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Mit dem Slip erdrosselt?

Nach 29 Jahren steht der mutmaßliche Mörder von Heike Wunderlich vor Gericht. Er kann kaum hören und sprechen.

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© Daivids/Ralph Köhler

Von Thomas Schade

Wie 61 sieht Helmut S. nicht aus. Ein kesser Schnauzer sitzt auf seiner Oberlippe, aber körperlich ist der kräftige Mann arg lädiert. Seit einem Schlaganfall vor Jahren ist sein Sprachzentrum beschädigt, das Gehör eingeschränkt, und es ist ein beklagenswerter Anblick, wenn sein Betreuer ihm im Hof des Landgerichts Zwickau aus dem Krankentransporter hilft. Im Rollstuhl kommt der halbseitig gelähmte Angeklagte in den Schwurgerichtssaal, und man hat Zweifel, ob er den Ernst der Lage erkennt, wenn er in die Kameras grient.

In der Nacht des 9. April 1987 soll dieser Mann, damals war er Anfang 30, die 18-jährige Heike Wunderlich vergewaltigt und erdrosselt haben. Der Mord gilt als eines der rätselhaftesten Verbrechen der jüngeren sächsischen Kriminalgeschichte. 29 Jahre lang haben mehrere Generationen von Kriminalisten nach dem Mörder der Strickerin aus dem VEB Plauener Gardine gesucht. Nachdem die Kleidung des Opfers im Laufe der vergangenen 15 Jahre viermal untersucht worden war, fanden Kriminalbiologen des Landeskriminalamtes Ende 2015 eine bisher unentdeckte DNA-Spur. Sie führte in der bundesweiten DNA-Datenbank zu Helmut S. Sein genetischer Fingerabdruck lag in der Datenbank ein, weil er früher mehrfach straffällig geworden war.

Oberstaatsanwalt Holger Illing wirft Helmut S. in der nur zwölfzeiligen Anklage vor, Heike Wunderlich in jener Nacht gegen 23 Uhr im Voigtsgrüner Wald getötet zu haben, um ein vorangegangenes Sexualdelikt zu verdecken. Der Angeklagte habe seinem Opfer „ein Gummiband sowie Teile ihrer eigenen Unterwäsche (Slip und BH) um den Hals“ gelegt und zugezogen, bis der Tod eintrat. „Die Leiche wies eine Vielzahl von Verletzungen im Genitalbereich auf“, so Illing. Das sind die wenigen Fakten, die in dem Fall als gesichert gelten.

Wie es zu der folgenschweren Begegnung zwischen Täter und Opfer kam, das muss die Schwurgerichtskammer des Zwickauer Landgerichts in der Beweisaufnahme klären, die in mehrfacher Hinsicht schwierig werden dürfte. 49 Zeugen und drei Sachverständige sollen aussagen. Doch soweit bekannt, hat keiner die Tat beobachtet. Helmut S., so verkündeten seine beiden Verteidiger, will vorerst nicht zur Aufklärung beitragen. Er schweigt seit seiner Festnahme am 20. März.

Schwieriger als die Beweisaufnahme an sich wird die Frage, inwieweit Helmut S. überhaupt verhandlungsfähig ist. Einem Gutachten zufolge ist ihm eine Verhandlungsdauer von zwei Stunden am Tag zuzumuten. Ob er jedoch einen Prozess über zwei bis drei Monate durchhalten kann, vermag derzeit kaum einer vorherzusagen.

Der Angeklagte verbringt seine Untersuchungshaft im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf. Von dort muss er jedes Mal anreisen. Als der Prozess am Montag 9 Uhr beginnen soll, hat der Angeklagte das Haftkrankenhaus noch nicht mal verlassen. Das ist jedoch nicht ihm anzulasten. Gerichtssprecher Afrid Luthe spricht von Abstimmungsproblemen. In Leipzig glaubte man wohl, Helmut S. werde geholt. In Zwickau meinte man, er werde gebracht.

Nachdem Richter Hartmann die Hauptverhandlung eröffnet hat, wird die schwierige Verständigung schnell deutlich. Der Angeklagte braucht Köpfhörer, um dem Geschehen folgen zu können. Ein Verteidiger spricht von einem „üblen Kommunikationsproblem“. Das Gericht hat S. eine Tastatur gegeben, er soll seine Aussage tippen. Auch das könne er nicht, so die Anwälte. Richter Hartmann wird energisch, verweist darauf, dass S. vor seiner Festnahme auf Facebook aktiv war. Da habe er auch tippen können. Nach 17 Minuten ist Schluss. Die Prozessbeteiligten sollen die Berichte vom Tatort, von der Kriminaltechnik und der Obduktion lesen. So werden sie Teil der Beweisaufnahme.

Die Eltern und Brüder von Heike Wunderlich sind Nebenkläger im Prozess. Sie wollen keine Nachsicht für den Angeklagten. Wer den Inhalt der Akten kenne, so einer ihrer Anwälte, wisse: Helmut S. ist kein „Zufallsangeklagter.“