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Zwischenstopp ins Ungewisse

In Bischofswerda geht das Erstaufnahmelager in Betrieb. Viele wollen helfen. Doch es gibt aggressive Proteste - auch am Freitagabend.

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© Steffen Unger

Ingolf Reinsch, Gabriele Nass, Sylvia Gebauer und Rico Löb

Bischofswerda. Freitag gegen 14 Uhr trifft der vierte Bus mit Flüchtlingen in Bischofswerda ein. Menschen schauen müde aus dem Fenster. Hinter dem Bus schließt sich das Tor. Abgeschirmt hinter Zeltplanen steigen die Flüchtlinge aus. Für sie das vorläufige Ende einer langen Reise ins Ungewisse. „Die Menschen sind kaputt und müde. Sie brauchen erst mal Ruhe. Manche von ihnen sind schon seit drei Monaten unterwegs“, sagt ein Helfer am Tor. Unter den Flüchtlingen sind viele Familien mit Kindern.

Das am Donnerstag eingerichtete Erstaufnahmelager auf dem Gelände der früheren Herrenmode an der Belmsdorfer Straße ist für die Schutzsuchenden nur eine Zwischenstation. Hier werden sie registriert und medizinisch untersucht. Später werden sie in ein Asylbewerberheim umziehen. Mit dem vierten Bus dürften bis Freitagnachmittag schätzungsweise bis zu 200 Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung eingetroffen sein. Im weiteren Tagesverlauf wurden noch Busse erwartet.

Unterstützung von der Bundeswehr

Während die Flüchtlinge aufgenommen werden, laufen in und an der Halle noch die Einrichtungsarbeiten. Neben vielen Helfern des DRK, das die Einrichtung betreibt, und vom Technischen Hilfswerkes kommt am Nachmittag auch Unterstützung von der Bundeswehr. Für voraussichtlich zwei Wochen werden Armeeangehörige im Erstaufnahmelager im Einsatz sein. Vorerst sind es zehn Angehörige. Diese Zahl soll in den nächsten Tagen auf 20 aufgestockt werden, sagte Sprecher Kai Kranich vom DRK. Sie helfen beim Aufbau von Betten, bei der Registrierung der Flüchtlinge sowie bei deren Betreuung und medizinischen Versorgung. Am Tor melden sich immer wieder Menschen, die spontan Hilfe anbieten. Unter ihnen sind viele junge Leute.

Platz für bis zu 1 000 Flüchtlinge

Zur gleichen Zeit berät im Rathaus Bischofswerdas Oberbürgermeister Holm Große mit Vertretern aus Vereinen, Verbänden und Initiativen darüber, wie die Stadt helfen kann. „Als Stadt Bischofswerda werden wir mit unseren Bürgern alles für ein gedeihliches, friedvolles Miteinander tun“, so der OB. Für den Abend lud er zu einer Bürgerversammlung in den Rathaussaal ein. Rund einhundert Bischofswerdaer diskutierten mit Vertretern von Landesdirektion, Polizei, Flüchtlingshilfe und der Bischofswerdaer Kirchen sachlich darüber, wie das Leben mit den vielen neuen Flüchtlingen in der Kleinstadt funktionieren kann – von Sicherheit über ärztliche Betreuung bis Schul- und Kitabesuch. Die Erstaufnahmeunterkunft Bischofswerda ist für bis zu 1 000 Flüchtlinge ausgelegt. Diese Zahl nannte der Vizechef der Landesdirektion gestern Abend für alle überraschend. In einer Erklärung seiner Behörde von Donnerstagabend war von bis zu 400 Plätzen die Rede. Bischofswerdas OB Holm Große und mehrere Bürger forderten das Land Sachsen auf, die Kleinstadt bei der Bewältigung der Aufgaben, die kommen, zu unterstützen, auch personell.

Asylheimgegner ziehen durch Bischofswerda

Begleitet wurde die Ankunft der Flüchtlinge von Protesten. 50 bis 70 Personen versammelten sich nach Polizeiangaben am Donnerstagabend vor der Einrichtung. Viele von ihnen hatten Bierflaschen in der Hand, waren alkoholisiert und traten aggressiv auf. Bereits vor dem Eintreffen des ersten Busses musste die Polizei das erste Mal eingreifen. Eine Gruppe von etwa 30 Asylheimgegnern blockierte die Zufahrt. Sie wurden von der Polizei zurückgedrängt, sodass der Bus ungehindert passieren konnte. Etwa 30 Personen erteilten die Beamten Platzverweise. 40 Polizisten waren im Einsatz. Eine Nachbarin, die das Geschehen verfolgte: „Ich dachte für einen Moment, ich sei im Krieg.“ Sie habe Angst davor und wolle nicht, dass Bischofswerda ein zweites Heidenau wird. – Bei den Protesten am Donnerstagabend kam nach Augenzeugenberichten ein Teil zu Fuß. Die Polizei registrierte im Umfeld neben Fahrzeugen mit BZ auch mehrere Autos mit Sebnitzer Kennzeichen.

Während sich Freitagabend Bürger friedlich im Rathaussaal treffen, ziehen rund 70 schwarz gekleidete Asylheimgegner durch Bischofswerda Süd. Erst kurz zuvor war die Demonstration angemeldet worden – von Gabriele Williger, Frontfrau des „asylkritischen“ Bündnisses Hoygida aus Hoyerswerda. Nach dem Marsch, der über die Thälmann- und Neustädter Straße zurück zur Belmsdorfer Straße führte, versuchten die Teilnehmer, die Asylunterkunft zu blockieren. Sie warfen Flaschen in Richtung Heim und beschimpften Menschen, die sich im Heim meldeten, um zu helfen. Die Polizei, ausgerüstet mit Helmen und zwei Hunden, bildete eine Kette und versuchte, die Demonstranten zurückzudrängen und die Zufahrt frei zu halten. Nach Aussage eines Augenzeugen waren unter den Freitagsdemonstranten viele, die bereits am Vorabend gegen die Ankunft der Asylbewerber demonstriert hatten.