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„Altern ist nichts Schreckliches“

Beim Gespräch mit der SZ wünscht sich Margot Käßmann flexible Rentenmodelle, Geld für Altenheime statt fürs Militär und Sterbevorbereitung.

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Genießt den Ruhestand: Margot Käßmann. Nach einer öffentlich gewordenen Alkoholfahrt trat sie 2010 von beiden Ämtern zurück.
Genießt den Ruhestand: Margot Käßmann. Nach einer öffentlich gewordenen Alkoholfahrt trat sie 2010 von beiden Ämtern zurück. © J. Baumgart/Photography

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, ist mit 60 Jahren in den Ruhestand gegangen. Die Sächsische Zeitung sprach mit ihr über ihr neues Buch, in dem sie erklärt, warum sie den Eintritt ins Rentenalter mit schönen Aussichten auf die besten Jahre verbindet.

Frau Käßmann, Loriot fand das Älterwerden gar nicht lustig. Er sagte einmal, dass Altern eine Zumutung sei. Würden Sie dem widersprechen?

Ja, unbedingt. Ich merke natürlich auch, dass nicht mehr alles so leicht geht – und nicht nur, weil Hören und Sehen schlechter werden, je älter man wird. Auch die Hände zeigen ein gelebtes Leben. Nein, es ist nicht alles schön. Aber wir sehen Altern meist nur negativ. Dabei gibt es auch Positives. Der Leistungsdruck, unter dem viele in der Arbeitswelt stehen, oder die Lasten der Kindererziehung entfallen. Wir können die Zeit frei einteilen und gestalten.

Für Sie ist die 60 also keine Katastrophe, eher Aussicht auf eine entspannte Zeit?

Natürlich ist die 60 eine Zäsur, weil wir definitiv nicht mehr leugnen können, alt zu sein, im letzten Lebensabschnitt sind – und uns darauf vorbereiten müssen, dass das Leben endlich ist. Verinnerlichen wir das, leben wir bewusster. Wir werden uns beruflich nicht mehr verändern, sondern schauen dem Ende des Erwerbslebens entgegen. Aber eine Katastrophe ist das nicht. Wir sollten uns fragen, wie wir diese Lebensphase gestalten wollen und Dinge tun, die uns wichtig sind. Das möchte ich aktiv. Ja, mir geht es gut, und ich weiß, dass ich gegenüber anderen privilegiert bin. Ich wusste, dass ich finanziell abgesichert bin, als ich mich mit 60 für den Ruhestand entschieden habe. Und ja, ich empfinde es als großes Glück, wenn ich die freie Zeit für mich nutzen, sie mit Freunden, meinen vier Töchtern und den sechs Enkeln verbringen kann.

Als Sie vor acht Jahren von Ihren Kirchenämtern zurückgetreten sind, wussten Sie da schon, dass Sie eher in den Ruhestand gehen werden?

Nein, und mein Arbeitsleben ging zu dieser Zeit auch noch weiter. Ich habe an der Universität geforscht und gelehrt, unter anderem auch in den USA, und war sechs Jahre Reformationsbotschafterin. Aber im niedersächsischen Beamtenrecht ist es möglich, mit 60, 63 oder 66 mit entsprechenden Abschlägen in den Ruhestand zu gehen. Das habe ich genutzt. Ich muss niemanden mehr versorgen und komme gut aus. Meine jüngste Tochter, die 27 ist, steht jetzt auch im Berufsleben. Aber ich nutze die Zeit für Dinge, die mir wichtig sind, in der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, bei Terre des hommes – und beim Bücherschreiben.

Ein guter Anlass, Ihren 60. Geburtstag ausgelassen zu feiern, wie Sie es im Buch beschreiben. Aber haben Sie es nicht auch deshalb getan, weil es der letzte runde gewesen sein könnte?

Ja, das stimmt. Die große Feier war schön und wird so nicht wiederkommen. Natürlich stand die Frage im Raum, ob ich alle in zehn Jahren wiedersehe und ob ich selbst noch da bin. Selbst wenn die Menschen älter werden, das Leben bleibt begrenzt.

Man liest im Buch heraus, dass Sie Ihr Glaube trägt, Sie regelrecht beschwingt macht. Muss man denn gläubig sein, um ohne Ängste alt werden zu können?

Der christliche Glaube war und ist für mich entscheidend. Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Das gilt für mich auch im Sterben. Aber auch ein Mensch, der nicht an Gott glaubt, kann zufrieden alt werden, wenn er Sozialkontakte hat.

Aber Sie kokettieren mit Ihrem Alter, wenn Sie es im Buch immer wieder ansprechen. Dabei halten Sie sich doch fit, joggen, fahren Rad.

Nein, ein Kokettieren ist es nicht. Es sind eher pragmatische Überlegungen. Denn wer vorgibt, mit 60 noch so wie 40 zu sein, ist nicht ehrlich. Selbst wenn verbesserte Gesundheitsvorsorge, gesunde Ernährung und Sport für viele Ältere inzwischen selbstverständlich sind, so bleiben Altersspuren. Ja, es ist eine Versuchung, sich das Alter durch Operationen entfernen zu lassen. Dafür verurteile ich niemanden. Allerdings sieht jung gemacht nicht immer jung aus. Aber Altern ist nichts Schreckliches. Ich möchte die Menschen ermutigen, es anzunehmen. Denn gerade die Erfahrung der Älteren wird gebraucht.

Ist der heute gern genutzte Begriff Best Ager für die Generation 50 plus aus Ihrer Sicht dann eher eine Glorifizierung?

Es kommt darauf an, was jemand aus der verbleibenden Zeit macht und ob es vielleicht doch die besten Jahre werden. Wichtig ist es, eine realistische Balance zu finden, nicht zu verleugnen, was an Veränderungen da ist, aber auch nach vorn zu schauen.

Aber es gibt viele ältere Menschen, die nicht so positiv denken, weil sie krank sind und Angst haben, nicht in Würde sterben zu können.

Das stimmt. Hier muss noch viel passieren. Ich erwarte von der Regierung und den Politikern auch, dass mehr in Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste investiert wird. Wenn ich sehe, unter welchem Stress Pflegekräfte arbeiten und wie schlecht sie bezahlt werden, dann muss das endlich politisch geklärt werden. Warum investiert Deutschland 90 Millionen Euro in ein Militärmanöver? Das Geld wäre viel besser in Senioreneinrichtungen angelegt. Und noch etwas: Überall gibt es Geburtsvorbereitungskurse. Das ist auch gut so. Trotzdem: Wo gibt es Kurse zur Sterbevorbereitung? Auch darüber sollten wir reden. Und wir alle sollten uns mehr engagieren, damit Menschen in Würde sterben können. Das fängt bei einem selbst an. Wenn ich meine letzte Lebensphase nicht an Schläuchen verbringen will, brauche ich beispielsweise eine Patientenverfügung.

Und wie kompensiert man im Alter Verluste und Ängste?

Alle sollten frühzeitig dafür sorgen, dass sie ein Netzwerk an Freundschaften aufbauen. Nicht erst mit Eintritt ins Rentenalter. Aber es gibt auch Treffpunkte, wo Menschen zusammenkommen, beispielsweise in Vereinen und Chören. Solche Kontakte sind gerade für Menschen wichtig, die irgendwann krank sind und gepflegt werden müssen. Sie sollten nicht einsam sein. Natürlich ist mir klar, dass Pflege, wie wir alle sie uns wünschen, niemals voll bezahlt werden kann. Deshalb muss zivilgesellschaftliches Engagement professionelle Pflege ergänzen. Ich denke da an das Ehrenamt bei Hospizdiensten oder gute Nachbarschaft und Besuchsdienste bei Menschen, die allein sind.

Beim Übergang ins Rentenalter fallen trotzdem viele in ein Loch.

Jeder sollte das Arbeitsleben individuell auslaufen lassen können. Für viele funktioniert das Rentensystem, so wie wir es haben, nicht. Viele schaffen es doch gar nicht bis 67. Die Erhöhung des Rentenalters ist schlicht eine Rentenkürzung. Warum nicht auf 80 Prozent reduzieren oder auch mit 20 Prozent in der Firma arbeiten und Erfahrungen einbringen?

Viele müssen aber arbeiten, weil die Rente nicht reicht.

Wer das nicht will, sollte es auch nicht müssen. Alle Menschen sollten eine auskömmliche Rente haben, wenn sie ein Leben lang gearbeitet haben. Auch da ist die Politik gefragt. Die, die in Altersarmut leben, brauchen eine ganz andere Unterstützung. Das betrifft aus meiner Sicht vor allem Frauen. Hier muss mehr passieren, damit Erziehungsleistung für die Kinder anerkannt wird. Es ist gut, dass es zumindest mit der zweiten Mütterrentenreform im nächsten Jahr etwas weitergeht.

Das Interview führte Gabriele Fleischer.