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24. Fest ohne Felix

Dresden - Weihnachten ohne Felix: Zum 24. Mal bleibt in diesem Jahr bei Familie Tschök in Dresden ein Platz an der Festtafel leer. Das Schicksal des am 20. Juli 1984 geborenen Jungen ist ebenso unklar wie sein Aufenthaltsort und die Lebensumstände.

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Von Simona Block

Dresden - Weihnachten ohne Felix: Zum 24. Mal bleibt in diesem Jahr bei Familie Tschök in Dresden ein Platz an der Festtafel leer. Das Schicksal des am 20. Juli 1984 geborenen Jungen ist ebenso unklar wie sein Aufenthaltsort und die Lebensumstände. Am kommenden Montag (28. Dezember) jährt sich Felix' Entführung: Vor 24 Jahren nahmen die jungen Eltern den fünf Monate alten Säugling mit zum Einkaufsbummel in die Innenstadt, wollten das friedlich schlummernde Baby bei der Kinderbetreuung des Centrum-Warenhauses lassen. „Alle Plätze waren aber belegt“, erinnern sich die Tschöks. Sie stellen ihren Kinderwagen - wie viele andere - an einem Eingang des Kaufhauses ab. „Als wir 30 Minuten später zurückkommen, glauben wir, unseren Augen nicht zu trauen. Felix ist weg.“

Sofort denken sie an eine Entführung und in den Minuten danach läuft eine der größten Polizeiaktionen in der DDR-Geschichte an. Dabei drehen Polizisten und freiwillige Helfer jeden Stein in der Stadt um - ohne eine Spur von dem Kind zu entdecken. Neun Tag später wird im Flur eines Mietshauses ein etwa einjähriger Junge in einem Karton entdeckt - es ist nicht Felix. Das Findelkind hat OP-Narben, die auf eine Behandlung in einer Klinik der Sowjetarmee hinweisen. Zudem fehlen dem Jungen jegliche Impfungen - untypisch für ein DDR- Kind. Die Ermittler vermuten daher, dass Angehörige der sowjetischen Streitkräfte ihr krankes Kind gegen Felix ausgetauscht haben könnten.

Suche endet an russischer Kaserne

Als alle Spuren in die Kaserne der Sowjetstreitkräfte führen, werden die Recherchen der Sonderkommission nach zwei Jahren gestoppt. In der Zeit danach gewinnen die Eltern Abstand zu Felix, auch wenn sie manchmal unsanft an ihn erinnert werden, so als sie zu einer Impfung und zur Einschulungsuntersuchung für ihn gebeten werden. Erst nach der Wende schöpfen die Tschöks neue Hoffnung: Im Juli 2000 stellen sie einen Antrag auf Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens zur Kindesentführung. Nach bundesdeutschem Recht ist die Straftat aber verjährt. Im Oktober 2001 geben sie eine Vermisstenanzeige auf, zwei Jahre später können sie ihre Geschichte im russischen Fernsehen erzählen.

Kurz danach stellt die Dresdner Staatsanwaltschaft das erste Rechtshilfeersuchen an die russischen Behörden. 2005 folgen Auftritte der Tschöks im deutschen Fernsehen. Zum Petersburger Dialog in Dresden 2006 demonstrieren sie in Sichtweite von Russlands Präsident Wladimir Putin mit einem Plakat: „Wo ist unser Sohn Felix?“. Derzeit machen die russischen Ermittlungsbehörden junge Männer ausfindig, die 1983/84 in Dresden zur Welt kamen und schicken Speichelproben an die Dresdner Staatsanwaltschaft. Parallel dazu sollen auch die Eltern des Findelkindes gefunden werden.

Nach Aussagen von Oberstaatsanwalt Christian Avenarius gestaltet sich die Sache allerdings schwierig. Viele frühere Sowjetbürger sind inzwischen Angehörige von Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Zudem laufen die Ermittlungen neben dem aktuellen Geschäft der Behörden. Aus juristischer Sicht ist es eine immer noch nicht abgeschlossene Straftat. Tatsächlich aber ist keine Strafverfolgung mehr möglich, eine Auslieferung des Täters daher unwahrscheinlich. „Uns ist primär daran gelegen, Felix zu finden“, sagt Avenarius. Es könne sein, dass er nicht mehr lebe oder nichts von der eigentlichen Existenz wisse. „Wir haben die Hoffnung, ihn wiederzusehen“, sagt Lenore Tschök. (dpa)