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Als Weiß noch Trauerfarbe war

Auch die Verschleierung galt bis ins 18. Jahrhundert als Zeichen der Trauer in der Oberlausitz.

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Von Hans Klecker

Der letzte Sonntag vor dem ersten Advent wird in der evangelischen Kirche als Ewigkeitssonntag begangen. Er ist ein Gedenktag für die Verstorbenen und wird im Volk Tutnsunntch (Totensonntag) genannt. Noch vor 230 Jahren galt in allen Dörfern der Oberlausitz die Farbe Weiß als Trauerfarbe. Das betraf bis ins Mittelalter hinein alle indogermanischen Völker zwischen Indien und Skandinavien, also nicht nur die Germanen, sondern auch die Inder, Balten, Slawen, und Kelten. Die Trauerfarbe Schwarz, von Griechenland und Italien kommend, löste in unserer Heimat nach und nach, zuerst in den Oberlausitzer Sechsstädten, das Weiß ab, in Zittau schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Für Christen beider Konfessionen

In vorchristlicher Zeit kannte man nur zwei Jahreszeiten, den Sommer und den Winter, Wärme und Kälte, Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit, Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit. Den Frühling rechnete man dem Sommer und den Herbst dem Winter zu, daher wird der 21. Juni als Mittsommer (Sommersonnenwende) und der 21. Dezember als Mittwinter (Wintersonnenwende) bezeichnet. Die Symbolfarbe des Winters mit seinen schneebedeckten Landschaften war Weiß. Damit stand diese Farbe für Kälte, Tod, Krankheit und Trauer.

Die Frauen und jungen Mädchen im deutschsprachigen Gebiet der Oberlausitz kleideten sich bis Ende des 18. Jahrhunderts als Zeichen der Trauer weiß, die Männer schwarz. Die weiße Trauerfarbe galt für Christen evangelischer und katholischer Konfession gleichermaßen. Im landwirtschaftlich geprägten Norden der Oberlausitz hat sich altes Brauchtum länger gehalten als in den Industriedörfern des Südens.

In Schöppenbüchern und Berichten von Reichenau (Bogatynia), Oybin, Mittelherwigsdorf, Großschönau, Oderwitz, Seifhennersdorf oder Ebersbach stößt man auf weiße Trauerhauben, weiße Stirnbinden, weiße Umnehmetücher und weiße Maulschleier. Letztere wurden auch Popeltücher genannt und nur von den Ehefrauen und Töchtern des Verstorbenen zum sonntäglichen Gottesdienst in der Zeit der Volltrauer getragen.

Tücher umhüllten den Körper

Diese kleinen Trauertücher stellte man aus Seide her. Sie bedeckten Mund und Kinn und ließen nur Nase und Augen frei. Die Popeltücher sind keine Schnupftücher. Das Wort „popeln“ bedeutete früher „einhüllen“,“vermummen“. Wer kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, kennt noch die Bezeichnungen Popanz, Popelmann, Popel als verkleideten Kinderschreck oder Gespenst. Fast alle Burgen in Mitteleuropa besitzen ein Burggespenst, das meistens durch eine weiß gekleidete und vermummte Person dargestellt wird. Am beeindruckendsten waren die großen weißen Trauer- oder Grabetücher aus Leinwand oder Zwillich, die den Kopf und die weiße Haube bedeckten und fast den ganzen Körper umhüllten. Sie wurden in den Schöppenbüchern auch als Umnehmetücher ausgewiesen. Zur Halbtrauer, die nach vier oder sechs Wochen die Volltrauer ablöste, trug man dann kürzere Hüllen oder welche, die man nach oben raffte und mit Nadeln befestigte. Der schwarze oder dunkle Rock war dann zu sehen. Im Unterschied zur schwarz-weißen Tracht der Bräute verzichtete man auf alle Schmuckelemente, wie Spitzen, Rüschen, Falbel, Borten und Muster.

Von den roten Strümpfen des 18. Jahrhunderts abgesehen, waren nur glatte weiße oder schwarze Kleidungsstücke aus Leinen oder Baumwolle sichtbar. Zum Begräbnis des Grafen Zinzendorf in Herrnhut am 16. Mai 1760 erschienen die Schwestern der Brüdergemeine am Grabe in weißer Kleidung. In der ganzen Oberlausitz umhüllten sich die Frauen bei Regen mit großen wasserabweisenden Regentüchern, die mit dem Siegeszug des Regenschirmes Mitte des 18. Jahrhunderts nach und nach aus der Kleidertruhe verbannt wurden.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts startete die Kirche eine Kampagne gegen die Verschleierung und die weiße Trauerkleidung, sodass zuerst das Popeltuch, dann das große weiße Trauertuch und zuletzt die schmucklose Trauerhaube in den Dörfern zwischen Bischofswerda und Zittau verschwanden. Es hieß, dass die Gottesdienstbesucher nichts hörten und nichts sähen und die schwarze Trauertracht viel anständiger wäre als die weiße. Um 1800 war fast in allen Dörfern, vom sorbischen Sprachgebiet abgesehen, die weiße durch die schwarze Trauerkleidung ersetzt worden.

Das Vermummen gibt es also nicht nur bei den Moslems. Heute wäre es ein beeindruckender, für viele unverständlicher Anblick, wenn 40 weißumhüllte Frauen mit gesenktem Blick hinter einem weißen Sarg herliefen. Vor 200 Jahren umhüllten sich die trauernden Frauen auch noch im benachbarten Schlesien mit dem sogenannten „Groabe-“ oder „Leedtichla“. Ein weißer Bestattungswagen, wie kürzlich von einer Firma in Zittau erworben, ist also nicht pietätlos, sondern entspricht den Glaubensvorstellungen unserer Altvorderen.