Merken

60 Jahre Kinderheim

Bis zur Wende lebten stets um die 50 Kinder hier. Jetzt sind es 16. Doch die Anforderungen sind nicht geringer geworden.

Teilen
Folgen
NEU!
© Anne Hübschmann

Von Birgit Ulbricht

Walda. Es gibt Jubiläen, die nachdenklich machen. 60 Jahre Kinderheim – das ist so ein Anlass. Denn es bedeutet nicht nur, dass sich die Mitarbeiter des Hauses 60 Jahre lang um Kinder und Jugendliche bemühen, ihnen Halt gegeben haben, und dass aller zwei Jahre ein selbstorganisiertes Ehemaligentreffen stattfindet, bei dem frühere Bewohner gern dieses Zuhause besuchen, um damit für sich abschließen oder es stolz ihren Kindern und Enkeln zeigen oder einfach nur andere Bewohner suchen, manchmal sogar die eigenen Geschwister – denn die wurden zu DDR-Zeiten grundsätzlich voneinander getrennt.

60 Jahre Kinderheim, das heißt auch sechs Jahrzehnte häusliche Tragödien, die dieses Haus erst nötig machen. Jahrzehnte, in denen Eltern ihre Kinder nicht wollten, jedenfalls nicht genug, dass sie ihnen ein geregeltes Leben bieten konnten. „Früher kamen die Kinder aus, wie man sagte, vernachlässigten Verhältnissen. Heute kommt viel mehr zusammen: Hartz-IV, Gewalt, Beziehungschaos und Suchtprobleme der Eltern und dadurch Verwahrlosung der Kinder“, sagt Leiterin Andrea Schurig.

Die Hälfte der Kinder ist deshalb unter Amtsvormundschaft gestellt. Die Mitarbeiter arbeiten durchweg Schicht, 365 Tage, rund um die Uhr. Dass der Trägerverein zwölf Beschäftigte hat, klingt da mehr, als es im wirklichen Alltag ist. Denn hier macht das jeweilige Team mit den Kindern und Jugendlichen nahezu alles selbst: Kochen, Waschen, Hausaufgabenförderung, Freizeitbeschäftigung, zum Arzt oder zum Therapeuten gehen, Wege erledigen und den Einkauf.

Wie zu Hause möchte man fast sagen. Tatsächlich beziehen sich die Kinder sehr auf die Gruppe. Das Loslösen fällt schwer. Doch das fordert der Gesetzgeber. Mit 18 Jahren müssen Heimkinder eine Wohnung finden und ausziehen. Schon das war früher bedeutend einfacher. Mit dem Lehrlingsgeld oder der Ausbildungshilfe hinzukommen, will auch gelernt sein. In einer sogenannten Trainingswohnung im Nebengebäude versuchen das die Erzieher, den 16- bis 17-Jährigen beizubringen. Und setzen sich oft mit Eltern auseinander, die nicht einsehen, dass sie doch ihren Kindern wenigstens das Kindergeld überlassen sollten.

Denn wie sollen die Jugendlichen mit 18 Jahren die Kaution für eine Wohnung auf den Tisch legen? Wer da jetzt meint, dann müssten die Jungs und Mädels eben mittels Ferienjob etwas vorsparen, der hat die Rechnung ohne den Gesetzgeber gemacht. Der rechnet solches Einkommen sofort auf die Heimkosten an, und weg ist das Feriengeld, während die Eltern, die Hartz-IV bekommen, nicht zur Kasse gebeten werden. Nein, leicht haben es die Heimkinder nicht, auch wenn längst Ein-oder Zweibettzimmer vorgeschrieben sind statt der unheimlich anmutenden Schlafsäle aus Vorzeiten.

Die Probleme sind andere geworden, viele sind juristisch hausgemacht. Gesundheitsfragen, der emotionale Knacks und soziale Auffälligkeiten kommen hinzu. Das Team um Andrea Schurig hält alles zusammen, gibt manchem kleinen Kind das erste Mal in seinem Leben eine Tagesstruktur und Werte – und den Größeren zum ersten Mal die Gewissheit, dass sie nicht dafür verantwortlich sind, ob die kleine Schwester oder der kleine Bruder etwas zu essen bekommen oder dass ihnen nichts passiert.

17. Juni offizielle Festveranstaltung zu 60 Jahren Kinderheim Walda und 18. Juni Tag der offenen Tür für alle, die sich für das Haus interessieren.