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SZ + Freital

Cannabis im Kleiderschrank

Die Polizei wird in Freital zu einem Einbruch gerufen. Im Haus findet sie über 140 Gramm Drogen in Schraubgläsern. Die Richterin zeigt sich trotzdem milde.

Von Daniel Krüger
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Symbolbild. © budding/Unsplash

Mittwochnachmittag im ersten Obergeschoss des Amtsgerichts Dippoldiswalde. Ein junger Mann mit Kapuzenjacke sitzt auf der Bank vor dem Sitzungssaal 315. "Es ist einfach lächerlich, wie die in Deutschland mit Gras umgehen. In anderen Ländern ist es legal und da geht die Welt auch nicht unter", sagt er zu einem Freund.

Für 14 Uhr ist eine Verhandlung angesetzt, um den Besitz einer nicht geringen Menge Betäubungsmittel geht es, in Deutschland ein Verbrechen, auf das mindestens ein Jahr Gefängnis steht. Doch auf der Anklagebank sitzt dann nicht der Heranwachsende, der ist "nur" wegen Fahrens ohne Führerschein hier und offenbar wütend auf die deutsche Drogenpolitik. 

Ein reiner Zufall. Der Mann, der wegen der Rauschmittel angeklagt ist, ist deutlich älter, 64 Jahre alt. Er trägt kurz geschorene Haare, Lederschuhe und unter dem Sakko einen blauen Pullunder, aus dessen Halsöffnung ein gebügelter Hemdkragen herausragt. Nichts von seinem Äußerlichen lässt auf einen Dealer oder Junkie schließen. 

Auch sonst führt der angeklagte Vertriebsmitarbeiter im Holzgroßhandel ein ganz und gar bürgerliches Dasein. Ein eigenes Haus, keine Vorstrafen oder Schulden, seine Frau besitzt einen Weinhandel, erzählt er. Und doch fand die Polizei durch einen Zufall sechs große Schraubgläser mit insgesamt 140,07 Gramm getrockneten Cannabisblüten in einem Schrank im Arbeitszimmer des Angeklagten.

Der hatte die Beamten am Abend des 25. November 2018 selbst gerufen, weil bei ihm zuhause eingebrochen war. Nach eigenen Aussagen hatte er zu diesem Zeitpunkt längst vergessen, dass die Gläser in seinem Schrank lagerten, vermutlich hat sie der zuständige Kriminalbeamte auch deshalb so schnell gefunden, weil die Einbrecher das Fach durchwühlt hatten. 

Die Ehefrau litt an Hautkrebs

Bei der polizeilichen Vernehmung, der er direkt vor Ort zustimmte, gab er an, die Blüten stammten von zwei selbst gezüchteten Cannabispflanzen, die er 2015 auf seiner Terrasse angebaut hatte. Sie seien für seine Frau bestimmt gewesen, die zu diesem Zeitpunkt schwer an Hautkrebs erkrankt war. 

Weil andere Medikamente gegen Schmerzen nicht gewirkt hätten, habe er sich im Internet nach Alternativen umgesehen und sei auf Cannabis als Medizin gestoßen. Auch seine Schwester, die an Multipler Sklerose leidet, habe er perspektivisch im Hinterkopf gehabt. 

Daraufhin habe er online drei Samen bestellt und im Beet auf der Terrasse ausgesät. "Ich habe ein gutes gärtnerisches Händchen", erklärt er zu Beginn der Verhandlung. Dass das Experiment so gut gelänge, habe er aber selbst nicht glauben können. "Die zwei geglückten Pflanzen waren riesig, etwa 1,80 Meter hoch und hatten ab September 2015 überall Blüten", erzählt der 64-Jährige. 

Die Richterin ist skeptisch. "Also solche Erträge erzielt man eigentlich nur mit Indoor-Plantagen", sagt sie. Das sind spezielle Vorrichtungen, in denen Cannabis unter künstlichem Licht gezüchtet wird. Sie hält auch die sieben Prozent THC-Gehalt, die im Labor des LKA ermittelt wurden, für relativ hoch.

"Ich habe extra Pflanzen gezogen, die auch in unseren Breiten gut gedeihen", erklärt sich der gelernte Drechslermeister. Seine Frau habe nichts von dem Anbau mitbekommen. Erst zum Jahreswechsel 2015/2016, nach dem Trocknen und Fermentieren der Ernte habe er ihr überraschend einen puren Joint gedreht. "Nach zwei Zügen ist sie Schlafen gegangen", sagt der Freitaler.

"Einen Fall wie Sie hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen"

Am nächsten Tag dann hätten die anderen Schmerzmittel wie Ibuprofen plötzlich zu wirken begonnen. In den nächsten drei Jahren hätte niemand mehr das Cannabis konsumiert, es sei im Kleiderschrank gelandet - und vergessen worden. Die Frau des Angeklagten, die auch als Zeugin geladen wurde, macht zu diesem Fall von ihrem Schweigerecht Gebrauch.  

"Sie wirken glaubwürdig", sagt die Staatsanwältin und spricht von einem minderschweren Fall. Denn eigentlich gelten die insgesamt zehn Gramm reines THC in seinen Blüten als "nicht geringe Menge" und müssten mit mindestens einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Doch weil der Freitaler sofort geständig war und keine Vorstrafen habe, plädiert sie auf eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten und 3.000 Euro Geldstrafe.

Der Anwalt des Angeklagten hingegen hält es nicht für notwendig, gegen seinen Mandanten eine Haftstrafe zu verhängen. Es sei purer Zufall, dass seine Pflanzen derart gut gewachsen seien. Auch die Richterin ist nach langer Diskussion mit den Schöffen zu einem ähnlichen Urteil gekommen. "Ich glaube Ihnen zwar nicht, dass Sie das Marihuana vergessen haben", sagt sie. "Es handelt sich aber um eine weiche Droge und die ,nicht geringe Menge' ist vom Gesetzgeber nicht für einen Fall wie Sie bestimmt", sagt sie. 

Glück im Unglück für den 64-Jährigen, der nach eigener Aussage auch seiner Frau das Leben schwer gemacht hat. Er muss insgesamt 9.900 Euro Strafe zahlen und darf den Saal als freier Mann verlassen. Seine Lehre: "Egal was du machst: Bedenke immer das Ende."

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