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Der Irrweg des Ex-Schatzmeisters ins Rotlichtmilieu

Der Prozess gegen den Ex-Schatzmeister von Brandenburgs Grünen hat wegen Verwicklungen im Prostituierten-Milieu für Schlagzeilen und Überraschungen gesorgt. Das Urteil steht dem nicht nach.

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Potsdam. Die Geschichte von Christian Goetjes begann mit dem politischen Aufstieg eines motivierten Schülersprechers und endete spektakulär mit dem Klicken von Handschellen im Gerichtssaal. Am Montag wurde der Ex-Schatzmeister der Brandenburger Grünen vom Potsdamer Landgericht wegen gewerbsmäßiger Untreue in 261 Fällen zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Wegen erheblicher Fluchtgefahr ordnete der Vorsitzende Richter Jörg Tiemann sofortige Untersuchungshaft an, bis das Urteil rechtskräftig wird.

Es sah für die Zweite Große Strafkammer nach einem Routinefall aus, als sie Anfang November den Untreueprozess eröffnete. Dass es sich bei dem Beschuldigten um den Ex-Kassenwart der Brandenburger Grünen handelte, der nahezu unbehelligt mehrere Jahre seine Herrschaft über die Parteikonten missbrauchte und sich rund 300.000 Euro in die eigene Tasche steckte, gab dem Verfahren höchstens eine lokale Brisanz. Als sich der Fall aber vom Langfinger der Grünen ins Berliner Rotlichtmilieu verlagerte, schickten auch überregionale Redaktionen ihre Reporter nach Potsdam.

In Erinnerung wird der 34-Jährige nicht nur deshalb bleiben, weil er gierig die Konten seiner Partei plünderte, dreist Bilanzen fälschte und Haushaltspläne manipulierte. Der schwerwiegende Untreuevorwurf erfuhr seine atmosphärische Erhöhung durch Goetjes' Erklärung, dass er das geklaute Geld für zwei Prostituierte vom Berliner Straßenstrich ausgab.

Er wollte Zuneigung kaufen

Seine Begründung, er habe mit dem Geld die Frauen von Drogen und Schulden befreien wollen, ließen besonders Gutgläubige an einen naiven, verliebten, selbstlosen Mann glauben. Andere wie Richter Jörg Tiemann skizzierten schon am ersten Prozesstag das Bild eines Mannes, der sich sein Liebesglück sowie die Zuneigung von Prostituierten erkaufen wollte.

„Der Angeklagte ist kein Robin Hood", stellte der Richter schließlich in seiner Urteilsbegründung klar. Goetjes habe sich mit fremden Geld etwas kaufen wollen, was ohnehin schwer käuflich sei - und schon gar nicht im Rotlichtmilieu: Zuneigung.

Der Prozess gipfelte gar in der Enthüllung, dass der grüne Ex-Schatzmeister selbst einen Escortservice für Prostituierte betreibt. Spätestens als eine 22 Jahre alte Bulgarin als Zeugin schilderte, wie Goetjes mindestens ein halbes Dutzend Frauen auf einschlägigen Internetseiten zur Prostitution anbot, die Frauen zu Freiern chauffierte und die Hälfte des Lohns der Frauen kassierte, waren die Schlagzeilen vom Zuhälter geschrieben.

Lange Zeit merkte niemand das Fehlen des Geldes

Dabei irritiert vor allem Goetjes' rasanter politischer Aufstieg. Schon als Zehntklässer engagierte sich der heute 34-Jährige im Landesschülerverband und Landesschulbeirat. Mit 20 kandidiert er das erste Mal für einen Posten im Brandenburger Landtag. Knapp zwei Jahre später wird er Schatzmeister der Grünen.

Das Bild, das sich nun im Prozess von dem Studienabbrecher und Taschengeldempfänger Goetjes offenbarte, wirft auch ein fragliches Licht auf die märkische Grünen-Spitze. Stellvertretend für die Parteiführung der vergangenen Jahre mussten sich die Landeschefs Annalena Baerbock und Benjamin Raschke vom Gericht fragen lassen, nach welchen Kriterien das Personal für die Parteigeschäfte ausgesucht werde und wie groß das Interesse für die Lebenshintergründe ehrenamtlicher Funktionäre sei.

Denn lange Zeit wurde weder in der Landesgeschäftsstelle noch im Parteivorstand das Fehlen von mehr als einer viertel Million Euro in der Parteikasse bemerkt. Es schien auch wenig von Bedeutung zu sein, welche Qualifikation oder welche beruflichen Ambitionen Goetjes hatte.

Jedenfalls wunderte sich Richter Tiemann, wie jemand, der nach gescheitertem Abitur beschlossen hatte, nichts mehr für seine Berufsausbildung zu tun, mehr als ein Jahrzehnt das gesamte Parteivermögen anvertraut bekam und mit alleiniger Verfügungsbefugnis ausgestattet war.

„Jemand, der gewohnt war, sein Taschengeld zu verwalten, war mit dieser Verantwortung moralisch deutlich überfordert", sagte Tiemann. Doch die Grünen boten Goetjes über Jahre die Fassade, hinter der er sich verstecken konnte. Selbst im Gerichtssaal verpackte Goetjes sein Geständnis in politische Rhetorik und beendete seine Einlassung mit den Worten: „Vielen Dank für die Aufmerksamkeit". (dapd)