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1,1 oder 1,6 Promille?

Die Zahl der „Idiotentests“ für Alkoholsünder im Straßenverkehr sinkt seit Jahren. Das könnte sich schnell ändern.

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© dpa

Von Matthias Brunnert, Goslar

Sturzbetrunken im Straßenverkehr, die Konsequenz: „Idiotentest“. Mehr als 88 000 Kraftfahrer mussten im Jahr 2000 in Deutschland zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU). 2014 waren es nur noch etwas mehr als halb so viele. Die Zahl der Alkoholsünder, die zum „Idiotentest“ müssen, geht kontinuierlich zurück. Nur wer die gefürchtete Untersuchung erfolgreich meistert, kann wieder einen Führerschein erhalten.

Doch diese positive Entwicklung wird sich vermutlich nicht mehr lange fortsetzen. Im Gegenteil: „Die Zahl der MPU könnte bald drastisch steigen“, fürchtet Swen Walentowski vom Deutschen Anwaltverein. Der Grund: Die Grenze, ab der erstmals unter Alkoholeinfluss erwischte Kraftfahrer zur MPU müssen, könnte demnächst bundesweit von 1,6 auf 1,1 Promille sinken. Beim 54. Deutschen Verkehrsgerichtstag wird darüber debattiert.

Derzeit gibt es keine bundesweit einheitliche Regelung. In Baden-Württemberg, Bayern und Berlin müssen Alkoholsünder schon jetzt ab 1,1 Promille zur Begutachtung. „Das führt zu einem absurden Kuriosum“, sagt der Verkehrsexperte vom Automobilclub ACE, Gert K. Schleichert. „Wer seinen Führerschein beispielsweise in Berlin wegen eines Blutalkoholwertes zwischen 1,1 und 1,6 Promille verloren hat, müsste zur MPU.“ Wenn er den Wohnsitz nach Brandenburg verlegt, entfällt diese Pflicht.

Ein solcher innerdeutscher MPU-Tourismus sei ein unhaltbarer Zustand, kritisiert Kay Nehm, Präsident des Verkehrsgerichtstages. Experten wie Christina Köpke vom ADAC sind sich deshalb einig: Sie fordern bundesweit einheitliche Grenzwerte. Uneinigkeit herrscht unter den Fachleuten allerdings darüber, wie eine einheitliche Regelung aussehen soll. Der ACE zum Beispiel plädiert für 1,1 Promille. „Wer ernsthaft mehr Verkehrssicherheit erreichen will, darf bei Alkoholsündern keine Gnade walten lassen“, sagt ACE-Mann Schleichert.

Verkehrsanwälte sprechen sich für die Beibehaltung beziehungsweise die Einführung der 1,6-Promille-Grenze aus. „Ein Bürger, der einmal mit 1,1 Promille erwischt wird, ist deshalb noch kein notorischer Trinker, der auch zur MPU muss“, sagt Jörg Elsner, Vorsitzender der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Skeptisch ist auch der Verkehrsclub AvD. Sachsens Verkehrsministerium zeigt sich aufgeschlossen für eine Absenkung. Alkohol am Steuer gefährde nicht nur die eigene Sicherheit, sondern auch die anderer. (dpa/SZ/ale)