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Ärger ums Wasserloch

Ein Brunnen auf der Dohnaischen Straße in Pirna wird kurz nach der Entdeckung wieder zugeschüttet. Nun sprudelt der Protest.

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© Stadt Pirna

Von Thomas Möckel

Pirna. Es war eine kleine Sensation: Bei den Bauarbeiten auf der Dohnaischen Straße stießen die Handwerker am Mittwoch auf ein frühzeitliches Relikt. Genau vor dem Geschäft „Bijou Brigitte“ förderten sie einen Brunnen zutage. Archäologen datierten die Herkunft des Wasserspeichers auf das 13. Jahrhundert. Sechs Meter geht der Brunnen in die Tiefe, der Durchmesser beträgt 1,30 Meter, unten drin steht das Grundwasser sogar noch 1,20 hoch. Die Brunnenkante, die etwa einen Meter unter dem heutigen Straßenniveau liegt, entspricht Pirnas Bebauung vor 700 Jahren. Das Vergnügen, einen Blick in den mittelalterlichen Wasserspender zu werfen, währte allerdings nur kurz.

Noch am Tag seiner Entdeckung, kurz nach dem Mittag, ließ Pirna den historisch bedeutsamen Schacht wieder zuschütten. Nach Auskunft des Rathauses wählte man ein Spezialgemisch, das sich jederzeit wieder entfernen lasse. Weil das Zeug allerdings wie eine dünnflüssige Betonpampe aussah, zweifeln manche in Pirna gehörig daran, dass die einmal festgewordene Masse den Brunnen jemals wieder freigibt.

Doch Füllgemisch hin oder her – es wird sowieso nahezu unmöglich, jemals wieder einigermaßen unkompliziert an den Brunnen zu kommen. „Damit ihn niemand heimlich ausgräbt, kommt nun auch noch eine in Beton gebundene Pflasterschicht darüber, damit er auch sicher ist“, ätzt der Pirnaer MIT-Stadtrat Tim Lochner ironisch in Richtung Rathaus. Und das war längst noch nicht alles.

Schon kurz nach der hektischen Zuschütt-Aktion begann in Pirna der Protest dagegen zu sprudeln. Im sozialen Netzwerk Facebook beispielsweise wogt die Diskussion hoch und runter, kaum einer kann verstehen, warum Pirna den Brunnen nicht als Sehenswürdigkeit erhalten hat. Die Kommentare sind bissig, ironisch, sarkastisch – und die meisten stellen der Stadtverwaltung höflich, aber bestimmt die Frage, ob sie noch allen Sprudel im Mineralwasser habe.

Der allgemeine Tenor mittlerweile: Entsetzen. „Mir fehlen die Worte. Noch nie habe ich als Restaurator erlebt, dass eine baugeschichtlich relevante Entscheidung zwischen Frühstückspause und Feierabend der Bauarbeiter entschieden und ausgeführt wird“, schimpft Lochner. Er kritisiere in erster Linie das Eilverfahren, mit dem hier Tatsachen geschaffen worden seien. Aus seiner Sicht war alles viel zu überhastet. „Die Arbeiten dort an der Stelle einen Tag ruhen zu lassen und über die Sache zu entscheiden, wäre sicherlich möglich gewesen“, sagt der Stadtrat.

Auch viele andere hätten es lieber gesehen, wenn Pirna nicht so überhastet reagiert hätte. In vielen Städten, so in Verona oder Bozen, würden solche Funde sichtbar gemacht und in die Fußgängerzone integriert, schreibt Frank Salzmann auf Facebook und stellt die Frage : „Warum schafft das Pirna nicht? Auch Diana Thielsch findet es schade, dass die Stadt den Brunnen nicht integriert. Michael Schlegel merkt bissig an, dass historische Attraktionen in Pirna offenbar nicht gewollt seien. Und Susanne Bauer mutmaßt, dass wohl der Denkmalschutz gerade im Urlaub sei.

Für Pirna hingegen stehen Sicherheitsbedenken an vorderster Stelle. Laut dem Rathaus sei die Dohnaische Straße die Einkaufsmeile in der Altstadt, die als solche nicht beeinträchtigt werden solle. Der Brunnen habe sich aber direkt vor dem Zugang zu einem Geschäft befunden. Zeitdruck sei hingegen nicht der Grund gewesen, den Brunnen so schnell zuzuschütten, weil die Bauarbeiter eh schon dem Zeitplan voraus sind. Vielmehr, so Stadtsprecherin Jekaterina Nikitin, basiere alles auf einer fachlichen Entscheidung.

Viel Kritik im sozialen Netzwerk

Das Landesamt für Archäologie hatte befunden, dass es das Beste sei, den Brunnen im Boden zu archivieren. „Priorität für uns hat es, Funde zu erhalten“, sagt Christoph Heiermann, Sprecher des Landesamtes. Die Archäologen setzen überwiegend auf das aus ihrer Sicht probate Mittel, die Bodenfunde auch im Boden zu lassen – dort würden sie am besten konserviert. Nur an Stellen, wo Bodenfunde tatsächlich unwiederbringlich zerstört werden könnten, werden sie ausgegraben. Und da der Brunnen außerhalb der Baulinie liege, sei nicht zu befürchten, dass er verloren geht. Aus archäologischer Sicht, so der Landesamts-Sprecher, sei der jetzige Zustand des Brunnens sehr befriedigend.

Nicht allerdings für viele Pirnaer. Vorschläge, die mittelalterliche Wasserversorgung ins Stadtbild zu integrieren, gibt genug. Einigen hätte es gefallen, wenn der Brunnenschacht oben im Straßenniveau mit einer dicken Glasplatte abgedeckt worden wäre, durch die man in die Tiefe blicken kann. Laut Tim Lochner hätte eine kleine Glasplatte völlig ausgereicht. Enrico Bürger schlägt auf Facebook vor, den Schacht unter Glas zusätzlich mit LED-Lämpchen zu beleuchten – so etwas hätte seinesgleichen gesucht.

Pirna allerdings lehnt die Glasplattenvariante strikt ab. Nach Ansicht der Stadt würde eine solch glatte Platte vor allem bei Nässe für Passanten gefährlich rutschig werden. Zudem könnten sich Fußgänger erschrecken, wenn sie plötzlich in die Tiefe schauen. Darum seien beispielsweise in Dresden Glasplatten über historischen Kellern wieder entfernt worden.

Für die Gegner zählen derlei Argumente allerdings wenig. Einige werfen der Stadt vor, dass sie für attraktive Sanierungslösungen wohl nichts übrig habe. Und Thomas Pietzsch lässt in seinem Facebook-Kommentar auch die Sicherheitsbedenken nicht gelten. Wem das Glas zu rutschig oder zu unsicher sei, der könne ja den Bereich umlaufen. Auch Tim Lochner kann nicht verstehen, warum die Stadt so agiert. „Pirna hat damit eine Chance vertan“, sagt er, „ein Stück Stadtgeschichte unterhalb des Bürgersteiges zu präsentieren.“