege übernimmt, ist ungewiss.

Seit fünf Jahren wohnt die Familie in dem Prohliser Zehngeschosser. In dieser Zeit sei der Aufzug bereits viermal ausgefallen. Für Lisa und ihren 120 Kilogramm schweren Rollstuhl ist das immer ein Problem. Mittlerweile zieht die Familie in Erwägung, umzuziehen. Wenn möglich, ein paar Etagen tiefer. Dabei sind Eiserts nicht die einzigen, die unter dem Ausfall des defekten Aufzugs leiden. Viele Nachbarn sprechen mit der SZ, wollen ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen. Eine ältere Frau aus der achten Etage ist genervt, dass sich die Vonovia und die Aufzugfirma offenbar schon länger um die Reparatur streiten. „Es ist uns egal, wer Schuld hat. Hauptsache der Fahrstuhl fährt so schnell wie möglich wieder.“ Eine andere Mieterin aus derselben Etage beschwert sich: „Bei uns im Haus leben drei Rollstuhlfahrer und viele ältere Menschen. Das geht so nicht!“

Ingrid Wetzel trifft es als Bewohnerin der zehnten Etage besonders hart. Sie hat ihre Wohnung seit Tagen nicht verlassen. „Ich muss zu Hause bleiben. Zum Glück können mein Mann und mein Sohn noch gut Treppen steigen und gehen einkaufen.“ Eine Mieterin der neunten Etage hat ein ganz anderes Problem. Ihr Sohn ist vier Jahre alt. „Es dauert sehr lange, bis wir die vielen Treppen hochgelaufen sind.“ Deshalb überlege sie sich schon sehr genau, wann sie den Auf- und Abstieg in Angriff nimmt.

Trotz aller Umstände macht Jens Peter Eisert die Vonovia nicht verantwortlich für den Ausfall des Aufzugs. Der Vater bringt Verständnis dafür auf, dass an einem Fahrstuhl mal etwas kaputtgeht. Und er wisse, dass Ersatzteile, wie Trageseile, nicht einfach irgendwo gelagert, sondern bestellt werden müssen. Auf Nachfrage der SZ hat Vonovia-Sprecherin Bettina Benner mit Familie Eisert telefoniert. „Selbstverständlich werden wir helfen und übernehmen die Kosten.“ Alle Details dazu seien besprochen. Zudem gibt es Hoffnung, dass der Aufzug bald wieder funktioniert. „Die Trageseile sind schon auf dem Weg zur Prohliser Allee“, teilt Benner am Donnerstagnachmittag mit.